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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2013

Das Schweigekartell wird gebrochen
von Manfred Dietenberger

Ins Oldenburger Land gelockte und geschleuste Bulgaren, Serben, Ungarn, Letten, Polen, selbst Koreaner schlachten in Essen (Oldenburg) Schweine im Akkord für den dänischen Lebensmittelriesen Danish Crown. Über diverse Subunternehmer wurden sie von Europas Peripherie direkt in das Zentrum der deutschen Schweineindustrie «vermittelt». Ihren faktischen Sklavenstatus verschleiern Werkverträge, die sie zwingen, für weniger als 5 Euro in der Stunde oft bis zur Erschöpfung an den Schlachtbändern zu stehen.
Nicht nur die Löhne sind beschissen. Auch die Arbeits- und Wohnverhältnisse sind häufig skandalös. «Es gibt teilweise Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden, und ob die rumänischen Kollegen eine Krankenversicherung haben, ist uns bis heute nicht klar. Wir glauben es nicht», sagt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Auffällig häufig würden erkrankte Werkvertragsarbeiter einfach verschwinden: kurzerhand in ein Auto gesteckt und zurück in die Heimat gebracht.
Einer, der es Anfang November 2012 wagte, in der Lokalpresse offen über die menschenunwürdigen Wohnverhältnisse von Werkvertragsarbeitern zu sprechen, erlitt die gleiche Abfuhr. Schon ein Tag nach dem Zeitungsbericht «war er weg». «Teilweise werden mehr als 20 Menschen in eine Zweizimmerwohnung gepfercht, geschlafen wird umschichtig in Etagenbetten», weiß die NGG zu berichten. Für ihre «Unterkünfte» werden ihnen bis zu 200 Euro Miete direkt vom Lohn abgezwackt.
Die NGG prangert die Zustände schon seit vielen Jahren an. «Getan hat sich aber leider gar nichts, denn die Politik ignoriert das Thema wegen der starken Lobbyinteressen», sagt Matthias Brümmer, NGG-Geschäftsführer der Region Oldenburg-Ostfriesland. Egal ob im Berliner Nobelkaufhaus KaDeWe, in den Filialen diverser Supermarktketten oder in der Autoindustrie – überall drehen Unternehmen mit dem «Modell Werkvertrag» kräftig an der Lohnschraube. In der Getränkeindustrie ist «die Sache inzwischen gekippt. Dort ist die Zahl der Leiharbeiter längst geringer als die Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer», sagt Claus-Harald Güster, Vize-Chef der NGG.
Ursprünglich wurden Werkverträge nur geschlossen, um Arbeitsspitzen oder spezielle Aufträge gezielt abzuarbeiten. Das ist längst Geschichte. Bei den sich jetzt krebsartig überall ausbreitenden Werkverträgen handelt es sich immer öfter nur um Schein-Werkverträge, weil die Werkvertragsarbeiter nur für ein Unternehmen arbeiten und wie reguläre Arbeiter dauerhaft in Arbeitsabläufe des Betriebes eingebunden sind.
Diese Form der Verträge wird daher lediglich zum Outsourcen von Kernfunktionen auf Dienstleister genutzt, «die ihrerseits als Arbeitgeber fungieren und Arbeitnehmer beschäftigen», heißt es in einer Ver.di-Analyse vom Oktober 2012. Da Werkverträgler wie Büromaterial bezeichnenderweise als Sachkosten abgerechnet werden, ist ihre Zahl nicht genau ermittelbar.
Die NGG befragte daher Anfang 2012 371 Betriebsräte aus der Nahrungsmittelindustrie zum Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen in den Betrieben: danach waren durchschnittlich rund 13% der Beschäftigten Leih- oder Werkvertragsarbeiter. «In der Schlachtindustrie gehören aber inzwischen im Durchschnitt mehr als 50% nicht mehr zur Stammbelegschaft. In einzelnen Betrieben beträgt der Anteil der Werkvertragsleute bis zu 90%.»
Bei einer spektakulären Großrazzia des Zolls in Süddeutschland Ende Januar 2012 stürmten Ermittler der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) sechs Warenzentren der Supermarktketten Kaufland und Netto, weil sie rechtswidrige Werkverträge für Lagerarbeiter und Staplerfahrer abgeschlossen und damit Sozialabgaben hinterzogen haben sollen. Die Aktion war ein weiterer Beleg dafür, dass der Skandal Werkverträge längst auch im Groß- und Einzelhandel angekommen ist.
Leiharbeit eignet sich aufgrund der jüngsten Rechtsprechung und des im Januar 2012 eingeführten Mindestlohns kaum noch für Lohndumping. Viele etablierte Zeitarbeitsfirmen haben inzwischen darauf reagiert und neben ihrer Leiharbeitssparte flugs einen zusätzlichen Geschäftsbereich für Werkverträge gegründet.
Aber es gibt erste positive Zeichen eines Widerstands von unten, die Werkvertragsarbeiter beginnen sich zu wehren: Einen Tag nach einer NGG-Versammlung in Essen (Oldenburg) zum Thema trafen sich 106 ausländische Werkvertragsarbeiter mit Gewerkschaftssekretär Matthias Brümmer. Resultat: 70 Klagen werden eingereicht. Für Brümmer war es nach Jahren der Enttäuschungen etwas, was Mut macht. «Erst 400 Teilnehmer an der Veranstaltung, dann die vielen Werkvertragsarbeiter. Das Schweigekartell scheint endlich durchbrochen.»

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