München: DVA, 2012. 19,99 Euro
von Paul B. Kleiser
Das Buch der in Konstanz lehrenden Autorin Miriam Gebhardt mit dem Untertitel «Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor» ist nicht nur eine Kritik an den Positionen und der dominanten Rolle, die Alice Schwarzer, als Schülerin von Simone de Beauvoir, seit den 70er Jahren in der deutschen Frauenbewegung einnimmt. Es bringt einen Abriss der Entwicklung der deutschen und internationalen Frauenbewegung und geht der Frage nach, warum die Situation in Deutschland – verglichen mit anderen westlichen Ländern und selbst mit der Vergangenheit im Kaiserreich und in der Weimarer Republik – so provinziell ist. Eine erklärte Antifeministin wie Kristina Schröder konnte hierzulande Frauenministerin werden.
Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen in Redaktionen und an der Uni schildert Gebhardt zunächst die subtilen Formen der Nichtbeschäftigung mit den Ansprüchen und Wünschen von Frauen. Die neoliberale Wende mit ihrem Diskurs der «Wahlfreiheit», der so tut, als könne jeder und jede seinen Lebensstil frei wählen, macht es schwierig, das Unbehagen am Status quo zu artikulieren. Die Professorin McRobbie schrieb, dass «Selbsttechnologien wie Diäthalten, Fitness, Schönheitsoperationen, Ganzkörperenthaarung und so weiter nicht zufällig in einer Zeit immer wichtiger wurden, als die Aussichten von Frauen immer besser schienen. Umso größer die Chancen junger Frauen, durch Bildung und Erwerbstätigkeit unabhängig vom Mann zu werden, umso größer die Gefahr, dass die Geschlechterhierarchie stürzen würde, umso wichtiger wurde wieder die symbolische Grenzziehung zwischen Frauen und Männern als Rückversicherung der traditionellen Ordnung.»
Gebhardt weist die von Alice Schwarzer immer wieder vertretene Meinung, die Frauenbewegung müsse mit einer Stimme sprechen, entschieden zurück: «Zum Feminismus zählen alle Aktivitäten und Ideen zum Thema Gender ... mit dem Ziel der Veränderungen der Geschlechterbeziehungen im Interesse der Erweiterung individueller Handlungsoptionen und der Fortentwicklung der Gesellschaft. Feministisch sind sowohl die Rechtsbewegung, die diskriminierende Gesetze bekämpft, zum Beispiel beim Scheidungsrecht oder beim Frauenwahlrecht, als auch die Kulturbewegung, die den ‹zivilisatorischen Einfluss› der Frau gelten(d) machen will.»
Ob Frauen «zuviel oder zuwenig» Frau seien, hält sie zu Recht für eine fruchtlose Debatte. Sie zeigt auf, dass in der Geschichte seit Olympe de Gouges und Mary Wollstonecraft, den «Gründungsmüttern» der historischen Frauenbewegung, schon immer beide Positionen vertreten waren. Während erstere im Umkreis der Französischen Revolution sich vor allem für die rechtliche Gleichstellung der Frauen mit den Männern stark machte, vertraut letztere bereits der Idee einer notwendigen «Autonomie». Dasselbe taten die «Achtundvierzigerinnen» Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt, die Gründerinnen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), die dem «weiblichen Kultureinfluss» zum Durchbruch verhelfen wollten. Die kulturalistische Position konnte jedoch auch zu Hinwendungen «zum Irrationalen und Mystischem» führen, wie etwa bei Gertrud Bäumer und ihren Nachfolgerinnen in den späten 1970er Jahren. Bald spaltete sich die Frauenbewegung außerdem in eine «bürgerliche und eine proletarische Fraktion»; erstere kämpfte gegen Mädchenhandel und Prostitution, während für letztere die Geschlechterfrage nur eine soziale Frage war.
Diese Spaltung besteht im Grunde bis heute weiter. Gerade von jungen Frauen wird gegen Alice Schwarzer vorgebracht, sie mache die Frauenbewegung zur «Sittlichkeitsbewegung» und sei im Grunde «sexualfeindlich und prüde». «So wie die Konservativen vor allzu viel Liberalität in der Liebe warnten und das Abendland dem Untergang entgegendämmern sahen, identifizierte der Schwarzer-Feminismus die Sexualität als Dreh- und Angelpunkt des Elends der Frauen.» Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie inzwischen Angela Merkel gut findet, sich am Muslim-Bashing beteilige und in der Bild-Zeitung schreibt.
Gebhardt tritt für eine neue Frauenbewegung ein, die theoretisch auf der Höhe ist und vor allem alle Lebenslagen (von Frauen und Männern) konkret berücksichtigt. Man müsse Klasse, Ethnie und Geschlecht als sich wechselseitig beeinflussende Kategorien betrachten und weitere Faktoren wie Alter, Gesundheit, Bildung usw. in den neuen Ansatz, den sie «Lebenslagen-Ansatz als Prozessmodell» nennt, einbeziehen.
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