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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2013
Die politischen Kräfte blockieren sich gegenseitig
von Pedram Shahyar

Ägypten kommt nicht zur Ruhe. Im Dezember löste ein weiterer Griff der Moslembrüder zur Macht eine heftige Protestwelle aus, und der Jahrestag der Revolution am 25.Januar war von massiven Demonstrationen und Ausschreitungen begleitet. Neben Kairo und Alexandria waren dieses Mal die Hafenstädte um den Suezkanal das Zentrum der Revolte.

Am heftigsten waren die Auseinandersetzungen in Port Said. Hier waren vor einem Jahr im Stadion bei einem Fußballspiel Dutzende Anhänger der Auswärtsmannschaft «Al Ahwly» umgebracht worden. Alle vermuteten hier die Sicherheitskräfte am Werk, die sich an den revolutionären «Ultras Al Ahwly» rächen wollten. Im vergangenen Januar wurden nun zwanzig Anhänger der Mannschaft von Port Said vom Gericht zum Tod verurteilt.

Während diese Nachricht von Al-Ahwly-Fans mit Jubel begrüßt wurde, brachen in Port Said Massendemonstrationen aus – Demonstranten versuchten, das Gefängnis zu erstürmen und die Leute zu befreien. In den folgenden Tagen kamen über 40 Menschen ums Leben, auch Sicherheitskräfte. Allerdings waren hier nicht die Anhänger des alten Regimes am Werk, sondern die Bewohner. Es schien, als seien mit den Todesurteilen einfache Fans zu Bauernopfern geworden, um die wirklichen Verbrecher bei den Sicherheitskräften zu entlasten.

Die Proteste griffen auf die anderen Hafenstädte Suez und Ismailia über. Über diese Städte wurde Ende Januar der Ausnahmezustand und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Trotzdem demonstrierten tausende Menschen und durchbrachen zum ersten Mal seit der Revolution die Ausgangssperre – die Proteste dauern bis dato an. Aus Port Said wird von einer größeren Kampagne des «Zivilen Ungehorsams» berichtet.

Parallel zu diesen Unruhen gab es in Kairo und Alexandria Demonstrationen gegen die Muslimbrüder anlässlich der Feiern des Revolutionstags. Auch Mahalla, das Herz des industriellen Zentrum Ägyptens, war in den vergangenen Wochen eine Hochburg des Protests, kleinere Proteste gab es in den ländlichen Gebieten. In Kairo griffen Demonstranten den Präsidentenpalast an. Zwar waren die Demonstrationen kleiner als im Dezember, als hunderttausende auf die Straße gegangen waren, dafür aber militanter.

Für großes Aufsehen sorgte das Auftreten eines «Schwarzen Blocks» in Kairo und Alexandria. Militante Jugendliche griffen maskiert die Sicherheitskräfte an, blockierten die U-Bahnen und griffen die Hauptquartiere der Muslimbrüder an. Ende Februar nahm die Gewalt auf den Straßen zwar ab, aber Straßenproteste sind weiter an der Tagesordnung.

Hegemonieverlust der Islamisten
Die Auslöser der Proteste sind in den Regionen jeweils unterschiedlich, doch zeigen sie alle zusammen einen rapiden Hegemonieverlust der Islamisten. Deren Machtübernahme ist zu eindeutig von einem autoritären Geist geprägt und brachte mitnichten die erhoffte soziale Wende.

Im Gegenteil, die im November 2012 begonnenen Verhandlungen mit dem IWF kündigen ein drastisches Sparprogramm für die Bevölkerung an, während reiche Ägypter ihr Vermögen ins Ausland verschieben und damit einen Kurssturz des ägyptischen Pfund verursacht haben.

Die Muslimbrüder haben in den vergangenen Monaten die Kontrolle über die Straßen verloren und sind trotz aller Ansagen nicht imstande, den Protesten eigene größere Mobilisierungen entgegenzusetzen. Sie konnten zwar das Verfassungsreferendum gewinnen, aber die extrem geringe Wahlbeteiligung von etwa 30% verschaffte ihnen keine stabile Legitimität. Bei den Salafisten gab es eine größere Spaltung in ihrer Hauptpartei «Al Nour». Diese Partei hat sich mehr und mehr von den Muslimbrüdern distanziert und ist in einen Dialog mit der Opposition getreten.

Die Armee hält sich aus den politischen Konflikten heraus. Die eineinhalb Jahre an der politischen Macht haben ihr stark zugesetzt, und sie scheint sich vom alten Credo «Herrschen ohne zu regieren» nicht mehr entfernen zu wollen. Im Staatsapparat können sich die Muslimbrüder zwar punktuell und mit der Zeit ausbreiten, aber noch werden sie stark von den Eliten des alten Regimes blockiert. Hier bahnt sich zwar ein neues Bündnis zwischen den alten Eliten, der wirklichen Feloul, und den Islamisten an, aber dieser Prozess ist widersprüchlich und braucht seine Zeit.

Die Opposition, die sich in der «Nationalen Rettungsfront» zusammengeschlossen hat, dominiert zwar auf den Straßen, sie zeigt jedoch keine klaren Perspektiven auf, wie sie die politische Macht der Muslimbrüder herausfordern will. Sie deutet an, dass sie die kommenden Parlamentswahlen wieder boykottieren will, weil sie nicht fair verlaufen werden.

Die Nationale Rettungsfront ist recht breit aufgestellt. Ihre wichtigsten Aushängeschilder sind El Baradei und seine Partei El Dastour (Die Verfassung), sozialdemokratisch orientiert, und Halden Sabahii und seine Partei Tayare Shaabi (Strömung des Volkes), nasseristisch-sozialistisch orientiert.

Aber auch wirtschaftsliberale Kreise und gemäßigte Figuren aus dem alten Regime wie Amr Moussa sind in ihr vertreten. Die Nationale Rettungsfront ist zwar als Opposition inzwischen eine wirkliche Macht im Lande und kann die Regierung der Islamisten immer wieder blockieren und vor sich her treiben, sie ist aber nicht imstande, sich gegen die Koalition von Islamisten, Armee und den alten Eliten an die Macht zu bringen.

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