Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2013

Vor 25 Jahren starb Rose Ausländer
von Peter Fisch

Die Vielvölkerstadt Czernowitz, Hauptstadt der Bukowina, am östlichsten Rand der versunkenen Habsburgermonarchie gelegen und heute zur Ukraine gehörend, wurde 1901 der Geburtsort der Rosalie Beatrice Ruth Scherzer. Fast das ganze 20.Jahrhundert umschließt das Leben der deutsch-jüdischen Dichterin: zwei Weltkriege, Flucht und Vertreibung, Shoah und Exil. Sie wurde zur Nomadin, die, nach dem Verlust der Heimat, zwischen Europa und Amerika unentwegt pendelte.

Ihr Versuch, sich an einem Ort der Erde erneut zu verwurzeln, war vergeblich. So konnte sie allein in der Sprache ihre Heimat finden. Einzig «unser verwundetes/geheiltes Deutsch», das «Mutterland Wort» blieb ihr – wie auch die «eingebrannten Jahre» des «Aschensommers», der Sommer der Konzentrationslager, der «Raum aus Rauch». In den Kellerverstecken ihrer Heimatstadt war sie knapp der Vernichtung in einem Todeslager der Nazis entgangen. Von den insgesamt 60.000 in Czernowitz lebenden Juden wurden 50.000 Opfer der nazistischen Vernichtungspolitik.

So findet sich die Shoah als Metatext in all ihren Gedichten. Mit Paul Celan teilte Rose Ausländer (1923 ging sie die Ehe mit Ignaz Ausländer ein) zwar Heimat und jüdische Herkunft, aber ihre literarische Entwicklung verlief deutlich langsamer. Während Celans Grunderfahrung die Heillosigkeit des jüdischen Daseins war, setzte Ausländer das ästhetische Credo der Hoffnung dagegen, die sie am Leben hielt, als die Kinderwelt Czernowitz in Schrecken, Verfolgung und Todesangst unterging.

Erst in den siebziger Jahren wurde Ausländer im deutschen Sprachraum bekannt, obwohl erste Gedichte von ihr bereits 1931 in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden. 1939 erschien, unterstützt von Alfred Margul-Sperber, eine Integrationsfigur der Czernowitzer Literaten, die erste Buchpublikation, Der Regenbogen, im Verlag Literaria. Die frühe Lyrik Ausländers folgte einer strengen Metrik, kunstvoller Architektonik, inhaltlich geprägt von  Natur und Landschaft ihrer Geburtsstadt. Sehnsuchtsverse, die an die verlorene Heimat, die Bukowina, erinnern.

Die Begegnung mit amerikanischen Dichtern der Moderne (Ausländer lebte seit 1946 wieder in den USA) wie Marianne Moore war der Impuls, einen dichterischen Neuanfang jenseits der «Blumenworte» zu wagen. Der eigentliche Wandel ihres Stils vollzog sich jedoch Jahre später unter dem Einfluss Celans. Aus der genuin neoromantischen Lyrikerin entwickelte sich eine moderne Autorin, die in freirhythmischen Versen schrieb, ohne die gewohnten grammatischen und syntaktischen Strukturen aufzugeben.

Eine zweite Buchpublikation folgte unter dem Titel Blinder Sommer. Sie konzentrierte sich auf spannungsreich aufgeladene Einzelwörter in einem Netzwerk von Metaphern, zunächst (von 1948 bis 1956) ins Englische flüchtend, um nicht in der «Sprache der Mörder» zu schreiben. Celan, den Ausländer 1957 (seit 1944 kannte sie ihn) in Paris traf, war voller Bewunderung über die Intensität ihrer Dichtungen, die sie später nie mehr erreichen sollte.

1965 übersiedelte Rose Ausländer in die BRD, schrieb unentwegt weiter, imaginative Räume schaffend, Erlebtes und Gegenwartserfahrungen widerspiegelnd, immer wieder das Durchlittene als permanentes Leitmotiv ihres Schaffens darstellend. Sie wurde mit mehreren Literaturpreisen geehrt.

Als Frau, Jüdin und Lyrikerin hatte sie lebenslang eine dreifache Bürde zu tragen. Bildung, Ausbildung, das selbständige berufliche Fortkommen und das Leben außerhalb bürgerlicher Normen musste sie sich ertrotzen und unter großen Opfern gegen Widerstände ankämpfen. Selbst nichtreligös, hatte Ausländer dennoch nie aufgehört, sich zum Judentum zu bekennen. Ihr letzter Zufluchtsort war das Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf. Hier, im jüdischen Altersheim, verbrachte sie die letzten Lebensjahre. Am 3.Januar 1988, nach 15-jähriger «Matratzengruft», zunehmend vereinsamend, ist Rose Ausländer verstorben. Insgesamt hat sie 2400 Gedichte und einige Prosatexte veröffentlicht. Bis heute liegen über 90 Buchpublikationen vor.

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