Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2013
Zum Artikel von Ulrich Peter, «Wilder Streik – das ist Revolution!», SoZ 2/2013
von Peter Bach

Man könnte ein interessantes Spiel daraus machen: Nimm drei Sätze aus einem Artikel und mache einen anderen daraus – nicht als böses, sondern als kreatives Spiel.

Die drei Sätze aus Ulrich Peters Artikel lauten:

1. Die Schlagzeile von Springers Bild: «Deutsche Arbeiter kämpfen ihr Werk frei» markiert das Desaster dieses Arbeitskampfs.

2. Pierburg ist ein Lehrstück dafür, wie eine konfliktorientierte emanzipatorische Gewerkschaftsarbeit Lernprozesse befördern (nicht schaffen!) und unterstützen kann, und wie die Selbstbewusstwerdung von Arbeiterinnen und Arbeitern verläuft.

3. Beide (das Buch und die DVD über den Pierburg-Streik) regen auch an, darüber nachzudenken, wann und unter welchen Bedingungen Menschen anfangen, für ihre Interessen solidarisch zu kämpfen und was heute daraus zu lernen ist.

Soweit die drei Sätze!
Vorweg zum Ford-Streik: Meiner Meinung nach war nicht der Streik das Desaster, sondern die ideologische Verkommenheit der örtlichen IG Metall einschließlich ihrer betrieblichen Organe. Und ich möchte das «Nichtdesastermäßige» des Streiks dadurch veranschaulichen, dass ich zu zeigen versuche, wo ich in ihm «das Lehrstück [sehe], wie eine konfliktorientierte emanzipatorische Gewerkschaftsarbeit Lernprozesse befördern (nicht schaffen!) und unterstützen kann».

Der Streikablauf
Dazu muss ich kurz auf den Streikablauf eingehen.
Der Streik begann am Ende einer langen Reihe von 1973-er Arbeitskämpfen (über 100) in einer politisch hoch aufgeladenen Atmosphäre. Pierburg und Hella waren im Ford-Werk in Köln heftig diskutiert worden, die verschiedenen linken Gruppierungen standen sich mit Flugblättern und Zeitungen vor den Toren auf den Füßen und bei Opel gab es Warnstreiks. Sogar die bürgerliche Presse hatte Häme über die IGM ausgeschüttet angesichts der skandalösen Tarifabschlüsse bei boomenden Gewinnen. «Die Kölner Fordarbeiter», ein Zusammenschluss von verschiedenen deutsch/türkisch/italienischen K-, Sponti- und Anarchogruppen, hatten sich auf der Betriebsversammlung am 13.8. bemüht, eine «60-Pfennig-mehr»-Losung durchzusetzen, was aber nicht gelang, stattdessen hatte es auf der deutschen Versammlung Beifall gegeben, als der Personalchef verkündete, dass man nicht mehr länger tatenlos zusehen würde, wie die türkischen Kollegen ihren Urlaub überziehen. Das war wahrlich nicht ermutigend.

Dann brach am Freitag den 24.August 1973 der Streik aus. Anlass war das höllische Arbeitstempo und die Personalknappheit am Montageband in der Endfertigung. Erst stand das Band, dann stand die ganze Halle und dann marschierten die Kollegen in einem stetig wachsenden Demonstrationszug, von Halle zu Halle, vom Ost- zum Westgelände, und einige Stunden später stand das ganze Werk.
Sicherlich kein Desaster, sondern ein fast bilderbuchmäßiger Akt sozialer Emanzipation!

Ich arbeitete damals in der W-Halle, dem Motorenwerk, der drittletzten in der Reihe der Hallen. Als die Nachricht vom Streik eintraf, wurden die Maschinen vorsorglich abgestellt, denn, so der Tenor von deutschen Vor- und Facharbeitern: «Die Türken schlagen sonst alles kurz und klein.» (Bei einem Warnstreik 1970 musste es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sein, weil die Kollegen aus der Türkei nicht richtig verstanden, warum man, kaum dass man endlich mal was unternommen hatte, schon wieder anfangen sollte zu arbeiten.)

Nicht, weil ich jemanden anschwärzen möchte, nur um die Situation zu veranschaulichen: Die Werkstätten der Schlosser und Elektriker lagen in Karrees in der Halle verteilt. Zumindest die zu unseren Bändern Gehörigen verbarrikadierten sich in ihren Werkstätten.

Als die Demonstration kam, waren es überwiegend Kollegen aus der Türkei, aber es waren auch kleine Gruppen von andern mitgekommen. Eine auffällige Besonderheit war, dass sich in der letzten, der Z-Halle, eine große Gruppe von Werkzeugmachern, auffällig in ihren hellen Arbeitsanzügen, anschloss.
Soweit der Start.

Eine Mark mehr
Es kam, wie vielleicht bekannt, zu einer Streikkundgebung vor dem M-Gebäude, der Verwaltung, die Nachtschicht wurde abgesagt, kurioserweise fuhren am Samstag die Früh- und die Spätschicht je eine Überschicht, und am Montagmorgen ging es, als wäre es selbstverständlich, an der gleichen Stelle mit einer ähnlichen Demonstration wieder los.

Die «Kölner Fordarbeiter» waren natürlich am Wochenende aktiv gewesen und es gelang einigen auch, zum «Wiederstreikbeginn» vor Ort zu sein, die IGM war es auch. Aber es wird wohl niemand anzweifeln, dass die hohe Dynamik der Bewegung weder der einen bedurfte, damit sie sich wieder in Gang setze, noch der anderen, von denen sie sich hätte abhalten lassen.

Wie am Freitag kam es zu einem, jetzt viel mächtigeren, Zug durchs Werk und zu einer abschließenden Versammlung vor dem M-Gebäude. Unterwegs waren heftig Forderungen diskutiert und vereinzelt auch schon auf Pappen und Tüchern aufgeschrieben worden. 60 Pfennig und 90 Pfennig hatten keine Chance. «Bir Mark sam – Eine Mark mehr», war die unverhandelbare Losung der Streikenden. Bezeichnenderweise war es ziemlich genau der Betrag, den die deutschen Kollegen mit drei Lohngruppen den Kollegen aus der Türkei voraus waren (6,73 zu 7,66 DM von Lohngruppe 4 nach Lohngruppe 6). Dazu kamen die sechs Wochen Urlaub (dann hätte man auch darüber diskutieren können, ob man pünktlich zurückkommt, was bei drei Wochen Werksferien nicht möglich war

Vor dem M-Gebäude, türkische Kollegen hoch motiviert auf dem Platz, deutsche Kollegen etwas demotiviert am Rand, wollte keine rechte Kommunikation zwischen den Streikenden und der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat zustande kommen. So wurde von vielen Seiten der Ruf nach Bildung einer Streikleitung laut. In kurzer Zeit waren die Kandidaten gefunden, wurden jeweils auf eine Kiste gestellt und durch Applaus angenommen.

Über die demokratischen Regeln dieses Prozesses kann man lange streiten, aber da die Streikleitung nur organisatorische Funktion hatte, wenig Macht, keine Verhandlungsvollmacht, viel Arbeit, und außerdem einige Mitglieder relativ schnell wieder ausgetauscht wurden, war wohl auch nicht von so großer Bedeutung, wer es war, sondern dass sie da war.

Von zwei Mitgliedern kann man sagen, dass sie für den Verlauf und Zusammenhalt des Streiks stetig an Bedeutung gewannen: Baha Targün, der deutsch-türkisch sprechende «Streikführer», und Dieter Heinert (Missouri), sein deutsches anarchistisches Pendant.
Die Bildung und Gewichtung einer Streikleitung war in meinen Augen weit entfernt von einem Desaster, sondern eine hoch effektive, angemessene Form, mit der sich die Bewegung eine Organisation gab.

Diese hat immerhin von Montag bis Donnerstag, mit leichter Hand, bei einer Werksbesetzung mit hunderten und tausenden Menschen das organisiert, was die Leute nicht selbst organisieren konnten: die Verpflegung, die Organisation der Tore, den streikeigenen Werkschutz…

Der Überfall
Die deutschen Kollegen blieben in den folgenden Tagen zu Hause und warteten jeweils am Radio, wann sie wiederkommen durften, die Kollegen aus der Türkei kamen jeden Tag wieder

Die Dynamik des Kampfes entwickelte sich im umgekehrten Verhältnis zu den Stimmen der «Anführer». Während diese von Tag zu Tag durch zunehmende Heiserkeit an Kraft verloren, verfünffachte sich z.B. die Zahl der Besetzer in der Nacht von 400 auf 2000. Die Zahl der Teilnehmer an den morgendlichen Demonstrationen zu Beginn des Streiktags durchs ganze Werk nahm nicht ab, sondern zu.

Ford registrierte das und versuchte am Mittwoch, durch Verhandlungen mit der Streikleitung ein organisiertes Ende des Streiks zu erreichen. Vorher hatte die Geschäftsleitung darauf bestanden, dass sie nur mit den «gewählten Vertretern» verhandeln und sich nicht dem «Druck der Straße» beugen würden. Als diese Vertreter sich als Micky-Mäuse herausstellten, nahm sie dann doch mit den wirklich autorisierten Vertretern vorlieb

An diesem Tag wurde das eingeleitet, was andere nachher als desaströsen Ausgang des Streiks ansahen: Die Streikleitung durfte nicht verhandeln! Die Forderungen standen! Jedesmal, wenn ein wirklich lächerliches, unangemessenes Angebot von Geschäftsleitung und Betriebsrat auf dem Platz verkündet wurde, gab es ein lautes Geschrei, bis die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen wurden.

An dem Tag beschlossen Geschäftsleitung, IG Metall und Betriebsrat den Polizeieinsatz für den nächsten Tag. Und so kam es, dass am nächsten Morgen die Demonstration mit hoher aggressiver Gewalt angegriffen, durch das Schließen von Hallentoren in mehrere Teile aufgespalten wurde und die vorwegmarschierende Streikleitung verhaftet werden konnte. Der Verlauf des Überfalls beweist eine strategische Durchführung der Aktion durch erfahrene Kräfte der Polizei in Zusammenarbeit mit Kennern der Werksstruktur. Wilfried Kuckelkorn, der Leiter des Vertrauensleutekörpers der IGM und starke Mann des Betriebsrats, rühmte sich nachher der ständigen, engen und guten Zusammenarbeit mit der Kripo.

Die Art und Weise, wie geprügelt wurde, beweist aber auch, dass eine große Zahl im Prügeln unerfahrener Akteure mit am Start waren. Über die wird weiter gerätselt. Gegen die im Artikel als Beweis für ein Desaster angeführte Bild-Schlagzeile «Deutsche Arbeiter kämpfen ihr Werk frei» spricht, dass mir in 40 Jahren – und über den Ford-Streik ist eine Menge diskutiert worden – keiner bekannt wurde, der gesagt hat: Ich habe den oder den aus dem Werk erkannt. Ich habe nach dem Streik noch einige Monate im Werk gearbeitet und bin erst nach der nächsten Betriebsversammlung gefeuert worden. Mir ist in den heftigen Debatten keiner begegnet, der gesagt hat: «Der und der war bei der Gegendemo dabei.»

Die Vermutung, dass Leute angeheuert worden sind, kann ich insofern nachvollziehen, als sowohl Ford, wie auch der Betriebsrat sich bei ihrem Bild von den «unberechenbaren Türken» schwer getan haben könnten, eigene Leute gegen unsere Demo zu schicken und sie der Gefahr auszusetzen, sie noch Monate und Jahre danach im Werk erkannt und damit gefährdet zu werden.

Lehren
Sind wir «sehenden Auges» in die Niederlage gerannt?
Einerseits ja, denn wir hätten uns ausrechnen können, dass diese ultimativ aufgestellten und vorgetragenen Forderungen so, zumindest in dem Jahr, nicht angenommen werden würden. Ford wollte nichts anbieten, was zu einem Einlenken hätte führen können. Dass Ford uns nicht noch lange so wirken lassen würde, konnten wir uns auch ausrechnen. Aber ich glaube, es hat in der Geschichte zahlreiche Situationen gegeben, wo gekämpft wurde, weil es der einzige Weg war, um seinem eigenen Anspruch ans «Menschsein» gerecht zu werden, auch wenn die Niederlage absehbar war.

Zum letzten der drei Sätze («…darüber nachzudenken, wann und unter welchen Bedingungen Menschen anfangen, für ihre Interessen solidarisch zu kämpfen und was heute daraus zu lernen ist»): Im August dieses Jahres jährt sich der Ford-Streik zum 40.Mal – vielleicht ein Anreiz, an seinem Beispiel genau das zu tun, was oben empfohlen wird. Und wenn dieser aus subjektiven Eindrücken und vielen Diskussionen entstandene Artikel dazu beiträgt, würde es mich freuen.

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