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Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2013

DIE LINKE in Zeiten des Maulwurfs
von Ingo Schmidt

Der Sozialstaat erfreut sich großer Beliebtheit. Würde sich die Unterstützung, die er in Meinungsumfragen regelmäßig einfährt, in Wählerstimmen umsetzen, wäre DIE LINKE die stärkste der Parteien. Zwar bekennen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien mehr oder weniger, die FDP eher gar nicht, zum Sozialstaat. Mit Ausnahme der LINKEN steht dieses Bekenntnis aber bei allen anderen Parteien unter dem Vorbehalt internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Profitmaximierung. Meinungsumfragen belegen auch eine gehörige Skepsis gegenüber der Funktionsfähigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems. An Nachfrage nach einer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit und weniger Diktatur des Profits fehlt es also nicht.

Trotzdem entwickelt sich das Angebot der LINKEN immer mehr zum Ladenhüter. Gegenüber den rund 8%, die die PDS vor 2007 in Umfragen erhielt, legte die LINKE nach ihrer Gründung rasch auf Werte von 12 bis 14% zu, erreichte bei den Bundestagswahlen im September 2009 11,9% und zog in eine Reihe westdeutscher Landtage ein. Im Sommer 2010, zeitgleich mit der Eskalation der Eurokrise, setzte jedoch der Niedergang ein, mittlerweile ist die Partei aus den Landtagen in Niedersachsen und Nordrhein Westfalen wieder rausgeflogen und in Umfragen auf Werte von 6 bis 7% zurückgefallen.

Zum Teil kann dieser Niedergang auf die Mischung aus Kooptation und Ausgrenzung zurückgeführt werden, mit der die anderen Parteien der LINKEN begegnen. Die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, mit der sich die LINKE profilieren wollte, ist längst parteiübergreifend akzeptiert, inzwischen will ihn nicht mal mehr die FDP ausschließen. Erfolglos blieben auch ihre Versuche, mit der Ablehnung von Hartz IV über den Zeitpunkt der Parteigründung hinaus zu punkten. Die LINKE hat das Abflauen der Bewegung überlebt, gleichzeitig konnte die SPD aber ihren Ruf als Partei der sozialen Gerechtigkeit wieder herstellen. Sofern sie die Zügel in der Hand behält, lässt sich die SPD durchaus auf Tolerierung durch bzw. Koalitionen mit der LINKEN ein, nutzt diese aber erfolgreich dazu, die Konkurrentin auf das Niveau einer profillosen Mehrheitsbeschafferin herabzudrücken. In diesem Bemühen kommt ihr die LINKE durchaus entgegen. Innerhalb der Partei wurde Regierungsbeteiligung oder eine sonst wie geartete Zusammenarbeit zur obersten Priorität - auch wenn die bisherigen Koalitions- und Tolerierungserfahrungen zeigen, dass die LINKE sich dadurch selbst ins Abseits stellt.

Weshalb ist es Linken innerhalb und außerhalb der Partei nicht gelungen, den regierungssozialistischen Kurs aufzuhalten? An Versuchen, einen linken Gegenpol durch außerparlamentarische Mobilisierungen aufzubauen, hat es nicht gemangelt. Sicher: Mit den Massenstreiks und Protesten in Südeuropa oder Occupy Wall Street waren Blockupy und die Demos «Wir bezahlen nicht für eure Krise» in Deutschland nicht einmal annähernd zu vergleichen. Beim Mobilisieren von Protest waren Stuttgarts Wutbürger allerdings erfolgreicher als Linke innerhalb und außerhalb der gleichnamigen Partei. Hieran lässt sich einiges über Umgruppierung und Verunsicherung der Mittelklasse ablesen. Gleichzeitig muss man festhalten, dass sich Gewerkschaften, prekär Beschäftigte oder Arbeitslose seit den Anti-Hartz-Protesten kaum gerührt haben.

In der Schwäche der Linken spiegelt sich die Tatsache, dass diejenigen, die in Umfragen über mangelnde soziale Gerechtigkeit klagen und ihre Skepsis gegenüber dem bestehenden Wirtschaftssystem äußern, noch weit davon entfernt sind, sich für eine Veränderung der Zustände in Bewegung zu setzen. Weiterhin akzeptiert wird, dass Sozialleistungen und gerechtere Mindeststandards gegenüber den Anforderungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nachrangig sind.

Der Exportkonsens, der sich in den Jahren des Wirtschaftswunders herausgebildet und danach ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat, ist trotz der Legitimationsschwäche des Kapitalismus intakt. Erst der Export, dann die Beschäftigung und ganz zum Schluss die soziale Umverteilung: So haben sich Adenauer und Erhard das Wirtschaftswunder vorgestellt, so deklinierte Schmidt das Modell Deutschland in den 70er Jahren. Mit dem Hinweis, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, um den Sozialstaat zu erhalten, hat Schröder die Agenda 2010 begründet und Merkel in der Eurokrise die Stabilisierung der deutschen Wirtschaft betrieben.

Nachhaltig ist dieses Modell nicht. Die deutschen Exporterfolge haben nicht nur erheblich zum Ausbruch der Eurokrise beigetragen, weil sie die Länder der europäischen Peripherie zuvor in Importdefizite und Auslandsverschuldung getrieben haben. Sie wurden zudem mit einer enormen Ausweitung von ungesicherten und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen erkauft. Dem ist zu verdanken, dass die Hoffnung auf Beteiligung am allgemeinen Wohlstand am unteren Ende der sozialen Leiter immer mehr in Resignation umschlägt und in den mittleren Lagen Absturzängste ins Kraut schießen.

Genau diese Kombination von Resignation und Angst macht den kurzfristigen politischen Erfolg der Merkellinie aus: An den Ausbau des Sozialstaats nach erfolgreich bestandener Weltmarkteroberung glaubt zwar kaum noch jemand, aber, so hoffen die Verängstigten, ein kritikloses «Weiter so» verhindert vielleicht die Herabstufung auf Hartz-IV-Niveau.

Solange die Mitte ruhig bleibt, fehlt unten der Anstoß zur Überwindung der Resignation. Die Hartz-IV-Proteste haben ja gerade deshalb stattgefunden, weil sich Menschen damals gegen ihre ökonomische und soziale Abwertung gewehrt haben. Wenn diese dennoch erfolgt, macht sich Enttäuschung breit, weitere Mobilisierungen werden dann schwerer.

Allerdings untergräbt der Maulwurf der unbedingten Exportorientierung den politischen Stabilisierungserfolg, den Merkel gern bei internationalen Konferenzen als Beleg für die Überlegenheit des Modells Deutschland anpreist. Während sich nämlich Aktionäre im vergangenen Jahr über Rekorddividenden freuten, Banker wieder ungeniert Boni kassierten und Börsenhändler den Dax fast auf die Höchstwerte vor der Krise 2008/09 heraufhandelten, kriechen Produktion und Beschäftigung in die Krise. Die Sparprogramme, die anderen Ländern als Einstiegsbedingung in das deutsche Exportmodell verschrieben wurden, zeigen ihre Wirkung. Sie ziehen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dieser Länder nach unten und verkleinern die Märkte, die deutsche Exporteure erobert hatten.

Bis zur Bundestagswahl hoffen Merkel, Steinbrück, Trittin und Rösler sich noch durchzuhangeln. Zahltag ist nach der Wahl. Statt Sicherung des Sozialstaates geht es dann wieder ans Kürzen.

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