Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2013
Die Kirche hütet die absolute Wahrheit, aber das Haus ist schlecht bestellt

von Paul B. Kleiser

Der greise Bayer aus Marktl am Inn, der aus einer stockkonservativen und strenggläubigen Gendarmenfamilie stammt, konnte die Krisen und Skandale der katholischen Kirche in ihrem Ausmaß nicht erkennen, geschweige denn abstellen. Allein in Deutschland sind seit seinem Amtsantritt 2005 über eine Million «Gläubige» aus der Kirche ausgetreten. Im ganzen Norden leeren sich die Kirchen zusehends, und das Alter der Gläubigen nimmt rapide zu.

Offensichtlich war Benedikt XVI. mit der Krise und den zahllosen Skandalen – auch in seiner nächsten Umgebung – überfordert. Nur langsam scheint er zu begreifen, dass die aktuelle Krise der Kirche nur mit der in der Zeit der Französischen Revolution verglichen werden kann. Daher kann man seinen Rücktritt, der erste eines Papstes seit 1294 (Coelestin V.), als konsequent bezeichnen.

Obwohl Joseph Ratzinger während des II.Vatikanischen Konzils als Berater des Kölner Kardinals Frings eher dem liberalen Flügel der Theologen zugerechnet wurde, wandelte er sich in den späten 70er Jahren zu einem Vorkämpfer gegen den Marxismus (oder was er dafür hielt) und wurde vom Polenpapst Woityla, der in gleicher Mission unterwegs war, aber über eine im Vergleich zum deutschen Professor geringere theologische Bildung verfügte, passenderweise zum Chef der Glaubenskongregation (früher Inquisition) berufen. Sogleich führte er sich in Rom als «Panzerkardinal» auf. Vor allem die Theologen der «Befreiungstheologie» in Lateinamerika und auf den Philippinen nahm er ins Visier und versuchte ihnen beizubringen, dass die katholische Kirche das Heil eben nicht im Diesseits, sondern im Jenseits sucht. Die rückwärtsgewandten antikapitalistischen Aspekte, die in der katholischen Kirche wegen ihrer Herkunft aus dem europäischen Mittelalter immer eine gewisse Rolle spielen, wurden von ihm ganz an den Rand gedrängt.

Einseitige Dialoge und vorletzte Wahrheiten

Joseph Ratzinger war ein Dogmatiker durch und durch. Nil salus extra ecclesiam – außerhalb der Kirche ist kein Heil – war sein Wahlspruch. Er sah seine Hauptaufgabe in der Bekämpfung des modernen «Relativismus», weil allein die Kirche die absolute Wahrheit verkörpere. Seine Dialogangebote waren daher immer Gesprächsangebote an Menschen, die nur teilweise recht haben konnten.

Deshalb schrieb er von den protestantischen Strömungen, sie seien «keine Kirchen im eigentlichen Sinne», denn sie könnten diesen absoluten Wahrheitsanspruch nicht erheben bzw. seien bereits dem modernen Relativismus anheimgefallen. Mit den Orthodoxen Kirchen hätte er bezeichnenderweise kein Problem gehabt, sofern sie nur den römischen Papst als Oberhaupt anerkannt hätten – genau aus diesem Grund aber kam ein lange geplantes Treffen mit dem Moskauer Patriarchen nicht zustande.

Ratzinger weiß natürlich um die Verfehlungen der Kirche und ihrer Gläubigen (incl. Klerus), doch er vertritt die von Augustinus stammende, spätantike Vorstellung, dass die Kirche auch noch durch ihre historischen Verfehlungen hindurch als letzte moralische bzw. metaphysische Autorität erscheint. Während der Protestantismus sich allein auf Christus, die Schrift und die Gnade beruft, gilt für den Kirchenlehrer das große UND: «Schrift UND Tradition, Gewissen UND Wahrheit, Erfahrung UND Lehre, Subjektivität UND objektive Wirklichkeit, eigenes Denken UND Gehorsam im Glauben».

Doch seit den 1960er Jahren geht die Mehrheit der katholischen Welt in eine andere Richtung; der große Demokratisierungsschub seit dieser Zeit bedeutet, dass man die anderen als gleichberechtigt anerkennen muss, sie also auch recht haben können und es daher nur «vorletzte Wahrheiten» geben kann. Nachdem Ratzinger gesehen hatte, dass eine Rückkehr zur Alten Kirche nicht gelingen konnte, wandelte er sich zum verkrampften Restaurator, dem alle autoritätskritischen (etwa Hans Küng), ökumenischen und vor allem politisch ausgerichteten Strömungen in der Kirche ein Gräuel waren und gegebenenfalls abgestraft wurden.

Europa

Ratzinger war auch Vordenker einer Vorstellung von Europa, die weit über die Kirche hinaus wirkt. Für ihn war «Europa» die Vereinigung von Athen und Jerusalem, von Agora und Tempel, von der rationalistischen Tradition des Hellenismus und christlichem Glauben. Diese Vorstellung von europäischer Identität schließt vor allem den Islam (aber auch andere Strömungen) aus dem «gemeinsamen Erbe» aus. Liest man seine berüchtigte «Regensburger Rede» von 2006, in der er den byzantinischen Kaiser Manuel II. zitierte, genau, dann drohen dem «christlichen» Europa zwei Gefahren, nämlich die Säkularisierung und der Zuzug der Muslime, deren sichtbare Religionsausübung die katholische Kirche als große Herausforderung empfindet.

Sicherlich lässt sich mit Ratzinger fragen, was Mohammed denn Neues gebracht habe. Aber seine Kritik, er habe die Religion mit dem Schwert verbreitet, der Glaube könne jedoch nur in Freiheit gedeihen, fällt auf ihren Urheber zurück: Betrachtet man die Leichenhaufen, die beide Religionen in der Geschichte aufgehäuft haben, dürfte die katholische Kirche die Nase durchaus vorn haben! Man muss sich also nicht wundern, dass auch liberale Muslime die Rede als Zumutung empfanden. Außerdem sollte ein Ratzinger wissen, dass gerade die von ihm hochgehaltene Tradition der alten Griechen, Platon und Aristoteles, durch arabische Wissenschaftler und Philosophen ins spätmittelalterliche Europa vermittelt wurde und der Islam somit – auch historisch – zu Europa gehört!

Sex and crime

Besonders deutlich ist jedoch das Scheitern des Papstes an der Kirche und am Vatikan. Nichts hat der Kirche mehr geschadet als die zahllosen Sex- und Missbrauchsskandale, die in fast allen Ländern zum Vorschein gekommen sind, in denen die Kirche Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser usw. unterhält.

Missbrauch und Gewaltexzesse haben in der katholischen Kirche eine lange Tradition, doch erst der Abbau von Tabus in den letzten dreißig Jahren hat dazu geführt, dass immer mehr Opfer an die Öffentlichkeit gehen. Wegen der (im Vergleich zu Europa) anders gelagerten Rechtsprechung soll die Kirche in den USA bereits über 5 Milliarden Dollar an Strafe und Entschädigung für die Verbrechen ihrer «Seelsorger» bezahlt haben; viele weitere Verfahren laufen noch. Kurz vor dem Ende des Pontifikats von Benedikt XVI. musste der einzige schottische Kardinal O’Brien wegen sexueller Verfehlungen mit Pfarrern seinen Rücktritt einreichen.

Untersuchungen zeigen, dass trotz (oder wegen) der katholischen Homophobie etwa ein Viertel aller Priester schwul ist. Immer mehr von ihnen sind heute bereit, die Heuchelei zu beenden und ein «Coming-out» zu wagen.

Die verbrecherische Seite der Kirche wird auch in einem anderen Bereich sehr deutlich, nämlich den Finanzen. Es gibt Hinweise darauf, dass der 33-Tage-Papst Luciani (Johannes Paul I.) keines natürlichen Todes starb, weil er mit dem Finanzgebaren der Vatikanbank IOR («Institut für religiöse Werke») aufräumen wollte. Andere Mitarbeiter der Bank, etwa Michele Sindona oder Roberto Calvi, wurden mit Zyankali umgebracht oder unter einer Londoner Brücke erhängt. Neben der Londoner City und den Kanalinseln ist der Vatikan die größte Geldwaschanlage des Kontinents! Hier wurden Mafia- und Drogengelder gereinigt, und die heilige Kasse diente immer wieder auch der Bestechung italienischer Politiker (siehe etwa Andreotti). Natürlich verfügt die Vatikanbank auch über eine Filiale auf den Cayman-Inseln, die als «Missionsgebiet» direkt Rom unterstellt sind.

Gegenwärtig bekommt man an den Bankautomaten des Vatikans kein Geld mehr, weil die italienische Finanzpolizei gegen das IOR ermittelt. Die 1942 gegründete Bank unterhielt Nummernkonten und nahm Überweisungen unbekannter Herkunft an. Gegenüber den italienischen Behörden berief sie sich stets auf die Souveränität des Vatikans. In vielen Ländern besitzt die Kirche Immobilien und Geldanlagen in Milliardenhöhe, deren Wert und Erträge durch ein komplexes Netz der Verschleierung und der Geheimhaltung unsichtbar gemacht werden. Zwar hat der Vatikan versichert, er wolle sich fortan an die Geldwäscherichtlinien der Europäischen Union halten, doch in den letzten Jahren wurden Überweisungen von jeweils etwa 200 Mio. Euro nicht nach diesen Richtlinien gebucht.

Der verantwortliche Kardinal Bertone versucht, die italienischen Behörden dazu zu bringen, dass sie die Gelder wie üblich freigeben, doch die Zeiten, da der Vatikan in Berlusconi einen verlässlichen Partner hatte, scheinen vorbei zu sein (immerhin zahlen die Italiener eine Milliarde Euro Kirchensteuer an den Vatikan!). Der für das IOR verantwortliche Manager Ettore Tedeschi, der dem Opus Dei nahesteht, wurde im Mai 2012 gefeuert und – wohl nach längeren Auseinandersetzungen auf Druck des Papstes – durch den schwäbischen Wirtschaftsanwalt Ernst von Freyberg ersetzt.

Nach wie vor gibt es für das IOR keine öffentliche Rechnungslegung; viele kirchliche Orden und Einrichtungen besitzen Dutzende von Konten, deren Buchungen kaum nachprüfbar sind. So unterhielten die angeblich ganz armen «Missionare des kostbaren Blutes» nicht nur einen Ring der Knabenprostitution, sondern machten auch glänzende Geschäfte mit Immobilien innerhalb und außerhalb des Vatikans und schmierten Politiker der Berlusconi-Regierung. Der verantwortliche Pfarrer Biasini, den die Römer «Don Bankomat» nennen, hat inzwischen Hausarrest.

Die Krise und Skandale der katholischen Kirche haben mittlerweile ein solches Ausmaß erreicht, dass der kommende Papst nicht mehr, wie Benedikt, fromme Reden halten und die Kurie gewähren lassen kann. Wie sagt doch Paulus so tröstlich (über die von ihm gegründete Kirche?): «Wir wissen, dass dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist, sondern dem Ungerechten und Ungehorsamen, den Gottlosen und Sündern, den Unheiligen und Ungeistlichen, den Vatermördern und Muttermördern, den Totschlägern, den Unzüchtigen, den Knabenschändern, den Menschenhändlern, den Lügnern, den Meineidigen und was noch anderes der gesunden Lehre zuwider ist.>>

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