Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2013
Landwirtschaft in der Stadt

von Angela Huemer

Das sog. Urban gardening mit seiner Unterform des Guerilla gardening breitet sich immer mehr aus. Neben Selbstverwirklichung und Hobby dient es vermehrt auch zur Selbstversorgung. Ähnlich wie Socken und Pullover gern wieder selbst gestrickt werden, sprießt und gedeiht auch der eigene Anbau mitsamt Ernte und Einkochen für den Winter. Es ist ein Ansatz unter vielen, die der gängigen «Supermarkt»wirtschaft im Bereich der Lebensmittel etwas entgegensetzen wollen.

Vielleicht war es ja der ausnehmend graue und kalte Winter, der mich aufmerksam werden ließ auf das Urban-gardening-Projekt «Obsthain Grüner Weg», das Sabine Voggenreiter im Passagenprogramm propagierte. (Die Passagen sind eine Veranstaltungsreihe zu Möbel und Design im Januar.) Anfang März machte ich mich auf den Weg nach Ehrenfeld, zum Grünen Weg, entlang der Bahngleise, vorbei an ehemaligen Fabrikhallen mit neuen Büros, Nachtclubs und Aldi. Gegenüber einer großen Baustelle gelange ich zum Garten. Dichtes Schneegestöber, der kleine weiße Pavillon ist trotzdem belebt.

Volker und Katharina sind hier, wie fast jeden Samstagnachmittag. Ein Tisch, viele Setzlinge und (gottseidank) sogar ein Heizkörper. Volker sitzt am Laptop und bastelt an einer Diashow für die Internetseite. Regelmäßig verfasst er Gartenbriefe, über das, was gerade benötigt wird, aber auch welche Ernte gut war, und was man wohl nicht mehr anbauen wird. Auch Rezepte sind dabei, denn es gibt auch eine Kochstelle, der größte Teil der Ernte wird gemeinsam verzehrt.

Den Pavillon hat die GAG, die städtische Wohnbaugesellschaft, errichtet, die gegenüber eine Wohnanlage baut. Der Obsthain hat hier ein vorläufiges Zuhause, die von der GAG finanzierten hochstämmigen Obstbäume werden aber bleiben, es wird einen Mietergarten geben. Volker und Katharina vermerken genau die vielen Ehrenamtsstunden, die die Ernte erst möglich machen. Sie wohnen nicht weit von hier und bauen auch im Garten ihrer Mietwohnung Kartoffeln an.

Learning by doing, Setzlinge werden verteilt, damit sie in warmen Wohnungen gedeihen, und sprießen schon mal auf einem W-LAN-Gerät. Die Tür geht auf, Martin kommt herein und bringt in kleinen Tüten Kompost – ein begehrtes Gut, davon gibt es nie genug. Denn der Obsthain Grüner Weg ist ein Garten, der in Beeten entsteht, der Boden ist ehemaliges Industriegelände und potentiell verseucht, außerdem muss man mobil bleiben, denn wie lange dieser Standort erhalten bleibt, ist unklar.

Rote Erde zwischen Südstadt und Bayenthal

Als ich mir eine Woche später eine andere große Garteninitiative, Neuland, ansehe, schneit es zwar nicht mehr, es bläst aber ein kalter Wind. Vom Chlodwigplatz Richtung Süden, parallel zum Rhein, durch die Bahngleise durch liegt eine große Brache. Hier war früher einmal die Dombrauerei. Als klar war, dass die geplante Fachhochschule nicht hier gebaut werden würde, kamen im Juli 2011 170 Menschen hierher und bepflanzten die Brache. Eine Idee war geboren, und schließlich gründete sich der Verein Kölner NeuLand.

Als erstes fällt mir die rote Erde auf, gärtnerisch unbedarft wie ich bin, denke ich, das wäre besonders fruchtbare Erde (in Sizilien ist mitunter die Erde richtig rotbraun). Doch nein, das ist Sand von Tennisplätzen. Das Umweltamt wollte, das dieser Sand als Grundlage ausgetragen wird, obwohl auch hier, wie am Obsthain, in Beeten angepflanzt wird. Trotz des unwirtlichen Wetters sind viele Leute zugange, ein Lagerfeuer brennt, daneben gibt es Tee, einen Infostand, einige zimmern eifrig ein neues Gewächshaus. Am Rande eines Zelts steht ein unscheinbarer Schrank mit dem Plakat www.foodsharing.de. Der Schrank, erklärt mir Stefan von NeuLand, ist ein sog. «Hotspot», Tauschpunkt für Lebensmittel.

Trotz des vielen Engagements und der ehrenamtlichen Gartenarbeit geht es nicht ganz ohne Geld. Beim Obsthain Grüner Weg wurde der Boden erstmals 2009 beackert, als Katrin Bohn aus Berlin und ein Kölner Landschaftsarchitekt einen Workshop zum Thema Produktive Stadtlandschaft machten. Sabine Voggenreiter vom Designquartier Ehrenfeld reichte das Projekt beim Wettbewerb «Creative NRW» ein, der die Kreativwirtschaft mobilisieren sollte. Man gewann: u.a. konnte ein Stipendium an eine Imkerin vergeben werden. Die Zusammenarbeit mit der GAG brachte dann die ersten Pflanzen zum sprießen, denn Bäume kosten.

Die nächsten Schritte werden durch den Kölner Klimakreis ermöglicht (der u.a. von RWE finanziert wird): ein erstes Teilstück der «Low Line», benannt nach dem New Yorker Vorbild «High Line» , ein Park, der 2006 entlang einer ehemaligen Hochbahnlinie entstanden ist. Entlang der Low Line wird ein produktiver Garten entstehen, also nicht nur schöne, sondern auch essbare Pflanzen. Dabei setzt man darauf, dass die Ehrenfelder und andere Kölner hier aktiv werden. Der Klimakreis fördert auch NeuLand. So können die nötigen Ausgaben getätigt und jemand bezahlt, werden, der die Internetseite betreut.

Netzwerk urbanes Grün

Weil in Köln so vieles wächst und gedeiht, hat die Landschaftsarchitektin Uta Bauer das Netzwerk Urbanes Grün ins Leben gerufen. Bei dichtem Schneetreiben trafen sich Anfang März aktive Gärtner aus ganz Köln, Vertreter von NeuLand, vom Obsthain, der Kalker Pflanzstelle, vom Biogarten Thurner Hof, ein Stadtwinzer und einige mehr. Wie gut die Ernte schon war, ließ sich daran ablesen, dass nun auch die Volkshochschule aktiv werden und sich gärtnermäßig einbringen will. Berichtet wurde u.a. vom Saatgutfestival in Bonn, einem Samentauschtreffen in Köln; jemand regte einen Ausflug nach Andernach, in die «essbare» Stadt, an.

www.hda-koeln.de/nugk.html, obsthain-gruenerweg.net, www.neuland-koeln.de

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