Wir sind überzeugt, dass der Grillismus im wesentlichen eine rechte Ideologie und Weltanschauung transportiert. Die Diskurse der beiden Chefs, Grillo und Casaleggio, sind eine Mixtur aus verschiedenen Populismen und interklassistischen Mythen, mit starken Elementen des Liberalismus und sogar der «anarchokapitalistischen» Rechten in den USA (nicht umsonst hat ein herausragender Vertreter der Bewegung, Vittorio Bertola, gerade hier auf Giap erklärt: «Ich mag Ron Paul»). Bei einigen Themen, z.B. Einwanderung, wurden auf dem Blog von Grillo und auch in Teilen seiner Bewegung geradezu krypto-faschistische Äußerungen getan.
Warum sagen wir, es ist eine rechte Ideologie? Die Rechten präsentieren ihre Sicht auf die Welt als gerecht, weil sie «neutral» sei, Abbild einer in sich undifferenzierten Totalität (die Nation etwa), die über Partikularinteressen und Fraktionen steht. Die Linke (je radikaler, desto deutlicher) steht für einen Ansatz, der Partei ergreift. Die Linke sagt: «Es gibt keinen neutralen, objektiven, äquidistanten, desinteressierten, universellen Standpunkt, auch nicht in Fragen der Kultur und der Kunst. Wer spricht, tut dies immer von einem bestimmten Ort, einem bestimmten Körper aus, ist Träger bestimmter Interessen, spricht aus dem Inneren einer Gesellschaftsklasse oder eines Geschlechts. Ein Diskurs ist immer historisch und sozial determiniert. Es ist Aufgabe der kritischen Analyse, den Blut-Schweiß-und-Tränen-Diskursen die falsche Larve des Universalismus zu entreißen.»
Das Paradox ist, dass die 5SB (Fünf-Sterne-Bewegung) sehr viele Aktivisten und noch mehr Wählerinnen und Wähler zählt (Umfragen zufolge nicht weniger als 3 Millionen), die von der Linken kommen und sich als links begreifen. Wir verstehen, wenn diese Leute in Grillos Bewegung eine Alternative sehen, das ist die Schuld der Linken, die alles dafür getan hat, dass sie unwählbar geworden ist, ein Hassobjekt oder auch nur irrelevant.
Wir sind also nicht böse auf jene, die 5SB gewählt haben, nicht mal auf die Mehrzahl ihrer Aktivisten. Wir wünschen uns aber, dass sich in der Grillo-Bewegung befreiende Differenzierung auftun mögen.
Warum hat es in Italien keine Bewegung wie Occupy oder den spanischen 15M gegeben? Weil Grillo sich auf bestehende Bewegungen mit einem ablenkenden Diskurs draufgesetzt hat, einem Diskurs, der die «Kaste» statt die neoliberale Politik aufs Korn nimmt, die Ehrlosigkeit der Manager statt den strukturellen Grundlagen des kapitalistischen Systems. In anderen europäischen Ländern wird dieser Platz von eindeutig anti-neoliberalen oder auch offen antikapitalistischen Bewegungen besetzt.
Ein Grund ist: Im Diskurs von Grillo tauchen andere Bewegungen nicht auf. Wenn 5SB an einem Kampf teilnimmt, den andere angestoßen haben, beschreibt Grillo sie, als seien sie ausschließlich der 5SB zu verdanken: Wir haben mit unserem Körpereinsatz den TAV verhindert; wir haben die Brücke über die Meerenge von Messina verhindert; wir haben das Referendum zum Wasser gewonnen, usw. In dieser Weise hat Grillo versucht, jede Bewegung in Italien für sich zu vereinnahmen.
Ein anderer, tieferliegender Grund aber ist der Anti-Berlusconismus. Der Aufstieg Berlusconis in den 90er Jahren wird nicht als Folge der Niederlage der Emanzipationsbewegungen der 60er und 70er Jahre gesehen, sondern umgekehrt: deren Niederlage gilt als Folge des Aufstiegs von Berlusconi. Berlusconi gilt als die Ursache aller Übel. Dass die Linke alle Aufmerksamkeit auf ihn und seine Missetaten konzentriert, hat verhindert, dass sie das Übel an der Wurzel packen konnte – zu ihrem großen Schaden, bis dahin, dass sie die Regierung Monti ermöglicht hat, nur damit ER nicht mehr am Schalthebel sitzt.
Die 5SB hat die Energie der Bewegungen in einen Diskurs gepresst, den wir im Kern für rechts halten, und außerdem in eine halb sektiererische, halb unternehmerische Organisationsform.
Das Volk ist im Diskurs von Grillo en bloc die «ehrliche Gesellschaft», seine Gegner sind «die Politiker», die «Kaste», die «Diebe» (die natürlich nicht Teil des Volkes sind, wer weiß, wo sie herkommen). Klassengegensätze, unterschiedliche Interessen, Widersprüche im Volk gibt es nicht, darf es nicht geben, weil das Volk «eins und unteilbar» ist, keine Klassen kennt, nur den einen Willen zum Wandel. Damit dieser Diskurs nicht in sich zusammenfällt, kann es nur Feinde außerhalb des Volkes geben. Wer an 5SB eine Kritik äußert, die ihre Basis von ihrer Führung, ihre Wähler von ihrem politischen Häuptling, rechte von linken Stellungnahmen unterscheidet, die sie also differenziert, wird umgehend «erschlagen». Es gibt eine lange Liste von «Ausschlüssen», zuviele, als dass die Schuld immer nur bei den Ausgeschlossenen hätte liegen können.
Grillos Bewegung ist nicht monolithisch, es gibt in ihr Widersprüche, Spannungen und konträre Interessen. Das ist unvermeidlich, weil der Diskurs und das Programm selbst sehr widersprüchlich sind: So werden gleichzeitig absolute Freiheit und Gemeingüter, die Herrschaft der Leistungsträger und das Grundeinkommen gefordert; libertäre Impulse stehen neben Herdentrieben; universalistische Ansätze gegen die Hetze gegen Migranten, die «unsere Frauen belästigen» (O-Ton Grillo oder seines Blogschreibers); «liquid democracy» gegen die vertikale Nutzung des Internet; ein Diskurs der Offenheit versus rigide Markenkontrollen; ein «politischer Häuptling», der nicht gewählt ist, aber faktisch Vorgesetzter beider Parlamentsfraktionen. Wo immer man hinschaut, trifft man auf Widersprüche, die sich nicht unter den Tisch kehren lassen.
Es gibt für solche Programme, die alles und das Gegenteil sagen, historische Vorläufer. Wer sich dahinter scharte, landete früher oder später bei der Verteidigung des Bestehenden. Ein solches Programm hatte auch der frühe Faschismus (das Programm von San Sepolcro 1919), davon blieb nach kurzer Zeit nur die radikale Rhetorik übrig. Damit meinen wir nicht, dass 5SB einem neuen Faschismus den Weg bereitet, aber sie ist ein Beispiel für eine Bewegung, die «nicht rechts und nicht links» kennt.
Die Aktivisten der 5SB müssen sich entscheiden: entweder für den Anarchokapitalismus oder für die Gemeingüter und das Grundeinkommen. Ein Drittes gibt es nicht.
Quelle: www.wumingfoundation.com/giap/?p=12038
Wu Ming ist ein italienisches Autorenkollektiv, das u.a. Bücher wie Q geschrieben hat. Wu Ming heißt auf chinesisch «Anonymus». Das Kollektiv unterhält einen einflussreichen Blog namens Giap, auf dem der nachstehende Eintrag erschienen ist.
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