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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2013

Mastervertrag mit Opel über das Ende des Autobaus in Bochum unterzeichnet

von Jochen Gester

Am 28.2 unterschrieben die Adam Opel AG und die IG Metall einen «Mastervertrag Drive! 2022», in dem die Produktzuteilung für die einzelnen deutschen Werke festgelegt wird. Während die Werke Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach eine Entwicklungsperspektive erhalten, heißt es für Bochum, hier gebe es «nach der derzeitigen Planung des Konzerns voraussichtlich ab Ende 2016 kein Nachfolgeprodukt mehr». Damit hat auch die IG Metall ihr Einverständnis dazu gegeben, Bochum als Standort für die Fahrzeugproduktion aufzugeben.

Vorgesehen ist lediglich der Fortbestand von 600 Arbeitsplätzen im Lagerbereich und noch einmal so viel «in einer im Einzelnen noch im abschließenden Tarifvertrag festzulegenden, hochwertigen Komponentenfertigung». Ansonsten soll eine, gemeinsam mit dem Land NRW bis Ende März zu gründende, Entwicklungsgesellschaft sich darum bemühen, in Bochum neue Unternehmen und Technologien anzusiedeln. Geregelt ist auch der Übergang in den Zweischichtbetrieb. Den betroffenen 700 Beschäftigten werden «attraktive, über die bisherige Dotierung hinausgehende Abfindungsangebote» angeboten. Ältere Arbeitnehmer sollen in den Genuss eines Altersteilzeitprogramms kommen. Zur «Entlastung der Kostenstrukturen» werden die Tariferhöhungen von 2012 bis 2015 verschoben. Der übertarifliche Anteil des Weihnachtsgelds entfällt. Um den Bestand der ausgelagerten, industrienahen Dienstleistungen zu sichern, werden Verhandlungen über einen Ergänzungstarifvertrag angestrebt.

Der Brief aus der Belegschaft

Das Zustandekommen dieses Vertrags scheint nach dem berüchtigten Cheftastenverfahren zustande gekommen zu sein, zu dem die Spitzen der großen DGB-Gewerkschaften in solchen Konfliktsituation gern greifen. So kritisierte der Betriebsratsvorsitzende des Bochumer Werks, Rainer Einenkel, sein Rüsselsheimer BRV-Kollege Schäfer-Klug habe das Verhandlungsergebnis der dpa schon verkündet, ehe die anderen Betriebsratsvorsitzenden den Vertragstext überhaupt lesen konnten.

Wenige Tage vor der Einigung über den Vertrag gab es in Bochum noch eine elfstündige Betriebsversammlung, die die Produktion zum Erliegen brachte. Fast die ganze Zeit lang versammelten sich etwa 2000 Opelaner in der großen Halle. Doch die Stimmung war war nicht explosiv, sondern gedrückt. Bereits am 11.Februar war ein Schreiben des Vertrauenskörperleiters Dirk Grützner bekannt geworden, der die Ortsbevollmächtigten und den Bezirksleiter der IGM über die Stimmung im Betrieb aufklärte. Er schrieb, den Mitgliedern sei schwer zu vermitteln, dass sich die Gewerkschaft von der Fahrzeugproduktion in Bochum verabschiedet habe. Die Reaktion darauf laufe «in Richtung Gewerkschaftsaustritt».

Weiter heißt es in dem Brief: «Scheinbar fallen die anderen Standorte den Bochumer Kollegen in aller Öffentlichkeit in den Rücken. Hier kann man nur annehmen, so unsere IG-Metall-Mitglieder, dass ausgehend vom Konzernvorstand eine Absprache mit dem Bundesvorstand der IG Metall und seinem Vorsitzenden Bertold Huber besteht, die Schließung der Fahrzeugproduktion in Bochum zugunsten nebulöser Aussichten auf eine Handvoll Ersatzarbeitsplätze zu opfern und möglichst ohne nennenswerte Kämpfe und Proteste umzusetzen … Was ist mit der Formulierung der Vergangenheit: ‹To share the pain – Teile die Lasten›? Trägt diese Formulierung heute nicht mehr? Wir werden gefragt, ob die IG Metall noch zur schriftlichen Formulierung der betrieblichen Tarifkommission vom 12.12.2012 steht: ‹Wer heute ein Werk schließen will, der wird morgen ein zweites oder drittes Werk schließen.

Dies wird die IG Metall weder heute noch morgen akzeptieren›? … Es wird kritisch gesehen, dass es bisher keine Abstimmung zur weiteren Stundung der Tariferhöhung gegeben hat. Unsere IG-Metall-Mitglieder sind der Meinung, dass die Einheit der Belegschaften in den unterschiedlichen Standorten gegen die Pläne des Konzerns zu organisieren ist und den Spaltungsversuchen durch das Management entgegenzutreten ist, genauso sollen die lokalen Betriebsräte vor dem Versuch der Erpressung geschützt werden. Unsere Mitglieder fragen teilweise nach einem Streik, der für den Erhalt des Standorts ausgerufen werden soll. Dies ist aber aufgrund des deutschen Streikrechts nicht möglich. Es sei denn, man streikt für einen Sozialtarifvertrag, dies wollen wir alle nicht, da das Werk in Bochum mit der Fahrzeugproduktion erhalten bleiben soll und muss. Als Anregung bitten sie uns mitzuteilen, dass man beim DGB erwirkt, die Lobbyarbeit zum Streikrecht in Deutschland zu verstärken.»

Einer muss der Dumme sein

Diese Stimmung, in der sich viel berechtigte Kritik mit Ohnmacht und Hilflosigkeit mischt, mochte auch auf dem Solidaritätsfest am 2.März nicht verschwinden. Nach Angaben der Polizei sollen 18.000 Menschen gekommen sein, «ein bisschen weniger, als wir erhofft hatten», sagte einer der Organisatoren. Wie schon 2004 gab es viele Sympathiebekundungen aus der Bevölkerung. Doch sie spendeten eher Trost, statt den Widerstandsgeist zu beseelen. Eine Aktionsperspektive, die den Mastervertrag noch mal in Frage stellt, stand nicht zur Debatte.

Der IG-Metall-Vorstand fasste den Beschluss, die Gewerkschaftsmitglieder in den betroffenen Autostandorten über das vereinbarte Ergebnis abstimmen zu lassen. Bei Fertigstellung dieses Artikels liegen die Ergebnisse aus Rüsselsheim, Kaiserslautern und vom Testzentrum Dudenhofen vor. In Eisenach sollte eine Woche später entschieden werden. Die Abstimmungsergebnisse dokumentieren eine hohe Zustimmungsquote (84–92%) für den Mastervertrag. Damit können sich der IG-Metall-Vorstand und die mit ihm an einem Strick ziehenden Betriebsratsmehrheiten in den zur Wahl stehenden Standorten in ihrem Kurs bestätigt sehen.

Die Bochumer Belegschaft hat den Masterplan mit 76% abgelehnt, bei einer Wahlbeteiligung von 69%. Sie hat nun den schwarzen Peter. Ein «solidarisches Votum» hat der IGM-Bezirksleiter Armin Schild die Abstimmung genannt. Ein Verfahren, in dem ein Teil der Mitglieder ihren Kopf aus der Schlinge zieht und sie andern um den Hals legt, ist eher eine Karikatur von Solidarität.

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