Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2013
Aber die alte Linke ist tot

Bei den Wahlen zum italienischen Parlament am 26.Februar 2013 endeten all diejenigen abgeschlagen, die dem Sparkurs der Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) die Stange gehalten haben: der Technokratenregent Monti und die Demokratische Partei (PD), die ihn bis zum Schluss aus Gründen der Staatsräson unterstützt hat. Die Sparpolitik hat nicht überzeugt und keine Unterstützung gefunden. Wer sich, wie Berlusconi, rechtzeitig davon abgesetzt hat, konnte seine Haut noch retten, wer sich auf dem Altar der EZB geopfert hat, wurde vernichtet.

Das gilt vor allem für Bersani, dem Spitzenkandidaten der PD. Das hinderte die Financial Times am Tag nach den Wahlen nicht daran, ihn und Monti zu den einzig möglichen Regierungsmachern zu küren, für eine Regierung, die treu zur Troika steht. Wir sind in einer Situation wie in Griechenland, mit Grillo statt SYRIZA.

Die Wahlen waren ein Erdbeben, sie haben erneut eine Systemkrise offenbart, bei der die soziale Krise mit einer institutionellen Krise zusammenfällt; das gesamte politische System ist völlig delegitimiert. Das Wahlvolk lehnt mehrheitlich die neoliberalen Rezepte und das bestehende politische System ab, aber es hat noch keine Alternative entwickelt.

Grillo hat als einziger eine Antwort gegeben, die auf Massenebene überzeugt hat: eine allgemeine, aber radikale Antwort auf die Krise und die Sparpolitik, gegen die Fortsetzung der Politik der letzten 20 Jahre, gegen die «Kaste». Man wird Grillo erst im Laufe der Zeit beurteilen können, aber seine Vorschläge sind die einzigen, die mit der Zeit gehen, und sie greifen widersprüchliche Forderungen auf. Denn Grillo hat nicht nur Stimmen von Berlusconi und der Lega bekommen, er fischt auch in den Gewässern der PD und selbst der radikalen Linken, die hinweggefegt wurde, vielleicht für immer.

Die alte Linke ist tot. Ein alternatives Projekt lässt sich auch nicht innerhalb von zwei Monaten aus der Taufe heben, mit einem «Deus ex machina», der von außen kommt. [Der Spitzenkandidat der Liste der «radikalen» Linken (Rivoluzione Civile), Antonio Ingroia, ist ein Antimafia-Richter aus Palermo und Journalist, der für die Wahlen aus Guatemala eingeflogen wurde.] Beppe Grillo hat vor zehn Jahren angefangen und sich schon 2008 ins Wahlgeschehen eingemischt. Wir haben mehrfach geschrieben, dass wir politisch wie ideologisch das Ende der alten Arbeiterbewegung erleben, eine Tatsache, die man auf der Linken nicht verstehen will. Stattdessen hat sie hartnäckig und einfallslos den Pfad der Koalition von kleinen und Kleinparteien fortgesetzt, die wenig Einfluss und keine Verankerung haben und die epochale Tragweite der Probleme nicht verstehen.

Die Phase, die sich nun öffnet, ist eine der völligen Instabilität, sie wird bestimmt werden von den Entscheidungen der Fünf-Sterne-Bewegung. Nun kommt es darauf, welchen Weg Grillo einschlägt, denn er wird zu einem wichtigen Bewegungsmelder werden. Vor uns liegen viele Jahre, in denen die Herausforderung darin besteht, ein Subjekt zu rekonstruieren, das mitten im gesellschaftlichen Geschehen steht und mit dem aktuellen Politiksystem konkurrieren kann. Nicht unbedingt auf Wahlebene, das sogar sicher nicht, zumindest eine Weile. Es braucht «Netzwerke der Bewegungen», die die verschiedenen Kämpfe gegen die Krise und die Sparpolitik zusammenführen und den «sozialen Tsunami» auslöst, der so dringend notwendig ist.

Grillo lehrt aber auch, dass es nicht reicht, eine Vorstellung von der Zukunft zu haben, überzeugende Antworten und Hoffnung bieten zu können. Es braucht soziale Bündnisse, Bewegungspole, die den hochtrabenden Vorstellungen von einem Umbau der alten Linken nicht nachgeben, denn diese Linke war bislang das Problem, nicht die Lösung. Die Rekonstruktion einer Alternative erfordert intelligente, kühne und mutige Experimente, Unerhörtes, für das es keinen Sicherheitsfallschirm gibt. Er erfordert Gedankenarbeit, Vertiefung, Weitblick. Und mehr als alles andere eine neue politische Generation.

Wir gehen von dem aus, was wir haben, von den Bewegungen der letzten Jahre – die der Studierenden, des No TAV. Und von neuen Fragestellungen: eine andere Ordnung der öffentlichen Finanzen, die verschiedenen Occupy-Bewegungen. Im Kopf haben wir dabei nur eine Strategie: die Erlangung sozialer Wirksamkeit und die Arbeit an einem Politikwechsel, der theoretisch und politisch fundiert ist. Schluss mit dem Improvisieren, mit der ewigen Wiederholung des Vergangenen, der Nostalgie der kleinen Apparate! Schluss mit den vielen Kleinstparteien! Wir sind auf offener See, und diesmal wirklich.

Quelle: www.ilmegafonoquotidiano.it

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