Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2013
von Salvatore Cannavò

Die Stimmen für Grillo werden häufig als Proteststimmen bezeichnet. Doch um welchen Protest handelt es sich? Ein Protest gegen die «Kaste» der Berufspolitiker, sicher. Schaut man aber näher hin, stellt man jedoch fest, dass Grillo vor allem dort Stimmen geholt hat, wo es starke soziale Bewegungen gab: Umweltbewegungen oder Arbeiterproteste. Hierzu ein kleiner Überblick:

In Val di Susa mit seiner langen Tradition der Mobilisierung gegen die Durchleitung des Hochgeschwindigkeitszugs wurde Grillo stärkste Partei, geradezu die No-TAV-Partei. In der «Hauptstadt» Susa holte er 42%, in Vanaus, dem Zentrum der Bewegung, gar 58%, in Avigliana, der größten Stadt im Tal, immerhin noch 37%.

Die Fünf-Sterne-Bewegung wurde aber auch stärkste Partei im «roten» Industriegürtel in Turin mit Anteilen von 32 bis 35%. In Mirafiori, der Hochburg der Turiner Arbeiterbewegung, zog er gleich mit der PD (30,9%). Das gleiche gilt für andere Arbeiterhochburgen, z.B. Taranto, wo es eine heftige Auseinandersetzung (auch mit der Metallgewerkschaft FIOM) um die Schließung eines Stahlwerks gab, das eine Dreckschleuder ist: Hier wurde Grillo mit 27,7% stärkste Partei. Im Stadtteil, der direkt neben dem Stahlwerk Ilva liegt, holte er sogar 38%.

Seine besten Ergebnisse hatte er da, wo die Krise der Arbeitswelt und die Umweltkrise zusammentreffen. In Sardinien z.B., in Porto Torres, wo die Petrochemie Arbeitskräfte entlässt und ein Unternehmen Fuß zu fassen versucht, das Fleischreste verarbeitet und deshalb auf den massiven Protest von Umweltschützern stößt. Aber auch in zwei Städten der Bergbauregion Sulcis im Südwesten der Insel (Carbonia (33%) und Iglesias (31%)), wo im vergangenen Jahr eine Kohlengrube geschlossen werden sollte und deshalb von 40 Bergleuten besetzt wurde. Im Geburtsort von Antonio Gramsci, Sardiniens berühmtestem Sohn, in Ghilarza, holte er 29,9%.

An der Spitze lag er auch in den Marche, eine Provinz, die bis in die 80er Jahre arm und rückständig war und danach eine gewisse Industrialisierung erlebte, von der Krise 2008 aber härter getroffen wurde als andere Regionen. Hier hat sich außerdem eine Bewegung gegen große Infrastrukturprojekte gebildet, hauptsächlich Autobahnbau. Während die PD dieses Projekt unterstützt, wurde Grillo hier mit 33% stärkste Partei.

Umweltkrise und Arbeitsplatzkrise kombinieren sich auch in Sizilien. In Augusta-Priolo steht der größte Petrochemiekomplex Italiens. Die bildschöne Küste, an der sonst Mandel- und Orangenbäume blühen, ist stark umweltverseucht, die Sterberate signifikant erhöht. Zugleich ist die Arbeitslosigkeit hoch. Grillo holte hier 41 und 43% der Stimmen. Die Landkarte von Grillos Wahlerfolgen ist zugleich eine Karte der Orte, die am stärksten verseucht sind und wo es deshalb starke Bewegungen gibt: Vado Ligure, Kampf gegen ein zusätzliches Kohlekraftwerk (33,4%); Mira, Kampf gegen den Autobahnausbau (35%); Civitavecchia, Kampf gegen ein Kohlekraftwerk (34,7%); Albano Laziale, Bewegung gegen die Müllverbrennungsanlage (31,2%); Riccione, Coriano und Misano Adriatico, Bewegung gegen Müllverbrennungsanlage (32–34%).

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