von Angela Klein
Einen Staatsstreich nannte Beppe Grillo, neues Enfant terrible der italienischen Politik, die Wiederwahl von Staatspräsident Napolitano. Ein sprachlicher Exzess, sicher, und unzutreffend, denn die Armee wurde nicht – brauchte nicht – dafür zur Hilfe gerufen (zu werden). Es reichte die Absprache zwischen Berlusconi und dem Führer der Demokratischen Partei (PD), Bersani.
Eben diese und die Aussicht, dass in Italien – in krassem Gegensatz zum Ausgang der Wahlen – nun eine große Koalition das alte Regime fortsetzt, sorgt in der Öffentlichkeit für helle Empörung. In seiner gewohnt zuspitzenden Art sagt Grillo dazu: «In Italien sitzen 30 gerichtlich verurteilte Abgeordnete im Parlament, die schwere Verbrechen begangen haben. Ich hätte gern auch ehrliche, kompetente Fachleute auf den richtigen Plätzen. In diesem Sinne wäre ich froh, wenn es eine deutsche Invasion in Italien gäbe.»
In den ersten Wochen nach den Wahlen hat Bersani alles versucht, die Grillo-Fraktion im Parlament dafür zu gewinnen, dass sie ihn zum Ministerpräsidenten macht. Dem hat sich die Fraktion konsequent verweigert, wenn es auch in ihren Reihen heftige Debatten darum gegeben hat. Sie hat darauf bestanden, dass sie der Fortsetzung des «alten Regimes» nicht die Steigbügel halten will – wahrscheinlich mit Erfolg. Denn damit hat sie den taktischen Spielereien der PD das Wasser abgegraben und deren Führung gezwungen, sich zu positionieren.
Das hat sie getan. Ihre Stimme für Napolitano bedeutet: lieber mit Berlusconi als mit Grillo. Die PD hätte auch die Möglichkeit gehabt, den Kandidaten der Grillo-Bewegung zu wählen, Stefano Rodotà, ein alter Herr, Professor für Zivilrecht, von 1979 bis 1994 Mitglied der italienischen Abgeordnetenkammer, erst als unabhängiger Kandidat für die KP, dann für die Unabhängige Linke, später für die PDS, eine respektable, bürgerliche Person, für die Bersani-Partei aber wenig kontrollierbar. Schon der Senatspräsident, den die Grillo-Fraktion durchgesetzt hat, ein hoch angesehener Antimafia-Richter, war vom selben Holz. Das sind Personalentscheidungen, die zum Vorwurf des Rechtspopulismus passen wie die Faust aufs Auge.
Die Empörung macht sich in einer Spontandemonstration vor dem Präsidentenpalast Luft. Grillo hatte zu einem «Marsch auf Rom» aufgerufen, ließ die Formulierung aber bald wieder fallen, angesichts des peinlichen Anklangs an Mussolinis Marsch 1922, der ein bewaffneter Marsch war und tatsächlich ein Staatsstreich. Viele PD-Mitglieder waren unter den Demonstranten, sie machten ihrem Ärger Luft, dass ihre Partei, die bei den Wahlen noch als kompromisslose Gegnerin Berlusconis angetreten war, nun zu ihm ins Bett kriechen will. Sie werfen Bersani vor, Berlusconi gerettet zu haben.
Bersani ist inzwischen, zusammen mit der gesamten Parteispitze, von seinem Amt zurückgetreten. Die Führung übernimmt Matteo Renzi, der nicht weniger neoliberal orientiert ist als Bersani. Eine Spaltung der PD ist nun nicht mehr ausgeschlossen. Die Basis revoltiert: Die Mitglieder besetzen die Parteibüros (siehe Foto) und rufen «Occupy PD», sie fordern den Rücktritt nicht nur der zentralen Parteiführung, sondern auf allen Ebenen, auch lokal und regional, und öffentliche Parteikongresse. Eine Regierung zusammen mit Berlusconi – das ist Verrat an allem, was in den letzten 20 Jahren in Italien auch nur einen halbwegs linken Anstrich hatte.
Es geschah möglicherweise unwillentlich, aber die Grillobewegung hat mit ihrem Wahlerfolg zumindest das schon erreicht, dass auf der Linken ein neuer Impuls für eine Reorganisierung der politischen Kräfte geboren ist, die in scharfer Opposition gegen die neue Große Koalition stehen. 80 Personen – viele Gewerkschafter, Feministinnen, Aktivisten sozialer Bewegungen und Linke – haben einen Aufruf gestartet: «Für eine politische, antikapitalistische und libertäre Bewegung». Sein erster Satz lautet: «Das ist kein Aufruf, sondern ein Vorschlag zum Kampf.» Ziel ist der Aufbau einer politischen Massenbewegung. Der Aufruf lädt ein zu einem ersten Treffen in Bologna am 11.Mai (siehe http://antoniomoscato.altervista org).
Der prominenteste Unterzeichner des Aufrufs ist Giorgio Cremaschi, der bis vor kurzem Vorsitzender der Metallarbeitergewerkschaft FIOM war. Wenn aus der politischen Bewegung etwas wird, wird dies spürbare Folgen für die Gewerkschaftsbewegung haben. Nicht nur in der FIOM neigen viele dazu, endgültig die Taue zur PD zu kappen und sich einer Zusammenarbeit mit der Grillobewegung zu öffnen. Auch die CGIL gerät ins Wanken – und läuft auseinander: Während deren Chefin, Susanna Camusso, dem Ministerpräsidenten in spe, Matteo Renzi zuneigt, der mit seiner Enthaltung bei der Wahl Napolitanos den Sturz von Parteichef Bersani betrieben hat, tendieren andere Teile des gewerkschaftlichen Dachverbands zur Grillobewegung.
Man mag ja an Grillo viel auszusetzen haben. Unbestritten ist jetzt schon, dass er der radikalen Linken in Italien neue Energie einhaucht.
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