von Ilona Herrmann
Lohn- und Gehaltssenkungen, Rentenkürzungen bis zu 40% und ein Mindestlohn von 492 Euro bringen immer mehr Menschen in Griechenland in extreme Armut. Hinzu kommen eine Arbeitslosenquote von 27% und eine Jugendarbeitslosigkeit von 60%. Mittlerweile hat Griechenland, gefolgt von Spanien, die höchste Erwerbslosenquote der Welt erreicht. Arbeitslosengeld von 360 Euro gibt es für maximal 18 Monate (ab 2014 nur noch 16 Monate), danach ist Schluss, andere Sozialleistungen gibt es nicht. Die Zahl der Obdachlosen ist seit Beginn der Krise um 30% gestiegen. Die Lebensverhältnisse der Armen werden immer öfter mit der Hungerkatastrophe von 1941 zu Beginn der deutschen Besatzung verglichen. Um zu überleben sind die Menschen auf Suppenküchen, Spenden, Tauschhandel und kostenlose medizinische Versorgung angewiesen.
Am Anfang war die Kartoffelbewegung
Es fehlt an allem und vor allem können die Menschen die teuren Grundnahrungsmittel nicht mehr bezahlen. Gleichzeitig verlangen die Händler von den Landwirten, dass sie ihre Waren zu noch niedrigen Kilopreisen verkaufen, von denen sie nicht leben können. Der Zwischenhändler bezahlte zwischen 12 und 15 Cent für ein Kilo Kartoffeln, das im Supermarkt für 70 Cent verkauft wurde. Der Einkaufspreis sollte auf ca. 9 Cent gedrückt werden mit der Begründung, es gebe billigere Kartoffelimporte aus Ägypten, aber auch aus Deutschland und Frankreich.
Aus Protest gegen diesen ruinösen und demütigenden Preis haben die Bauern mehre Tonnen Kartoffeln in Thessaloniki kostenlos an die Menschen verteilt. Daraufhin bot eine Bürgerinitiative, «Volunteer Action Group» aus der nordgriechischen Stadt Katerini (70 km südlich von Thessaloniki) den Landwirten an, ihre Kartoffeln direkt an die Verbraucher auf öffentlichen Plätzen in ihrer Stadt zu verkaufen. Sie einigten sich auf einen vertretbaren Preis von 25 Cent pro Kilo und machten die Verkaufsorte via Internet bekannt.
Die Nachfrage nach bezahlbaren Lebensmitteln ist groß, und so hat sich innerhalb kürzester Zeit das Prinzip der Kartoffelbewegung herumgesprochen und im ganzen Land verbreitet. Die Direktvermarktung hat sich auf andere landwirtschaftliche Produkte ausgeweitet: Olivenöl, Feta, Honig, Mehl, Reis, Bohnen, Obst und Gemüse, und zu Ostern Ziegen- und Lammfleisch.
Die Supermärkte haben teilweise reagiert und die Preise gesenkt. Die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) kritisiert die Agrarbewegung, nennt sie einen Sonderangebotstrick und stellt die Initiative auf eine Stufe mit den Supermarktangeboten. Auch sagen Kritiker, die landwirtschaftliche Selbsthilfe würde die Wochenmarktpreise drücken, auf die die Kleinbauern angewiesen sind, sie verkaufen hier das Kilo Kartoffel für 50–60 Cent. Die Kritik ist berechtigt, allerdings ignoriert sie, dass nicht alle Landwirte eine Lizenz für den Wochenmarkt besitzen und die Mühlen der griechischen Bürokratie Anträge nur sehr langsam bearbeiten. Leider lassen die Kritiker oft alternative Handlungsansätze vermissen.
Auch wenn die wirtschaftlichen Selbsthilfestrukturen aus der Not entstanden sind, bleibt zu hoffen, dass sich daraus neue Strukturen von Genossenschaften entwickeln. Positive Erfahrungen aus der Solidaritätsarbeit können ein Bewusstsein für die Notwendigkeit weiterer Selbstorganisation schaffen. Erste Ansätze dafür sind die «Biocollective» auf Kreta, ein Netzwerk junger Aktivisten, die seit 2011 in der Mesara-Ebene, im Südwesten der Präfektur Heraklion, brachliegende Olivenhaine abernten. Die Aktivisten verschenken das hochwertige Öl an streikende Lohnabhängige. Darüber hinaus verkaufen sie es und finanzieren mit dem Erlös politische Projekte. Das Öl kann auch in Deutschland über «Café Libertad» in Hamburg bezogen werden. Auf Kreta haben sich rund um «Biocollective» andere Kleinproduzenten vernetzt. Es entstehen immer mehr Strukturen, die vom Gedanken der direkten Demokratie getragen sind. Vereint können wir siegen!
Näheres über www.cafe-libertad.de/shop/
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