Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2013
Erfinder der Serie und Chef-Autor: Matthew Weiner
von Angela Huemer

Mad Men, verrückte Männer möchte man meinen, doch nein, gleich nach dem Vorspann – eine Art Animation, in der ein Mann in New York viele Stockwerke langsam hinunterfällt – wird erklärt, was der Begriff bedeutet. ‘A term coined in the late 50s to describe the advertising executives of Madison Avenue.’ Kurze Pause und dann, im nächsten Absatz: ‘They coined it.’ (Ein Begriff, der in den späten 50er Jahren geprägt wurde, um die Werbeleute der New Yorker Madison Avenue zu beschreiben. Sie prägten ihn.)

Eine Bar in New York. Ein Mann sitzt an einem Tisch an der Wand und macht sich Notizen auf einer Serviette. Er wirkt konzentriert, er arbeitet. Kurze schwarze Haare, korrekter Anzug, auf altmodische Weise gutaussehend. Er raucht. Dann ein Gespräch mit dem schwarzen Kellner, sie reden über Zigaretten. Was er raucht, will Don Draper, so heißt der Mann im Anzug, vom Kellner wissen. Und warum. Er war Soldat, erzählt der Kellner, und da kriegten sie eine bestimmte Marke, seither raucht er sie und würde auch nie eine andere rauchen.

Nachts, ein Korridor, eine Frau öffnet die Tür, als unser Mann im Anzug klopft. Sie ist wohl seine Geliebte. Dann blaues Morgenlicht, ‘I don’t make plans and I don’t make breakfast’, sagt die Frau. Durch eine Drehtür wird der Zuschauer in einen New Yorker Büroturm geführt. Eine eher konservativ gekleidete junge Frau betritt den Aufzug mit einem Schwall Anzugtypen. Sie scherzen mit ihr. Die junge Frau wirkt nervös, ihr Name ist Peggy, es ist ihr erster Tag im Büro. Joan, die Chefsekretärin zeigt ihr das Büro, sie muss in Serpentinen gehen, rund um Schreibtische und Säulen.

Nach und nach werden wir hineingeführt, vieles wird im Rückblick oder nach nochmaligem Anschauen tiefere Bedeutung erhalten. Fernsehserien funktionieren anders als Filme, besonders diese Art von Serie, bei der sich eine Geschichte über viele Folgen, oft mehrere Jahre entwickelt, keine Novelle, sondern ein langer Roman. Vor vielen Jahren belegte ich mal einen Kurs «TV Genres» und lernte dabei die Phänotypen der Fernsehserien kennen und verstehen und schätzen. Die Sitcom, Situation comedy, ist meist halbstündig, humorig; das einstündige Drama hat wiederkehrende Charaktere und der dramaturgische Bogen ist am Ende einer einzelnen Folge abgeschlossen, die Welt ist wieder im Lot, und in der nächsten Folge geht alles weiter wie gehabt. Nach und nach haben sich diese Formen verschliffen, die Charaktere haben sich weiterentwickelt, geändert, subtil meist und schleichend. Anders die sog. Seifenoper, die meist täglich ausgestrahlt wird und darauf angelegt ist, ewig weiterzulaufen. Oder die Telenovela, ein in Südamerika entstandenes Genre, bei dem man schon am Anfang das Happy End ahnt, das nach vielen Irrungen und Wirrungen dann auch kommt und den Abschluss der Serie bedeutet – wenn nicht ein neues Handlungsziel gefunden wird (siehe im deutschen Fernsehen beispielsweise Sturm der Liebe).

So. Genug Exkurs. Matthew Weiner hat an der University of Southern California Film studiert. Lange Zeit kämpfte er sich durch, mehrere Jahre hatte er keinen richtigen Job. Mitte der 90er Jahre schrieb und realisierte er einen Film, der autobiografisch angehaucht ist: What do you do all day? (Was tust du den ganzen Tag?), der auf einigen Festivals zu sehen war, aber kein wirklicher Erfolg. Für ihn war es aber ein Erfolg, dass er etwas abgeschlossen hatte. Einige Jahre schrieb er dann für eine Sitcom, was ihn nicht sehr befriedigte.

In dieser Zeit entstand das Drehbuch für Mad Men, d.h. für den Pilotfilm von Mad Men. Denn so funktioniert das: zunächst gibt es einen Pilotfilm, der beweisen muss, dass der Stoff auch Potenzial hat und vor allem erfolgreich ist, sprich Einschaltquoten bringt. Dieses Drehbuch brachte ihm einen Job als Autor bei der Fernsehserie The Sopranos ein, sie behandelt die italoamerikanische Mafia im Bundesstaat New Jersey (sie ist ebenso wie Mad Men auf DVD erhältlich und wärmstens zu empfehlen).

Bis er Mad Men realisieren konnte, vergingen einige Jahre, der Kabelsender HBO (bei dem Sopranos produziert wurde) biss nicht an. Am Ende landete der Stoff am richtigen Ort: bei AMC, American Movie Channel. Es war die erste Fernsehserie für den Sender, auf dem sonst alte Filme laufen.

Gedreht ist Mad Men auf Film und Matthew Weiner ist unglaublich darum bemüht, das jeweilige Zeitgefühl zu vermitteln, er ist dabei sehr detailgenau. Die erste Folge spielt im März 1960. Nach der dritten Staffel gab es eine kleine Pause, Produktionsknatsch zwischen Weiner und AMC. Dann die Einigung, die groß verkündet wurde: Es gibt weitere drei Staffeln (eine Staffel besteht aus jeweils 12–13 Folgen), also insgesamt sieben. Weiner ist der sog. «Showrunner», er ist Executive Producer und hat die letzte Entscheidung über den Inhalt.

Mittlerweile gibt es eine große Fangemeinde, darunter viele, die sich am Anfang vielleicht fragten, was interessieren mich New Yorker Werbefuzzis und dachten, die Handlung dürfte auch etwas rascher fortschreiten. Doch das Tempo ist genau richtig, und die einzelnen Figuren werden immer vielschichtiger. Interessant ist auch zu sehen, dass die Zeit, die in der Serie verstreicht, auch real verstreicht, die Kinder werden größer, die Schauspieler altern mit den Figuren, die sie verkörpern.

Derzeit strahlt ZDFNeo die vierte Staffel aus, in den USA wird seit Anfang April schon die sechste gezeigt. Es lohnt sich, so bald als möglich die DVDs zu holen, auch deshalb, weil man da Gelegenheit hat (besonders auf der englischsprachigen DVD) die Originalstimmen zu hören. Tipp: Einfach die englischen Untertitel dazuschalten, damit kein Dialog verloren geht.

Eines noch: Man beachte die letzten Minuten der Serie, die sind oft die besten oder besser, die berührendsten, und kommen ohne Dialog aus.

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