Gespräch mit Werner Rügemer
von Dietmar Freitsmiedl, Radio Lora
Was versteht man unter einer «Steueroase»?
Der richtige Name für all diese Territorien mit eigenen Finanz- und Steuergesetzen ist eigentlich «Finanzoase» – also die Cayman Islands, Delaware, die Kanalinseln, die Jungferninseln in der Karibik usw. Das Konstrukt kommt aus Liechtenstein und der Schweiz. Es begann damit, dass die Vertriebenen der Französischen Revolution ihre Gelder in der Schweiz in Sicherheit brachten. Mit der Globalisierung haben die Finanzoasen aber sehr viel weitere Aufgaben übernommen und zwar nicht nur, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, für vermögende Einzelpersonen, sondern vor allem für Unternehmen. Wenn ein Unternehmenschef Anteile, Aktienpakete oder große Volumen Wertpapiere auf den Markt bringen möchte, dann werden die in Finanzoasen geparkt.
Die ausschlaggebende Rolle für die Existenz von Finanzoasen spielen also gar nicht mehr Einzelpersonen, sondern vor allem Unternehmen?
Vom Volumen her müssen wir annehmen, dass Unternehmensanteile oder interne Unternehmensabwicklungen wie bspw. die Lizenzverwaltung heute in den Finanzoasen eine sehr viel größere Rolle spielen als dort geparkte, individuelle Vermögen, wobei sie ja auch zu einem sehr großen Teil aus Unternehmens- und Bankanteilen bestehen.
Gibt man im Internet den Begriff Steueroase ein, stößt man als erstes auf zwei Unternehmen. Eines davon heißt SFM und bietet die Gründung von Offshoregesellschaften mit Bankkonto an und zwar in den folgenden Ländern: Seychellen, Belize, Anguilla, Ra’s al-Chaima, Gibraltar, Britische Jungferninseln, Panama, Hongkong, Großbritannien, Singapur, Mauritius, Delaware, Zypern, Bahamas und Schweiz. Sind das die wichtigsten Finanzoasen?
Jedenfalls ein Teil davon. Von den großen fehlen Luxemburg, die Cayman Islands und London. Man geht davon aus, dass es heute etwa fünf Dutzend Finanzoasen gibt, die nach dem Erstmuster Liechtenstein, Schweiz und Luxemburg gestrickt sind und dieses imitiert und weiter entwickelt haben. Ebenso gibt es seit Jahrzehnten, ebenfalls ausgehend von der Schweiz, Dienstleister – große Anwaltskanzleien oder extra eingerichtete Treuhandfirmen –, die im Auftrag gegen eine bestimmte Gebühr in einer Finanzoase ihrer Wahl Briefkastenfirmen oder Ähnliches einrichten.
Um da mal eine Hierarchie anzudeuten, gebe ich ein Beispiel von der Deutschen Bank. Die Deutsche Bank hat insgesamt 2072 unternehmerische Aktivitäten, also Aktivitäten in unternehmensrechtlicher Form. Und von diesen gut 2000 Beteiligungen, Tochterfirmen usw. sind mehr als die Hälfte, nämlich 1064, Tochter- und Zweckgesellschaften, assoziierte Unternehmen und Beteiligungen, die auf 29 Finanzoasen verteilt sind. Die Deutsche Bank hat hierbei eine Hierarchie eingehalten, die in der Unternehmenswelt üblich ist.
Ich lese sie mal vor: Die Deutsche Bank hat in Delaware, einem kleinen Bundesstaat der USA und heute die wichtigste Finanzoase für Unternehmen, 443 Briefkastenfirmen, in London 171, auf den Cayman Islands 136, in Luxemburg 74, auf der Insel Jersey bei England 53, in Irland 41, in den Niederlanden 24, in Singapur 18, auf Mauritius 10, in Malta 10, in Hongkong 14, auf Gibraltar 8 und in Zypern 6 solcher Briefkastenfirmen.
Die Deutsche Bank wird, weltweit und europaweit, nicht die einzige Bank sein, die solche Firmen unterhält.
In der Tat, solche Parallelstrukturen, ich nenne sie okkulte Parallelstrukturen, gehören seit mindestens zwei Jahrzehnten zur Standardausstattung der globalisierten Finanz- und Wirtschaftswelt.
Sie haben das Beispiel Delaware genannt, eine Finanzoase in den USA. Auf der anderen Seite liest man, dass die USA rigoros gegen Steuerflüchtlinge vorgehen und andere Länder, z.B. die Schweiz oder Liechtenstein, enorm unter Druck setzen, damit sie Informationen an die Finanzbehörden der USA liefern. Wie passt das zusammen?
Die eigene Finanzoase wird von den USA natürlich geschützt, während gegen andere Finanzoasen, wie die Schweiz, sehr stark vorgegangen wird. Denn auch die USA sind ja bei ihrer sehr hohen Staatsverschuldung darauf angewiesen, dass Steuern tatsächlich bezahlt werden – da ist der amerikanische Staat sehr rigoros und erpresst beispielsweise die ganze Bankenszene und den Staat Schweiz, um Angaben über die amerikanischen Steuerpflichtigen dort zu bekommen. Das haben die USA auch erreicht, während sie gegen andere Finanzoasen, die amerikafreundlicher sind wie Luxemburg, überhaupt nicht so vorgehen. Allerdings beschränken sich die USA auf Individuen. Unternehmen, Banken und Hedgefonds werden nicht verfolgt.
Das klingt eher nach einem Wirtschaftskrieg und nicht nach einem Kampf gegen Steuerflüchtlinge überhaupt. Geht es da nur um Vorteile?
Ja. Nehmen wir nur den Fall Zypern, das ist ja kein ungewöhnliches Modell in der Europäischen Union. In Luxemburg ist das Übergewicht der Finanzdienstleistungen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt viel größer als in Zypern. In dem kleinen Luxemburg mit nicht einmal einer halben Million Einwohner, weniger als Zypern, gibt es über 200 Banken – ausländische Banken, denn es gibt in Luxemburg nur zwei einheimische Banken, die Luxemburger Sparkasse und die Banque de Luxembourg. Sie stellen ganz selbstverständlich verschiedenste Formen von Steuerhinterziehung oder von Verhehlung von Unternehmensanteilen bereit.
Ich nenne mal ein Beispiel, das weit nach Deutschland hineinreicht. Es gibt einen großen angloamerikanischen Finanzinvestor namens Fortress, der seinen europäischen Hauptsitz in Luxemburg hat. Von dort aus hat er die 48.000 Wohnungen der Stadt Dresden und viele andere in Deutschland gekauft, wodurch er zu einem der großen Immobilienbesitzer in Deutschland wurde. Aus guten bzw. schlechten Gründen hat er aber seinen Sitz in Luxemburg.
Kommen wir zu Deutschland. Beim Steuerstreit mit der Schweiz wollte Steinbrück die Kavallerie dorthin schicken, er drohte also. Verhält sich Deutschland ähnlich wie die USA? Versucht es also, der eigenen Steuerflüchtlinge habhaft zu werden, ausländischen Unternehmen und Einzelpersonen zugleich aber einen Fluchtort bietet?
Die eher witzig gemeinte Formulierung von der Entsendung der Kavallerie haben weder Steinbrück noch andere deutsche Politiker noch irgendeine deutsche Regierung jemals ernst gemeint. Seit Bestehen der Bundesrepublik haben sich Regierungsparteien, insbesondere CDU und FDP, aus illegalen Geldern finanziert, die deutsche Unternehmen in Briefkastenfirmen in Liechtenstein und in der Schweiz untergebracht hatten. Helmut Kohls bester Freund war der größte Vermögenstreuhänder und Briefkastenverwalter von Liechtenstein, Herr Batliner. Unter Kohl und auch zu der Zeit, als in Hessen die CDU regierte, wurden CDU und FDP über Luxemburger Kanäle heimlich mitfinanziert. Wenn man diese Vorgeschichte kennt, kann man durchaus nachvollziehen, warum bislang keine deutsche Regierung konsequent gegen die Steuerflucht deutscher Unternehmen und Einzelpersonen in die Schweiz vorgegangen ist.
Ist Deutschland auch Finanzoase für Unternehmen aus dem Ausland?
Ja. Deutschland erlaubt jedenfalls deutschen und ausländischen Unternehmen, auf dem Gebiet der Bundesrepublik mit Hilfe von ausländischen Finanzoasen zu agieren. In der letzten Zeit wurde bekannt, dass Firmen wie Google, die in Deutschland operieren, sich solcher Finanzoasen wie Luxemburg und der Niederlande bedienen. Dadurch, dass deutsche Regierungen und Finanzämter das zulassen, ist auch Deutschland eine Finanzoase.
Was kann man gegen die Finanzoasen tun, wie kann man sie austrocknen, wie es so schön heißt?
Das einfachste wäre, alle Geschäfte, die über Finanzoasen ablaufen, einfach für unwirksam zu erklären – also in all den Fällen, in denen es keinen finanztechnisch nachweisbaren Grund dafür gibt, ein großes Wertpapier einer Firma auf den Markt zu bringen, die ihren juristischen Sitz in Gibraltar oder auf den Cayman Islands hat. Das würde überhaupt keinen Cent kosten. In unseren sehr hoch entwickelten Bank- und Finanzsystemen kann man jede Finanztransaktion auch ohne eine Finanzoase abwickeln. Wer trotzdem auf eine Finanzoase zurückgreift, muss Gründe dafür haben: Er will etwas verstecken oder Steuern hinterziehen oder Geschäftspartner täuschen.
Jetzt ist diese Daten-CD mit 2,5 Millionen Dokumenten aufgetaucht, die über 120000 Briefkastenfirmen berichten. Die Politiker sind aufgescheucht, der gesellschaftliche Druck wächst, auch wegen der anhaltenden Finanz- und Bankenkrise. Kann es sein, dass etwas in Bewegung gerät?
Das kann ich nur hoffen. Seit Beginn der Finanzkrise 2007 gäbe es genügend Gründe, Finanzoasen zu schließen, weil viele der giftigen Finanzprodukte, die mit zur Finanzkrise beigetragen haben, aus Finanzoasen stammen. Die Finanzkrise in Deutschland nahm ihren Ausgang bei der relativ kleinen Industriekreditbank (IKB) in Düsseldorf, die marode Wertpapiere von der Deutschen Bank gekauft hatte und die in Delaware ausgestellt waren. Doch auf Regierungsebene ist nichts passiert, im Gegenteil, ich fand das immer eine verteufelte Absurdität, dass der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, der stets an verantwortlicher Stelle über Rettungsmassnahmen für andere Staaten mitverhandelt hat, gleichzeitig Repräsentant der größten Finanzoase der EU ist, nämlich Luxemburg.
Auch die Süddeutsche Zeitung, die zusammen mit anderen die Daten ans Licht gebracht hat, konzentriert ihre Kritik auf einen toten Playboy, Herrn G.Sachs, und auf den aserbaidschanischen Diktator und seine zwei Töchter. Mit keinem Wort weist sie darauf hin, dass die Unternehmen und Banken die Hauptakteure sind.
Der jüngste Vorstoß der sechs Finanzminister aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und Polen – aus Anlass der Offshore-Leaks – für einen «automatischen Datenabgleich» lässt viele Fragen offen: Werden auch die Briefkastenfirmen von Unternehmen, Banken und Hedgefonds einbezogen? Sind die Daten anonym? Welche Behörde bekommt welche Daten? Wie und wie hoch werden dann die gemeldeten Beträge besteuert? Zudem soll der Datenabgleich nur innerhalb der EU stattfinden, während die allermeisten Briefkastenfirmen – siehe das Beispiel Deutsche Bank – außerhalb der EU liegen, die wichtigsten in Delaware.
Werner Rügemer veröffentlichte zuletzt: Rating-Agenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenmacht, transcript 2012, 18,80 Euro.
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