Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2013
«Ich will Kanzler werden»
von Arno Klönne

Die Sozialdemokratische Partei hat wieder einmal einen Bundesparteitag hinter sich gebracht, diesmal im Bayerischen. Der Kanzlerkandidat gab sich kämpferisch, was sonst hätte er auch tun sollen. Und er versicherte, er wolle tatsächlich ins Kanzleramt einziehen. Die Delegierten jubelten ihm pflichtgemäß zu, stehend sogar, auch ihnen blieb nichts anderes übrig. Eine Sonntagsveranstaltung, für ein paar Stunden, Überraschungen gab es nicht, und nun geht es weiter mit der werktäglichen Misere dieser Partei.

Manche Medien berichteten, mit diesem Parteitag sei das Soziale an der sozialdemokratischen Partei wieder hervorgetreten, virtuell. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Augsburg eine Wende beim Wahlvolk hervorbringt, dort ist Realismus denn doch weitverbreitet.

Mit zeitraubenden oder gar konflikthaften Debatten rechnete der SPD-Parteivorstand offenbar nicht, in fünf Stunden hatten die Parteitagsdelegierten ihre Aufgaben zu erledigen, ein Papier im Umfang von 103 Seiten war zu beschließen, das den Namen «Regierungsprogramm» trägt, es wurde einstimmig akzeptiert. Ob es zum Mitregieren der Sozialdemokraten kommt und wenn, in welcher Koalition, ist ungewiss; derzeit am ehesten wahrscheinlich ist eine Partnerschaft mit der Union, unter deren Führung.

Praktisch handelt es sich bei dem Programm um eine Art Wunschkatalog; er ist zu langatmig und zu diffus, als dass er beim Wahlkampf Furore machen könnte, also wird er dazu gedacht sein, vielerlei programmatische Erwartungen innerhalb der Partei verbal zufrieden zu stellen. Bedient werden die nachhaltigen Befürworter der Agenda-2010-Politik ebenso wie diejenigen, die an der Regierung wenigstens in Einzelheiten die Folgen dieses «Reformwerks» wieder korrigieren möchten. In Wahlkampfzeiten tritt die SPD, so werden ihre Manager denken, am besten mit dem Profil einer Sowohl-als-auch-Partei auf, um Stimmen hier wie dort einzusammeln, von Agenda-Fans und von Agenda-Kritikern. Attraktiv ist das nicht, konfus ist ja schon die Union, aber die hat wenigstens eine eiserne Kanzlerin.

Als parteioffizieller Leitsatz gilt jetzt: «Wir wollen eine demokratiekonforme Marktwirtschaft.» Aber was heißt da «Markt»? Auf welche Weise soll er zur Demokratieverträglichkeit gebracht werden? Dies wäre ein höchst anstrengendes, entschiedene und andauernde Konfliktbereitschaft verlangendes politisches Großprojekt. Und das als Arbeitsplan für die SPD? Selbst für Menschen, die der Partei wohlgesonnen sind, liegt der Gedanke nahe, dass besagter Spruch nicht ernst gemeint ist. Bezeichnenderweise werden denn auch in dem Augsburger Programm die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, unter denen oder gegen die solcherart politische Verheißungen durchgesetzt werden müssten, erst gar nicht behandelt.

Der Parteitag hatte seine Funktion im anlaufenden Wahlkampf. Der wird personalisierend geführt, nun war aber Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat vom vorhergehenden Parteitag schon abgesegnet. Zu eben diesem Thema, das längst schon die Basis der SPD in verdeckte Besorgnis versetzt, konnte es demnach in Augsburg keine Diskussion geben. Die Partei wäre auch gar nicht in der Lage, ihren Wahlspitzenmann auszuwechseln. Sie hätte, anders als manche Sozialdemokraten raunen, auch keine personelle Alternative zu Steinbrück; Hannelore Kraft oder Olaf Scholz kamen zu Erfolg in ihren speziellen Revieren, auf der Berliner Bühne würden sie bald enttäuschend wirken.

Steinbrück gab die Parole aus: «Es geht um die Bändigung von Fliehkräften in unserer Gesellschaft». Was kann damit gemeint sein? Die sonst immer genannten Finanzmärkte, die gezähmt werden sollen, sind doch keineswegs auf der Flucht. Eher wird der Kanzlerkandidat, als er von «Gesellschaft» sprach, an die Menschen gedacht haben, die als Mitglieder oder Wähler der SPD entflohen sind. Sie sollen von diesem aufsässigen Verhalten wieder abgebracht werden. Durch schöne Parteiworte. Taten sind ja erst fällig, wenn der neue Bundestag seine Arbeit beginnt, und dann hat der Wunsch nach Regierungsteilhabe Priorität.

Wie das politische Leben so spielt: Ausgerechnet das Auftreten der «Alternative für Deutschland» könnte der SPD diesen Wunsch erfüllen. Wenn die euroverdrossene bürgerliche Protestpartei Union und FDP genug Wählerstimmen abjagt, braucht Angela Merkel neue und stützende Hilfskräfte; möglicherweise ist dafür die Sozialdemokratie dann doch noch besser geeignet als die Grünen. Der DGB-Vorsitzende und Sozialdemokrat Michael Sommer hat sich schon auf diese Situation eingestellt, er sprach sich für eine Große Koalition aus. Was ist dagegen schon der Auftritt von Claudia Roth auf dem Parteitag in Augsburg? Sie ist bekanntlich fürs Gemüt zuständig, nicht für Strategien.

Herbstliche Aussichten – die SPD wird, wenn sie dann mitregiert, noch mehr dahinwelken. An Saft und Kraft fehlt es ihr längst, die Agendapolitik war auch in dieser Hinsicht effektvoll. Ein neues Aufblühen in roter Farbe ist nicht zu erwarten. Eine Partei ist ein vergängliches Wesen. Auch wenn sie, wie die SPD, ihre Zeitrechnung mit Ferdinand Lassalle beginnt und im Mai 150 Jahre alt wird.

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