Wegen seines Engagements gegen die Neonazis steht der Stadtjugendpfarrer von Jena, Lothar König, in Dresden vor Gericht – wegen Landfriedensbruch. Für die SoZ sprach Jochen Gester mit ihm.
Lothar König wurde am 11.März 1954 in Leimbach bei Nordhausen in Thüringen geboren und galt schon früh als aufmüpfig: Wegen seiner Sympathien für den Prager Frühling erlebte er bereits mit 15 Jahren seine erste Hausdurchsuchung. Er lernte Zerspanungsfacharbeiter (1970–1972) und ging dann in Eisenach in eine Diakonie-Ausbildung. Es folgte ein Studium der Theologie in Erfurt und in Jena. Nach dem Vorbild der Jungen Gemeinde, die wegen ihres unbotmäßigen Verhaltens gegenüber den Staatsorganen den Herrschenden ein Dorn im Auge war, entwickelte Lothar König mit anderen die offene Jugendarbeit in Erfurt. Als Pfarrer in Merseburg war er einer der Organisatoren der Montagsdemonstrationen für gesellschaftliche Veränderungen in der DDR. Früh warnte König vor dem Rechtsextremismus, der die rebellische Jugendszene in Jena früh zu seinem bevorzugten Angriffsziel machte. 1997 wurde er bei einem Überfall der Neonazis schwer verletzt.
Beim Dresdener Prozess gegen Sie, der am 4.April begann, geht es um eine politische Aktion aus dem Jahr 2011. Worum ging es damals?
Es geht um Dresden 2011. Die Nazis marschierten bereits seit Jahren dort auf, um den Beginn der Bombardierungen am 13.Februar 1945 zur Pflege eines Opfermythos zu nutzen, der in Dresden tief verankert ist und auch zu DDR-Zeiten herumgeisterte: Dresden, die arme, schöne, wehrlose, nicht kriegsentscheidende Stadt.
Wie schafften es diese Schweinenazis 1945, so eine Geschichte erfolgreich in die Welt zu setzen? Erstmals stand ich 1982 bei den Ruinen der Frauenkirche mit Kerzen, schwer bewacht von der Stasi. Aus ihrer Sicht war das ein krimineller, staatsfeindlicher Akt. Doch 1990 wurde daraus ein staatstragender Akt. Auf dem Heidefriedhof wurde eine riesige Stätte errichtet. Dort marschierten sie alle auf, in den ersten Jahren auch sämtliche Alliierten, die Stadtregierung, die Staatsregierung von Sachsen, dazu sämtliche Fraktionen des Landtags, die Kirche und die jüdische Gemeinde. Die Neonazis demonstrierten ebenso von Anfang an, ab 2000 immer am 13.Februar, von Jahr zu Jahr kamen mehr.
Die Gegendemonstrationen waren hilflos, es waren viel zu wenig Leute. Wir von der Jungen Gemeinde sind seit 2006 dabei. Man hatte gar keine Chance, den Neonazis etwas entgegenzusetzen, da sie zahlreich, organisiert und beängstigend gewalttätig sind. Die Bevölkerung sieht diesem Treiben fast tatenlos zu, und die Nazis bekommen nicht nur aus der sächsischen Regierung und Justiz eine dumpfe Zustimmung. Die gibt es auch offen, denn die NPD sitzt mit 10% im Landtag – mehr hat die SPD auch nicht.
2009 gelang es zwei größeren Bündnissen zum ersten Mal, mehr Leute nach Dresden zu holen und auch ein paar Dresdner zu gewinnen. Plötzlich waren dort erstaunlicherweise 3000–4000 aus der Antifa, sowie 4000–5000 aus dem linksbürgerlichen Bündnis. 2010 vereinten sich die beiden Bündnisse zu «Dresden nazifrei». Den insgesamt 10000–15000 Leuten gelang es, den Neonazi-Aufmarsch so zu stören, dass sie nicht laufen konnten, was offenbar der sächsischen Justiz ein Dorn im Auge war – so was lassen sie sich nicht von Leute bieten, die in ihren Augen Linke oder Linksextremisten sind.
Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?
2011 entwickelten Polizei und Stadtverwaltung ein wirklich hirnrissiges Konzept für die Demonstration, die dafür Verantwortlichen müssten heute vor Gericht stehen. Die Elbe sollte eine Trennlinie sein. Die Gegendemonstranten sollten sich nördlich davon aufhalten. Die nächste Trennlinie war der Bahndamm, 5–6 Meter hoch. Das Gebiet zwischen Elbe und Bahndamm sollte eine neutrale Zone bilden. Südlich des Damms, in der Nähe vom Hauptbahnhof, war der Aufmarschplatz der Neonazis vorgesehen.
Weil 4000–5000 Polizisten diese Sperrzone jedoch nicht dauerhaft gegenüber 20000 Gegendemonstranten durchsetzen konnten, wurde eine imaginäre Aufenthaltsverbotszone festgelegt. Für die Polizei war jeder, der da hineinging, Straftäter. Sie war überfordert und setzte schon früh Gewaltmittel wie Schlagstöcke und Pfefferspray ein.
Im Prozess gegen Sie ist viel von Gewalttätigkeit die Rede. Was sollen Sie verbrochen haben?
Ein paar Worte zur Vorgeschichte: Die gerichtsrelevante Demonstration war am Sonnabend, dem 19.Februar. Am Sonntag gab es eine Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof. Wir fragten uns: Wie kann es sein, dass dort 2011 der größte Neonaziaufmarsch in Europa stattfindet? Dafür haben wir Verbindungen geknüpft. Dreimal fuhren Leute von Thüringen nach Dresden und telefonierten dabei mit jemandem, der – das wusste damals keiner – zu einer kriminellen Bande in Dresden gezählt wird. Beim zweiten Mal wurden Leute aus unserem Umfeld, die dahin fuhren, observiert. Das Fahrzeug und der Halter wurden festgestellt. Der war ich, und ich bin vielfach aktenkundig. Damit meinten sie, den Chef dieser kriminellen Vereinigung entdeckt zu haben.
So geriet ich hochoffiziell ins Visier von §129a-Ermittlungen (Bildung terroristischer Vereinigungen). Nun wurde behauptet, diese kriminelle Vereinigung habe einen Anschlag auf die Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof geplant. Im Sommer flogen die verdeckten Ermittlungen auf, und der Spiegel erhob mich zur Galionsfigur, um mit 20 Jahren Sachsensumpf abzurechnen. Von dem, was er über mich geschrieben hatte, stimmte zwar nichts, aber der Artikel tat seine Wirkung. Zehn Tage später wurde meine Wohnung durchsucht, es war eine regelrechte Razzia. Es kam mir vor wie ein kindischer Rachefeldzug wegen des Spiegel-Artikels.
Angeklagt wurde ich dann aber nicht nach §129, sondern nach §125 (Landfriedensbruch). Die Klage umfasst drei Punkte: Ich soll verantwortlich sein erstens für eine Aufforderung: «Deckt die Bullen mit Steinen ein»; zweitens für die Abdrängung eines Polizeifahrzeugs beim Einsatz; und schließlich dafür, Straftäter dem Zugriff der Polizei entzogen zu haben.
Gab es nicht einen direkten Gewaltvorwurf?
Die von mir begangene Straftat soll darin bestehen, die während der Demonstration begangenen Delikte billigend in Kauf genommen zu haben. Hier geht es um eine rein subjektive Tatzuschreibung, die den juristischen Rahmen sprengt. Sie wollen mich dafür belangen, dass der Lautsprecherwagen, in dem auch ich saß, als Zentrale des Demoblocks fungiert habe. Über ihn sei immer wieder aufgerufen worden sich zu sammeln, sich zu verständigen, und es wurde informiert, wie es weiter geht – wenn das strafbar ist, wird das Demonstrationsrecht in Grund und Boden getreten.
Wie erklären Sie sich ein solches Vorgehen? Warum macht eine langjährige Hochburg der Arbeiterbewegung im Osten heute der CSU Konkurrenz?
Ein wenig hat es wohl damit zu tun, dass sich die Sachsen in Dresden schon immer als etwas Besonderes empfunden haben. Früher lagen sie im Clinch mit den Preußen, zu DDR-Zeiten waren sie verschrien, sie bildeten sich ein, bessere Kommunisten als die anderen zu sein. Und dann kam Biedenkopf und baute eine Art Fürstentum auf. Über 20 Jahre wuchs ein Filz aus Politik, Wirtschaft und Justiz. Die CDU bekam dadurch eine ungeheure Macht, was auch an der Unfähigkeit der sog. Oppositionsparteien liegt. Von der PDS-Linken kommt nicht all zu viel, die SPD ist auf 10% abgesackt und die Grünen sind so eine Art neue Bürgerpartei. Eigentlich buhlen sie alle nur darum, der kleinere Koalitionspartner der CDU zu werden.
Ihre Biografie gibt Anlass zu Stolz. Sie verkörpern eine Kritik, in der wir uns als West-Linke wiederfinden können. Sie wurden ja angeblich in der DDR zur «feindlich-negativen Person» erklärt. Haben Sie das Gefühl, erneut dieses Etikett zu bekommen?
Ich habe wenig Lust, mich zu solchen Vergleichen zu äußern. Ich habe 89/90 ein Gefühl dafür bekommen, was 1945 los war. Da wurden einige wenige für schuldig erklärt. Hitler, Goebbels und Konsorten, ansonsten wollte es keiner gewesen sein. Viel anders war es 89/90 auch nicht. Alle waren sie im Widerstand, in der Opposition. Keiner hatte mit dem System was zu tun gehabt. 1990 liefen alle dem neuen System hinterher.
Ein Staat funktioniert als Staat, ob der nun feudalistisch, kapitalistisch oder sozialistisch ist. Die Strukturen sind sich sehr ähnlich. Der braucht einen Machtapparat, eine Armee, Polizei, Behörden, seine Gefolgsleute. Sonst kannst du den Machtanspruch nicht durchsetzen. So wurden wir von einem System ins andere befördert. Ich denke, wenn die Leute ein wenig authentischer wären – ich versuche es ein wenig, so gut ich kann und die Kraft dafür da ist – kämen wir weiter. Bertolt Brecht hat einmal gesagt: «Verzweifelnd ist es, wenn da nur Unrecht ist und keine Empörung.» Es gibt ja jeden Tag so vieles, über das man sich empören müsste, z.B. wie wir mit Menschen aus anderen Ländern umgehen. Wer sich empört eckt an. Wenn ich zu denen gehöre, die das tun, dann ist es einfach so.
Was denken Sie über die Unterstützung, die Sie bekommen?
Diese Solidarität seit August 2011 ist für mich das Erstaunlichste. Plötzlich kamen 600 Menschen, um gegen die Polizeirazzia zu demonstrieren, das hat sich bis heute gehalten. Karl-Heinz Dellwo, sicher eine umstrittene Person, die ich aber sehr schätze, hat in einem seiner letzten Bücher geschrieben: «Die RAF ist angetreten, um eine bessere Gesellschaft zu erkämpfen. Am Ende hat sie nur noch dafür kämpfen können, irgendwelche Gefangenen zu befreien, und hat sogar Leute erschossen.»
Es ist auch ein Versagen der Linken, dass die Rechten so erstarken konnten. Das sage ich nicht, um hier die Linken anzupissen. Was ich will, ist ein wenig Selbstkritik, dass wir uns fragen, welche Fehler wir selber gemacht haben. Die Solidarisierung ist enorm, es gibt eine Erklärung, die über 5000 Menschen unterzeichnet haben. Nicht die Anzahl freut mich am meisten, sondern ihre Zusammensetzung, Leute aus allen Bundesländern und allen Schichten der Bevölkerung, Antifagruppen und Kirchengemeinden, kurz, ein Potenzial, das viel größer ist, als ich vermutet hatte.
Im Februar 2013 ist über Lothar König ein Buch erschienen:
"Betroffen sind wenige. Gemeint sind wir alle. Antifaschismus lässt sich nicht vergessen – Solidarität mit Lothar König"
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