Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2013
von A. Ahmed Abdul Razaq

Nach wie vor gibt es in der weltweit veröffentlichten Meinung keine Klarheit über den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. Das Regime von Bashar al-Assad lässt die UNO-Inspekteure nicht ins Land. Allein das spricht Bände. Für besondere Verwirrung hat Carla Del Ponte gesorgt.

Die frühere Chefanklägerin der UN-Gerichte für Ex-Jugoslawien und Rwanda ist Mitglied der Kommission, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien untersucht, das tut sie aber nicht in Syrien, sondern durch Befragung von Patienten und Ärzten in Nachbarländern, die sehr wahrscheinlich nicht wissen oder sagen können, von wem ein Angriff ausgegangen ist. Del Ponte ist wohlweislich nicht Mitglied der anderen UN-Kommission, die zum Einsatz von Chemiewaffen ermittelt. Sie sagte trotzdem in einem Fernsehinterview in der Schweiz: «Nach den Aussagen, die wir gesammelt haben, haben die Rebellen Chemiewaffen eingesetzt und auf das Gas Sarin zurückgegriffen.» Sie fügte hinzu, die Ermittlungen seien nicht abgeschlossen.

Bekanntlich hat die Syrien-Kommission der UNO Carla Del Ponte widersprochen. Diese Kommission behauptet allerdings auch, es gebe «keine beweiskräftigen Ermittlungsergebnisse für einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien durch irgendeine der am Konflikt beteiligten Parteien». Auch die Regierung der USA hat Del Ponte widersprochen und geäußert, wenn überhaupt, sei es das Assad-Regime, das Chemiewaffen einsetzt.

Worum geht es in dieser Auseinandersetzung? Viele glauben, es gehe der syrischen Opposition darum, eine militärische Intervention der USA oder anderer NATO-Staaten herbeizureden. Die Opposition weiß aber, was westliche Interventionen wie im Irak oder in Afghanistan für Folgen hatten. Die westlichen Staaten handeln im eigenen Interesse, wie auch Russland, Iran, Saudi-Arabien, Qatar und Israel. Die syrische Opposition will Freiheit und Demokratie in Unabhängigkeit, und sie will die Wahrheit über die Handlungsweise des Assad-Regimes verbreiten und für Solidarität mit der syrischen Revolution gegen dieses Unterdrückerregime werben. Bitter nötig ist die Ausrüstung der Freien Syrischen Armee mit Waffen, die den Schutz der Zivilbevölkerung vor Bombardierungen und Artilleriefeuer ermöglichen.

In der Küstenstadt Banias hat es Anfang Mai ein Massaker gegeben, die Welt hat die Bilder gesehen. Auf den Videoaufnahmen kann man sehen, dass die Opfer Zivilisten sind und dass Soldaten der Assad-Armee die Häuser, in denen sich Opfer des Angriffs befinden, in Brand setzen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London, deren Angaben allgemein als glaubwürdig eingeschätzt werden, identifizierte bislang 60 Getötete, darunter sind 14 Kinder. An diesem Beispiel kann man sehen, was Assad unter «Kampf gegen den Terrorismus» versteht. Ich verstehe nicht, warum demokratische und linke politische Kräfte im Westen Zweifel daran haben können, dass der Kampf gegen dieses Regime legitim ist.

Chemiewaffenproduktion

Die ersten Granaten mit chemischen Kampfstoffen erhielt Syrien vor dem Krieg von 1973 als Geschenk aus Ägypten. Syrien begann Mitte der 80er Jahre selbst mit der Produktion von chemischen Waffen und der entsprechenden Ausrüstung. Syrien hat seither chemische Kampfstoffe hergestellt, darunter Senfgas und das Nervengas Sarin. Das Regime verfügt über große Lagerbestände in Depots in der Nähe der Hauptstadt Damaskus, nördlich von Homs und entlang der Küste. Syriens derzeitiges Arsenal chemischer Waffen wird auf mehrere tausend Stück geschätzt, es sind zumeist Fliegerbomben gefüllt mit Nervengas sowie 50 bis 100 Sprengköpfe für ballistische Raketen und  Artilleriegranaten.

Syrien besitzt vier Fabriken zur Herstellung von Chemiewaffen: eine in Aleppo, zwei weitere in der Nähe der Industriestädte Homs und Hama, die die Nervenkampfstoffe Sarin und Tabun herstellen. Eine vierte Fabrik befindet sich in Latakia, im Westen des Landes. Südlich von Damaskus befindet sich zudem ein Forschungszentrum für chemische Kampfstoffe. In den Fabriken und dem wissenschaftlichen Studien- und Forschungszentrum arbeitet Syrien mit Russland zusammen, das Know-how, Technologie, Materialien sowie Unterstützung durch russische Chemiewaffenexperten zur Verfügung stellt.

Das Assad-Regime hat seit Beginn der Revolution den Einsatz von Chemiewaffen vorbereitet. Wir mussten von November 2011 an Manöver und Übungen unter den Bedingungen des Einsatzes von Giftgasen durchführen. In dieser Zeit hatten die Rebellen noch nicht einmal Gewehre. Bis heute ist der Widerstand weitgehend zur Anwendung der Guerillataktik genötigt, weil er nicht oder kaum über schwere Waffen verfügt. In den Forschungszentren des Regimes wird unter Anleitung russischer, iranischer und nordkoreanischer Experten fieberhaft an der Nutzbarmachung der Giftstoffe für den Kampfeinsatz gearbeitet. Bereits erfolgte, lokal begrenzte Einsätze in Homs, Aleppo und Damaskus hatten durchaus auch experimentellen Charakter.

Bisher wurden meistens Sarin und Senfgase eingesetzt, mit verheerenden Wirkungen für die Betroffenen. In einigen Krankenhäusern, wie im Libanon, liegen Opfer solcher Angriffe mit Hautverbrennungen und weiteren Symptomen. Die Forschungszentren und Lagerstätten unterstehen unmittelbar einem der Geheimdienste Assads, der der Luftwaffe zugeteilt ist, die Kampfstoffe können nur auf direkten Befehl des Oberkommandierenden Assad selbst bewegt oder eingesetzt werden. Ich weiß das, weil ich selbst seinerzeit mit dem Transport solcher Stoffe befasst war.

Vorwürfe gegen die Opposition

Die Anklage gegen die Opposition, selber solche Chemiewaffen einzusetzen, ist absurd. Selbst wenn sie eine Lagerstätte mit diesen Giftstoffen erobert, verfügt sie bei weitem nicht über die technischen Mittel und die Forschungsmöglichkeiten, um sie als Waffen einsetzen zu können, sogar wenn sie es wollte. Wahr ist, dass auf syrischem Territorium operierende Einheiten der Hizbollah versucht haben, sich solche Munition anzueignen und sie per Lkw abzutransportieren – eben davon hat Israel Kenntnis erlangt, und die Angriffe der israelischen Luftwaffe gegen Ziele in Syrien erklären sich aus der Furcht, solche Kampfstoffe könnten gegen Israel eingesetzt werden.

Für mich kann es keine Zweifel geben, dass das Assad-Regime bereits Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich habe im Gouvernement Idlib selbst Opfer mit Sarin-Verletzungen gesehen. Aber auch auf Youtube kann jeder Bilddokumente über Opfer von Senfgas im Stadtviertel al-Otaiba in Damaskus und im Stadtteil Khalidiya in Homs sehen.

Je mehr die weltweit veröffentlichte Meinung in die Irre geführt wird, je weniger weltweit gegen die Verbrechen seines Regimes protestiert wird, desto mehr wird sich Bashar al-Assad ermutigt fühlen, auch Chemiewaffen als Abschreckungsmittel gegen jedwede Opposition einzusetzen und weiterhin Zivilisten ermorden zu lassen.

Zu meiner Person: Ich bin Absolvent der Fakultät für Chemie an der syrischen Militärakademie und habe seit dem Jahr 2001 in der syrischen Armee gedient. Bevor ich 2012 desertiert bin und mich der FSA angeschlossen habe, war ich Hauptmann des 28.Regiments der syrischen Armee des Assad-Regimes, in einer Abteilung, die für die Abwehr von chemischen Waffen zuständig ist. Vielleicht hat mein Zeugnis deshalb ein gewisses Gewicht.

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