von Rolf Euler
Stopfen der Löcher im Sozialstaat – ehrenamtliche und freiwillige Arbeit ist erneut das Thema dieses Buchs von Gisela Notz. Seit langem forscht und publiziert sie über die nicht (oder gering) bezahlte Arbeit, vor allem von Frauen. Sie beschreibt die Geschichte der sozial Tätigen – «ehrenamtlich» oder «freiwillig» beschäftigt, mehr oder weniger gezwungen durch Kriegs- oder Krisenfolgen.
Konsequenterweise schreibt Gisela Notz die «Freiwilligkeit» und «Ehrenamtlichkeit» in Anführungszeichen, um auf einen grundlegenden Widerspruch hinzuweisen: Abseits der bezahlten Lohnarbeit gibt es sehr viel notwendige, aber unbezahlte Arbeit, die deshalb unbezahlt bleiben kann, weil sie ethisch überhöht wird.
Sie beschreibt aber auch den Widerspruch, dass Frauen, die sich engagieren und aus guter Absicht unentgeltlich Pflege-, Beziehungs- und Unterstützungsarbeit leisten – vor allem viele ältere Frauen nach der Familienphase –, unfreiwillig dem Abbau des Sozialstaats Vorschub leisten: «LebensmittelspenderInnen und ‹freiwillige› HelferInnen tragen durch Tafeln, Suppenküchen und andere existenzunterstützende Maßnahmen zu einer Almosengesellschaft bei, in der Bedürftige nicht mehr auf einklagbare Ansprüche, sondern auf die individuelle Solidarität angewiesen sind ... Indem sie Versorgungslücken zu schließen versuchen, legitimieren sie letztlich den Rückzug des Sozialstaates. ... Plausibel wäre es, auf die Krise und die zunehmende Armut auch mit politischem Engagement zur Bekämpfung von Armut zu reagieren.»
Gisela Notz schildert die Geschichte der Sozialarbeit und der Entwicklung von Großorganisationen der Kirchen in diesem Bereich oder der AWO. Sie beleuchtet die neuen Gesetze der Bundesregierung nach der Aufhebung des Wehrersatzdienstes. Sie erläutert neue Studien zur Niedriglohnentwicklung und prangert die nach wie vor massive Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in der «Freiwilligenarbeit» an: Die Männer engagieren sich vorwiegend fürs sportliche, politische oder vereinsmäßige «Ehrenamt», die Frauen vorwiegend für soziale, pflegerische, caritative «Freiwilligenarbeit». Sie erläutert, warum die Ausgrenzung der Armut auch eine Ausgrenzung der in diesem Bereich engagiert Tätigen ist und keinen existenzsichernden Lohn bringt. Die marktwirtschaftlich begründete «Unbezahlbarkeit» der genannten Tätigkeiten wird als «ehrenhaft» überhöht.
Am Ende greift Gisela Notz noch einmal die viele Engagements auf, in denen Menschen nicht nur helfend freiwillig tätig sind, sondern gleichzeitig versuchen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern, wie Bürgerinitiativen zur Erhaltung der ökologischen Grundlagen, Anti-Atom- oder Friedensgruppen, Mieterproteste, antirassistische oder antifaschistische Gruppen. Je mehr auf «Freiwilligkeit» gesetzt wird, desto dringender ist eine neue Bewertung aller gesellschaftlich notwendigen – bezahlten und unbezahlten – Arbeit erforderlich.
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