Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2013
von Ingo Schmidt

Euro-Kritik hat neuen Aufschwung bekommen – durch Ausstiegsphantasien von links. Doch ist der Euro wirklich der Hauptschuldige an der derzeitigen Wirtschaftskrise?

Bundesbank-Chef Jens Weidmann weiß es besser. Als sei er immer noch Berater von Bundeskanzlerin Merkel, gibt er den neoliberalen Ton an, Merkel und Schäuble übersetzen ihn in länderspezifische Sparprogramme und reichen diese zur Durchsetzung an die EU-Kommission weiter. Auf diese Weise ist es der Bundesregierung bislang gelungen, die Krisenfolgen – steigende Arbeitslosigkeit, Verelendung und drohender Staatsbankrott – auf andere Länder abzuwälzen und Deutschland zum europäischen Wirtschaftswunderland zu stilisieren. Untergründig treibt aber auch in Deutschland viele Menschen die Angst vor griechischen Verhältnissen um.

Von der Alternative für Deutschland über CDU-Fraktionsvize Bosbach bis zum Noch-FDP-Mitglied Schäffler werden solche Ängste aufgegriffen und in ein Programm deutscher Selbstbehauptung umgeformt. Nicht der neoliberale Kapitalismus gilt ihnen als Problem, sondern dessen Verwässerung durch das institutionelle Dickicht der EU, einschließlich EZB. Sie halten die Gemeinschaftswährung für den Vorboten einer europaweiten Gemeinschaftshaftung, die deutsche Spargroschen in den Strudel südeuropäischen Schlendrians ziehen werde. Als Alternative zu den supranationalen Institutionen der EU schwebt ihnen der ungehinderte Wettbewerb von Standorten und nationalen Währungen vor. Vom Euro-Ballast befreit, sei der Standort Deutschmark fit für den Weltmarkt.

Linke Euro-Kritik

Mit gänzlich anderer Stoßrichtung wird der Euro von links kritisiert. Linken geht es nicht um die Eroberung des Welt(währungs)marktes durch die D-Mark, sondern darum, den Wettbewerbsdruck auf die krisengeschüttelten Länder Südeuropas durch Wiedereinführung nationaler Währungen und Abwertung gegenüber den Gläubigerstaaten zu lindern. Nur auf diese Weise ließen sich weitere soziale Verheerungen im Süden vermeiden und vielleicht sogar ein Ausweg aus dem wirtschaftlichen und sozialen Elend finden. Ergänzt wird diese ökonomische Argumentation, die mit Lafontaine jüngst einen prominenten Vertreter gefunden hat, durch die politische Euro-Kritik des ehemaligen Schröder-Beraters Wolfgang Streeck. Dieser hat früher Blaupausen für die Riester-Rente und die Hartz-Reformen entworfen, um den Sozialstaat gegenüber der Niedriglohnkonkurrenz aus China und anderen Ländern des Südens wettbewerbsfähig zu machen.

Mittlerweile ist er jedoch zur Ansicht gelangt, nicht die billige Arbeitskraft des Südens, sondern die Macht der Weltfinanzmärkte sei das Hauptproblem für die Sozialstaaten und Demokratien des Nordens. Diese Macht sieht er in der EU institutionalisiert und plädiert deshalb für die Selbstbehauptung nationaler Demokratien gegenüber der Diktatur von EZB und Fiskalpakt. Durch Wechselkursanpassungen ließe sich der internationale Konkurrenzdruck soweit abmildern, dass in einzelnen Ländern soziale Kompromisse ausgehandelt werden könnten.

Trägt die Kritik?

Die Euro-Kritik von links und rechts ist, jeweils auf ihre Weise, durchaus begründet. Würde Weidmann als Bundesbank-Chef über eine wieder eingeführte D-Mark präsidieren, wäre er längst mit Zinserhöhungen in den Währungskrieg gezogen. Einzig der EZB-Rat unter Draghi hält ihn davon ab. Dass die D-Mark aus den Spekulationsgewittern eines solchen Krieges als gehärtete Anlagewährung hervorgehen würde, ist allerdings zweifelhaft. Auch ohne steigende Zinsen befindet sich die Euro-Zone in einer leichten Rezession. Ein Zinsschock in ihrem ehemaligen Kernland würde einen wirtschaftlichen Absturz sondergleichen auslösen.

Investoren würden sich fragen, woher in einer zerstörten Wirtschaft hohe Zinserträge kommen sollen, und ihr Geld anderswo anlegen. Ob die Wiedereinführung von D-Mark oder Drachme zur erwarteten Aufwertung der ersteren und Abwertung der letzteren führen würde, ist also keineswegs ausgemacht. Erratische Wechselkursschwankungen und die hiervon ausgehende Verunsicherung der Investoren – eines der besseren Argumente auf Seiten unentwegter Euro-Befürworter – sind ebenso denkbar.

Das kann auch mit linken Abwertungsstrategien passieren. Weidmann, Merkel und Schäuble und ihre Entourage in anderen Ländern werden kaum geneigt sein, ein Währungssystem auszuhandeln, dass deutsche Konkurrenzvorteile aufgibt, um den Wettbewerbsdruck auf die schwächeren Euro-Länder zu mindern. Können sich die Regierungen der beteiligten Länder aber auf ein solches System nicht einigen, kommt es zu eskalierenden Wechselkursschwankungen, allgemeinem wirtschaftlichem Niedergang und politischen Konflikten.

Doch selbst wenn sich solch zerstörerische Entwicklungen vermeiden lassen und es zur angestrebten Abwertung von Drachme, Peseta und anderen kommt, ist diese ein zweischneidiges Schwert. Angesichts der Spezialisierung innerhalb Europas müssen viele Konsumgüter auf absehbare Zeit importiert werden, verteuern sich aber in den Ländern, die ihre Währung abwerten. Über die importierte Inflation kommt es dann zu ähnlichen Reallohnsenkungen wie im Fall der EU-diktierten Sparprogramme.

Zudem lösen Abwertungen das Schuldenproblem nicht. Wer von Schuldenstreichung nicht reden will, soll von Abwertung gar nicht erst anfangen.

Wie weiter?

Sofern sie nicht zur neoliberale Augen-zu-und-durch-Truppe um Merkel, Steinbrück und Trittin gehören, müssen sich Eurobefürworter allerdings fragen lassen, welche Alternativen sie anzubieten haben. Dass die neoliberale Konstruktion des Euro die Krise wenn schon nicht ausgelöst, so doch mindestens massiv verschärft hat, ist auf der Linken unbestritten. Dass sich Alternativen zum Neoliberalismus innerhalb von EU und EZB nicht durchsetzen lassen, ist zumindest plausibel.

Dennoch stellt die Frage: «Wie hältst du’s mit dem Euro» nicht den Hauptwiderspruch linker Politik in Europa dar. Der Neoliberalismus hat seinen Siegeszug lange vor der Währungsunion begonnen und wird auch durch deren Auflösung oder Auseinanderbrechen nicht automatisch verschwinden. Um sein Zerstörungswerk zu stoppen, braucht es überzeugende Alternativen und durchsetzungsfähige soziale Bewegungen. Wie die Dinge liegen, sind die Klassenkämpfe in Europa aufgrund der Vergemeinschaftung der Währung bei gleichzeitigem Fortbestand nationaler Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik entlang staatlicher Grenzen fragmentiert. Wenn die Kämpfe in einem oder mehreren Ländern voranschreiten, in anderen aber nicht, kann sich die Frage des Euro-Austritts durchaus stellen. Entscheidend ist aber, dass es eine soziale Bewegung gegen den neoliberalen Kapitalismus gibt.

Und noch etwas: Druck auf schwächere Länder kann über die Währungsunion, aber auch auf andere Weise ausgeübt werden. Mit dem Aufbau einer starken Bewegung im Herzen der europäischen Bestie wäre unseren Genossinnen und Genossen in Griechenland mehr geholfen als mit der Wiedereinführung der Drachme.

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