Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2013
Arbeitskampf bei Neupack in der Sackgasse
von Jochen Gester

In Bezug auf den Arbeitskampf bei Neupack berichteten wir zuletzt darüber, dass die Inhaberfamilie Krüger keine Anstalten macht, wirklich einzulenken. Obwohl es daher nun an der Zeit wäre, über Wege nachzudenken, wie der Arbeitgeber so unter Druck gesetzt werden kann, dass sich im Sinne der Streikenden etwas bewegen lässt, setzen die Verantwortlichen der IG BCE in Hannover auf eine Klärung des Konflikts durch informelle Gespräche, über deren Aufnahme sie auch ihre Mitglieder in den bestreikten Betrieben nicht befragten. Diese wurden in Streikinfos über vermeintliche Fortschritte bei diesen Gesprächen informiert. Offiziell verhandelt Krüger nicht mit der IG BCE, denn er will keine Gewerkschaft im Betrieb. Das Streikinfo Nr.54 vom 11.April vermeldete:

«Dramatische Stunden heute in Hannover und Hamburg: Nachdem der Geschäftsführende Hauptvorstand der IG BCE sich in Hannover intensiv mit dem Thema Neupack befasst hatte, trafen am Nachmittag und am Abend doch noch neue Zugeständnisse aus der Hamburger Neupack-Zentrale bei der IG BCE ein. Zentraler Punkt: Neupack verzichtet auf jegliche Maßregelungsmaßnahmen gegenüber den Streikenden in Hamburg und Rotenburg ... Ralf Becker, Chef des IG BCE-Landesbezirks Nord und Verhandlungsführer: Dies zeigt: Die gleiche Augenhöhe von Arbeitnehmern und Gewerkschaft auf der einen und Neupack auf der anderen Seite ist endlich erreicht! Man kann also auch bei Neupack Rechte erstreiten, ohne Nachteile hinnehmen zu müssen. Das ist zudem ein Schritt zur Befriedung und zur weiteren Mitbestimmung. Im einzelnen: Wer sich in zulässiger Weise am Arbeitskampf beteiligte, hat keine Nachteile zu befürchten, denn ausgesprochene Abmahnungen und Kündigungen werden aus den Personalakten entfernt.»

Verrat am BR-Vorsitzenden

Leider enthält diese euphorisch verkündete Erfolgsbotschaft viel heiße Luft. Angesichts der Tatsache, dass die Gewerkschaft nach wie vor nicht als Verhandlungspartner anerkannt ist und Krüger nichts von einem Tarifvertrag wissen will, ist die Vorstellung von gleicher Augenhöhe und mehr Mitbestimmung ein schlechter Witz. Der Neupack-Chef denkt gar nicht daran, all diejenigen ungeschoren davon kommen zu lassen, die sich ihm widersetzt haben. Die Kündigungen laufen weiter. In Rothenburg wurde soeben einem Kollege zum sechsten Mal gekündigt.

Die oben zitierte Erklärung beinhaltet aber noch mehr als nur ungefährliche Luft, nämlich die Übernahme der gewöhnlich von den Arbeitgebern getroffenen Aufteilung der Streikaktivitäten in zulässige und unzulässige; das ist geradezu ein Tabubruch. Dazu muss man wissen, dass die Krügers den Betriebsratsvorsitzenden Murat Günes und eine Hand voll weiterer Aktivisten als sog. «bad guys» (Übeltäter) eingestuft haben und von der Maßregelungsklausel ausnehmen wollen. Ein Kollege der IG Metall, langjähriger Betriebsrat und Arbeitsrichter, schrieb daraufhin einen empörten Brief an die Hamburger IG BCE. Hierin heißt es:

«Es ist es ungeheuerlich, dass Sie die Rücknahme der Maßregelungen für die ‹legalen Streiker› in das Verhandlungspaket mit aufgenommen haben und für die vom Arbeitgeber angeschuldigten ‹illegalen Streiker› explizit nicht. Eine Gewerkschaft darf eine solche Kategorisierung bei Streikbeteiligungen nicht akzeptieren. Sie erwecken den Anschein, dass Sie die Meinung des Arbeitgebers teilen und die Betroffenen somit dem zufälligen Urteil eines Arbeitsgerichtes, im schlimmsten Fall der Strafjustiz, überlassen. Kann sich überhaupt ein Richter oder auch jemand anders, der nicht die ganze Zeit an diesem Arbeitskampf teilgenommen hat, in die Lage der Streikenden und insbesondere derer, denen eine besondere Verantwortung während des Streikes zukommt, versetzen? Eigentlich nicht. Das habe ich während meines 23-jährigen Ehrenamts als Arbeitsrichter beim Arbeits- und Landesarbeitsgericht beobachten müssen. Ein enormer psychischer Druck lastet auf den Kollegen in diesem Spannungsfeld von Streikbrechern, Arbeitgeber-Propaganda und Sicherheitsdienst mit Wachhunden am Werktor, also die gesamte aufgefahrene gesetzlich geschützte Übermacht des Arbeitgebers … Mit Ihrer Haltung haben Sie die Kolleginnen und Kollegen bei Neupack und darüber hinaus nicht gerade ermutigt, sich in Zukunft an Streikaktionen zu beteiligen, zumal die Kolleginnen und Kollegen erleben mussten, dass ihnen arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen können und dass sie nicht in jedem Fall den Schutz ihrer Gewerkschaft genießen. Zuzulassen, dass der Arbeitgeber über eine Gruppe von Streikenden herfällt, ist ein Verrat.»

So könnte Flexistreik aussehen

In ihrem 57.Streik-Info vom 6.Mai ruderte die Gewerkschaft ein wenig zurück. Über den Stand der Gespräche zu einer Maßregelungsklausel schreibt sie: «Hier hat die IG BCE erreicht, dass bis auf eines alle von Neupack angestrengten Verfahren vom Tisch sind. In dem verbliebenen Fall will die IG BCE erreichen, dass auch das Verfahren gegen Murat Günes eingestellt wird.» Doch wie soll das gelingen? Neupack, so wird in den aktuellsten Streiknachrichten konstatiert, «bewegt sich weiter massiv im Arbeitskampf-Modus». Was also tun? «Jetzt heißt es durchhalten, denn wir sind auf der Zielgeraden», beschwört das Info.

Realität ist, dass das Ziel immer mehr hinterm Horizont verschwindet. Bereits Ende März war den Streikenden klar, dass die im Hauptvorstand in Hannover ausgedachte Streiktaktik nicht greift. Deshalb hatten sie einen Antrag an ihre Gewerkschaft gestellt, ihnen die Leitung des Streiks zu übergeben. Die IG-BCE-Verantwortlichen lehnten das ab, erbaten sich jedoch eine 14-tägige Bedenkzeit, um einen Kompromissvorschlag vorzulegen. Auf diesen Vorschlag warten die Neupack-Kollegen bis heute.

Die Ausständigen hatten auch ein Konzept für einen Flexistreik, der etwas hätte bewegen können. Das Drehbuch sollte dem Muster folgen: Hamburg streikt, Rothenburg nicht. Dann umgekehrt. Nach Arbeitsaufnahme um 6 Uhr, Streik um 8 Uhr. Beim nächsten Mal: Frühschicht streikt, Spätschicht nicht, dann Arbeitsaufnahme durch die Frühschicht und erneutes Arbeitsende nach fünf Minuten. Auf jeden Sanktionsversuch des Arbeitgebers, z.B. Versetzung, folgt ein Tag Arbeitsniederlegung, bei Abmahnung zwei und bei Kündigungen drei Tage. Gerichtsverfahren werden kollektiv besucht. Besonders Urlaubszeiten, in denen die Personaldecke dünn ist, werden für Nadelstiche genutzt. Streikentscheidungen erfolgen unangemeldet und kurzfristig.

Weniger als ein Tarifvertrag

Die Verhandlungsführung der IG BCE möchte den Konflikt gerne mit einer «Regelungsabrede» beenden, die von Juristen als «kleine Schwester der Betriebsvereinbarung» bezeichnet wird. Solche Abreden fallen jedoch üblicherweise in den Bereich von Betriebsräten, sind eher informelle Vereinbarungen und schaffen keine einklagbare Rechtsbindung. Warum sie der rechtlichen Wirkung eines Tarifvertrag «möglichst nahe» kommen soll, bleibt das Geheimnis des IG-BCE-Landesbezirksleiters.

Derweil setzt Neupack weiter auf Neueinstellungen. Die Firma muss nur noch ca. 30 Leute aus der Stammbelegschaft loswerden, um die Sollstärke vor Streikbeginn zu erreichen. Offensichtlich ist die Sozialpartnerschaft, «beste und intelligenteste Form des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit» (IG BCE-Chef Michael Vassiliadis), in eine ernste Akzeptanzkrise geraten.

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