Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2013
«Ich arbeite neben meiner Scheiße, ich esse neben meiner Scheiße»
von Frido Wenten

Am 28.März traten die Hafenarbeiter in Hongkong, die meistens Leiharbeiter sind, in einen 40tägigen Streik für höhere Löhne. Er traf auf große Unterstützung in der Bevölkerung des Stadtstaats und hatte großes internationales Echo.

Der Streik der Hafenarbeiter in Hongkong geht in die dritte Woche. Rund 100 Arbeiter harren noch im Camp vor den Toren des Hong Kong International Terminal (HIT) aus. 400 bis 500 Hafenarbeiter weigern sich, die Arbeit wiederaufzunehmen, das sind 40–50% der Leiharbeiter in den Docks. Während der Hafenbetreiber behauptet, täglich Verluste von rund 500.000 Euro zu machen, war die Streikkasse am 10.April mit rund 350.000 Euro gefüllt. Die öffentliche Solidarität von Gewerkschaften, linken Gruppen, Studierenden und Bürgern ist außerordentlich hoch. Es ist der erste größere Arbeitskampf in Hongkong seit den Streiks der Bauarbeiter 2007.

Die streikenden Arbeiter fordern eine 20%ige Lohnerhöhung und bessere Arbeitsbedingungen. Die Löhne wurden in der Asienkrise 1997 eingedampft und haben sich seitdem nicht erholt – in Wirklichkeit sind sie in Hongkongs Niedriglohnbereich mehr und mehr gesunken. Es gibt widersprüchliche Angaben zum aktuellen Lohnniveau, aber es scheint, dass die Arbeiter zwischen 1250 und 1700 Euro im Monat verdienen. Es gibt keine Sozial- oder Krankenversicherung. Die Lebenshaltungskosten, und erst recht die Immobilienpreise, in Hongkong gehören zu den höchsten in der Welt, da ist es für Arbeiter hart, über die Runden zu kommen. «Ich kann keine Zukunft in Hongkong erkennen. Keine Lohnerhöhung seit zehn Jahren. Wenn Sie hier eine Familie haben wollen, wird das zu einer schweren Belastung», erklärt Jeff Cheung, einer der Streikenden. Jeff ist ein jüngerer Arbeiter Ende Zwanzig, die meisten Kollegen sind zwischen 35 und über 50.

Die Leiharbeitsfirma gehört dem Hafenbetreiber

In einer zwölf-Stunden-Schicht bewegt Jeff etwa 150 Container. Macht er weniger als 10 pro Stunde, bekommt er einen wütenden Anruf von seinem Boss. Es gibt keine Essens- oder Toilettenpausen in der Schicht. Die Arbeiter sollen das in der Krankabine erledigen: «Ich arbeite neben meiner Scheiße, und ich esse neben meiner Scheiße», schmunzelt Jeff.

Jeffs erster Job war am Check-in-Schalter einer großen Fluggesellschaft. Er schmiss hin nach einem Konflikt mit seinem Vorgesetzten wegen eines unverschämten Kunden, der ihm den Pass ins Gesicht schlug und den er dann anbrüllte: «Fick dich ins Knie!» Einen Bürojob gab er auf, weil er die Zustände zu hassen begann: die mangelnde Solidarität unter den Kollegen, die nur um ihr individuelles Fortkommen stritten. «Hier [im Hafen] gibt es keine Beförderung, wir sind alle gleich. Deshalb kommen wir so gut miteinander aus. Nach der Arbeit gehn wir oft zusammen einen heben.» Trotz der schlechten Entlohnung und der miesen Arbeitsbedingungen mag er seinen Job noch immer: «Oben in der Kabine gibt’s keinen Boss, ich mache einfach meine Arbeit. Ich nehme meinen MP3-Player mit hoch und höre etwas Punk und Metal. Eigentlich gefällt mir die Bedienung eines Krans, es ist ein bisschen wie ein Computerspiel.»

Wie alle Streikenden arbeitet Jeff für eine von fünf Leiharbeitsfirmen, zwischen denen er und seine Kollegen hin und her wechseln. Sie werden an den Hafenbetreiber HIT verliehen. Der wird über verschiedene Zwischenfirmen von Hutchison Whampoa kontolliert, einem branchenübergreifenden Konglomerat, das mehrheitlich dem reichsten Mann Asiens, Li Ka-shing, gehört. Die Leiharbeitsfirmen sind eng mit diesem Konzern verknüpft oder sogar Teil davon – die Eigentumsstrukturen werden intern laufend geändert, sodass die tatsächliche Eigentumsverhältnisse verschleiert werden. Diese verwirrenden Kapitalbeziehungen führen dazu, dass die Beschäftigten oft nicht einmal wissen, dass sie für das Imperium von Li Ka-shing malochen.

Jeff arbeitet schon einige Jahre als Kranführer und hat erst durch den Streik von diesen Zusammenhängen erfahren. Hutchison andererseits behauptet, sein Unternehmen habe keine direkten Arbeitsverhältnisse mit den Streikenden, Verhandlungen kämen daher nicht in Frage, der Konflikt sei Sache der Leiharbeitsfirmen.

Jeff und seine Kollegen haben mehrfach versucht, in Verhandlungen mit dem Management zu treten. Sie wählten zehn Vertreter in eine Verhandlungskommission, die von einem Hauptamtlichen der Gewerkschaft Hong Kong Confederation of Trade Unions (HKCTU) angeführt wird. Diese Gewerkschaft ist jedoch nicht die direkte Vertretung der Streikenden, sie organisiert bisher Beschäftigte anderer Industriebranchen, nicht aber die betroffenen Kranführer – sie ist aber formal für sie verantwortlich. Die HKCTU scheint eine vergleichsweise fortschrittliche Gewerkschaft zu sein, relativ jung und nicht bürokratisch verkrustet (zumindest im Vergleich zu den normalen europäischen und US-Gewerkschaften). Sie gründete sich als Föderation kleiner unabhängiger Gewerkschaften in Opposition zur chinafreundlichen, korporatistischen Hong Kong Federation of Trade Unions (HKFTU).

Am 10.April verhandelte das Management der Leiharbeitsfirmen morgens mit den Arbeitern und der HKCTU und am Nachmittag mit der HKFTU, die offensichtlich unter den Streikenden keine Legitimität besitzt. Am Vortag war das Management mit einem Angebot von 5% an die Öffentlichkeit gegangen. Der Streik ist jetzt in der dritten Woche, doch die Verhandlungen sind nicht vom Fleck gekommen – entweder, weil die Unternehmerseite nicht zu den vereinbarten Terminen erschien, oder weil die Angebote inakzeptabel waren.

Währenddessen gehen der Streik, das Camp und eine Vielzahl von Solidaritätsaktionen weiter. Jeff behauptet, in den ersten zwei Wochen des Streiks hätten von zehn Kränen nur zwei gearbeitet. Zunächst hatten die Leiharbeiter – die Minderheit der fest angestellten Arbeiter unterstützt den Streik nicht – den Terminal besetzt und die Arbeiten blockiert. Eine einstweilige Verfügung der Stadtregierung zwang sie dann aus dem Terminal auf einen kleinen Streifen zwischen Zaun und Zufahrtsstraße. In den letzten Wochen strömten Unterstützer und Journalisten zu den Zelten und Pavillons, um Interviews zu machen, Spenden abzugeben oder einfach ihre Solidarität zu zeigen.

Solidarität

Als ich die Docks zuletzt am 10.April besuchte, harrten die Streikenden aus, waren aber nicht mehr so optimistisch. Eine gewisse Routine schien sich eingeschliffen zu haben: Sie nehmen täglich ihre 500 HKD (45 Euro) aus der Streikkasse entgegen, die sich ausschließlich aus Spenden speist, spielen Karten und plaudern mit den Kollegen, den Unterstützern und den Medien. Aber ohne echte Fortschritte macht sich Ernüchterung über die fruchtlosen Verhandlungen und die Untätigkeit der Stadtregierung breit.

Während Kapital und Staat sich nicht bewegen, gab es am Sonntag, dem 7.April, eine Solidaritätsdemonstration von Gewerkschaften, politischen Parteien, linken Gruppen und Migrantenorganisationen – eine breite Koalition von 4000 zum Teil sehr unterschiedlich aufgestellten Menschen. Das war ein außergewöhnliches Ereignis in Hongkong, und wohl nicht nur dort. Die Demonstration machte Halt vor Li Ka-shings Bürogebäude und endete mit einer Kundgebung vor dem Sitz der Stadtregierung.

Eine große Menge junger Leute und Studenten sind an der Organisation praktischer Solidarität beteiligt: Spenden sammeln, Schreiben von Artikeln für Studentenzeitungen, aber auch Boykottaktionen bei der Park’n-Shop-Supermarktkette, die ebenfalls Li Ka-shing gehört. Die Zusammensetzung der studentischen Aktivisten scheint sehr vielfältig, einige sind Mitglieder linker Gruppen, andere scheinen unpolitisch, aber getrieben von einem vagen Gefühl gegen Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen. Manche werden auch von ihren Lehrern geschickt (z.B. Studierende im Bereich Sozialarbeit).

Gedämpfter Optimismus

Es bleibt abzuwarten, was geschieht. Ein mögliches Szenario scheint zu sein, dass das Management auf einige Forderungen eingeht und andere ablehnt, Dadurch könnte es zu einer Spaltung unter den Streikenden kommen. Einfach abwarten, bis die Streikkasse leer ist und die Moral der Streikenden schwächer wird, scheint eine weitere Option – wenn auch eine teure und riskante.

Die täglichen Verluste für Hutchison sind erheblich, und es wurden bereits Container in den Hafen von Shenzhen umgeleitet. Allerdings beschwört das auch unangenehme Erinnerungen herauf, als in den 80er Jahren die Konkurrenz durch den rasanten Aufstieg des Hafens von Shenzhen den Hintergrund für einen massiven Angriff auf die Hafenarbeiter Hongkongs bildete, die zu den militantesten Teilen der Arbeiterklasse zählten.

Offene Repression scheint nicht angesagt zu sein bei dem hohen Grad an Medienpräsenz und der lokalen und internationalen Solidarität – und auch wegen der Neigung der Stadtregierung, sich als demokratisches und liberales Gegenstück zu Festlandchina zu präsentieren. Eine naheliegende Managementtaktik wäre natürlich auch der Einsatz von Streikbrechern. Als ich bei Regen unter einer Plane im Streikcamp sitze, die Polizeiautos an den Toren und die Sattelschlepper beobachte, die zu den wenigen arbeitenden Kränen kurven, frag ich mich, warum das noch nicht passiert ist. Es gibt ja auch keine Streikpostenkette. Als ich mich deshalb an Jeff wende, sagt er: «Weil es keinen gibt, der unter solchen Bedingungen arbeiten will!»

Stand: April 2013

Der Autor studiert in Großbritannien Entwicklungsstudien und lebt zur Zeit in Südchina. Er forscht zu Arbeitsverhältnissen in der Automobilindustrie Chinas und Mexikos. Sein Bericht findet sich auf Englisch auf der Webseite www.gongchao.org. (Übersetzung: Theo Völkl.)

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