Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2013
Den syrischen Staat gegen imperialistische Einmischung verteidigen!

Am Aufruf "Solidarität mit dem syrischen Kampf für Würde und Freiheit", der aus Deutschland nur eine einzige Unterschrift trägt, hat sich eine kontroverse Diskussion entspannt, die sehr grundsätzliche Fragen internationaler Solidarität aufwirft. Wir dokumentieren den Aufruf sowie zwei Diskussionsbeiträge, stellvertretend für andere.

Im zweiten Absatz des Aufrufs werden die Grausamkeiten, die Assad angeblich alle begangen hat, aufgelistet, ohne auch nur mit einer Silbe zu erwähnen, was die Terrorbanden, die gegen Assad kämpfen, so alles an Terroranschlägen, gezielten Morden, Hinrichtungen usw. angestellt haben. Ein Bürgerkrieg ist aber nunmal keine einseitige Angelegenheit. Nebenbei sind das alles Behauptungen, die unbewiesen sind.

Des weiteren waren es die «Rebellen», die jede Verhandlungen torpediert haben, mit Unterstützung des Westens. Kofi Annan ist als UNO-Vermittler deshalb schon zurückgetreten.

Es ist schon echt abenteuerlich, dass die «Rebellen» damit durchkommen, für Verhandlungen Vorbedingungen zu stellen, die eigentlich nur ihr Ergebnis sein können. Es ist doch albern, als Vorbedingungen etwas zu fordern, was für die andere Seite quasi eine Kapitulation bedeutet.

Die These, dass Assad den Konflikt internationalisiert hat, halte ich für sehr gewagt. Selbst Assad sollte doch klar sein, dass er dann «die ganze freie Welt» gegen sich hat. Die Türkei hat von Anfang an den Rebellen einen Rückzugsraum geboten, der Konflikt war also fast von Anfang an internationalisiert. Die Geschwindigkeit, mit der es vom friedlichen Protest zum bewaffneten Aufstand gekommen ist, macht die ganze Sache ziemlich verdächtig. Allein die dafür notwendige Organisation und Ausrüstung kann nicht mal eben so beschafft und aufgebaut werden.

Dass der friedliche Protest dabei in den Hintergrund gedrängt wird, war abzusehen. Aber es ist der Westen, der nur mit Kräften verhandelt, die ihm passen.

Welche Folgen ein Sturz von Assad haben wird, lässt sich wunderbar am Beispiel Libyens beobachten. Am Ende steht ein «failed state», der an religiösen und ethnischen Grenzen gespalten ist. Der Bürgerkrieg geht in Form eines latenten Kampfes um Macht und die Verteilung der Reichtümer zwischen den Gruppen weiter. Der Staat als Nation und als säkularer Staat ist nicht mehr existent. Dann kommen irgendwann Weltbank und IWF und zerschlagen die Reste des Sozialstaates, der unter Gaddafi für Afrika vorbildlich war und die Lebensgrundlage eines Großteils der Einwohner. Die Ressourcen des Landes werden wieder an westliche Konzerne verscherbelt, zum Vorteil einer kleinen Minderheit.

Für uns muss es die wichtigste Aufgabe sein, einen Staat gegen diese imperialistische Strategie des Teile und Herrsche zu verteidigen. Eine Lösung kann nur durch Verhandlungen zwischen den Syrern erreicht werden. Nur, solange sich «Rebellen» mit ausländischer Unterstützung bewaffnet so einem Prozess widersetzen, ist das nicht möglich. Ich halte es für fatal, den imperialistischen Charakter des Konflikts so auszublenden, wie das der Aufruf tut.

Es ist aber nicht nur ein imperialistischer Konflikt, sondern auch ein innersyrischer Klassenkonflikt. Alle die sozialen Probleme, die Auslöser der anfänglichen Proteste waren, sind ungelöst. Aber solange der Bürgerkrieg tobt, sind die nicht lösbar. Dass die «Rebellen» kein Interesse an der Lösung haben, zeigt sich schon heute. Die planen in Berlin mit westlichen Regierungen, IWF usw. den Wiederaufbau. Ausserdem fordern sie humanitäre Hilfe exklusiv für die von ihnen befreiten Gebiete. Also Hilfe bekommt nur, wer loyal ist. Die Mehrheit der Syrer will ein Ende des Krieges. Die «Rebellen» und ihre ausländischen Helfer haben doch real kaum eine soziale Basis in Syrien.

Warum betteln sie sonst permanent im Ausland um Unterstützung und militärische Hilfe, bis hin zur Intervention? Warum müssen sie Kämpfer im Ausland rekrutieren? Warum ist die syrische Armee weitestgehend intakt? Berichte über Deserteure habe ich seit Monaten nicht mehr gehört. Wenn es sie in großer Anzahl gäbe, müssten die «Rebellen» doch ein Interesse haben, das zu verbreiten.

Teja Thürmer, Bremen

Solidarität mit der syrischen Revolution!

Ein diktatorisches Regime, das die demokratischen Rechte mit Füßen tritt, bleibt ein Unterdrückerregime, egal, ob der westliche Imperialismus es gerade stützt oder zum Feind erklärt. Der Aufruf befürwortet im übrigen keine westliche Militärintervention, ganz im Gegenteil.

Das Assad-Regime lässt die eigene Bevölkerung bombardieren und beschießen. Das ist eine Tatsache. Natürlich wird von beiden Seiten Gewalt angewendet – von einem hochgerüsteten Staat mit seiner Armee und von den bewaffneten Kräften der Opposition. Bewaffneter Widerstand gegen einen staatlichen Unterdrückungsapparat ist legitim. Assad nutzt den Spielraum, der ihm bleibt, um die überlegene Bewaffnung seiner Armee auszuspielen. Das Fehlen einer massiven internationalen Solidaritätsbewegung mit der syrischen Opposition und effizienter materieller Hilfe für die bewaffneten Kräfte der Opposition – insbesondere einer Hilfe, die es ermöglichen würde, Assads Luftwaffe zu bekämpfen und damit die Zivilbevölkerung zu schützen – ist bislang sein wichtigster Trumpf.

Die Opposition in Syrien ist heterogen. Die offiziellen Stellungnahmen der FSA wenden sich gegen die dschihadistischen Kräfte.  Dasselbe tun die linken und marxistisch orientierten Kräfte in der Opposition. Sie wenden sich auch gegen kriminelle Banden, die im Windschatten des Widerstands verbrecherische Handlungen begehen. Die selbstorganisierten Strukturen der Zivilbevölkerung und die bewaffneten Kräfte, die gegen das Assad-Regime für Demokratie kämpfen, verdienen unsere Solidarität. Sie sind nur sehr unzureichend bewaffnet und zu Methoden des Kleinkriegs gezwungen, die von den Machthabern seit eh und je als «Terrorismus» diffamiert werden.

Die FSA ist keine proimperialistische «Söldnerarmee». Sie hat sich aus Deserteuren der syrischen Armee des Assad-Regimes herausgebildet. Ihre Zahl wird inzwischen auf über 100.000 geschätzt. Kämpfer aus dem Ausland sind in ihren Reihen eine kleine Minderheit. Ein Indiz sind die Überläufer aus dem Offizierscorps und unter den Diplomaten, die namentlich bekannt sind. Noch heute desertieren täglich Soldaten der Assad-Armee.

Die bewaffneten Kämpfer der Jahbat al Nusra [ein syrischer al-Qaeda-Ableger] werden in Syrien auf etwa 5000 geschätzt. Auch das ist also eine, wenn auch gut ausgerüstete, Minderheit.

Die syrische Revolution ist Teil des arabischen Frühlings. Der Sturz unterdrückerischer Regime, die verlässliche Partner des westlichen Imperialismus waren, ist erst der Anfang. Das unmittelbare Ziel sind demokratische Verhältnisse. Die aufständischen Massen machen ihre Erfahrungen mit den Kräften, die dadurch an die Macht gespült werden. Sie lernen anti-imperialistische Rhetorik von antiimperialistischem Handeln zu unterscheiden. Die politische Umwälzung muss schließlich in eine soziale Umwälzung einmünden, wenn sie vollendet werden soll. Das Assad-Regime hat seit vielen Jahren eine brutale neoliberale Politik gegen die Interessen der Lohnabhängigen und armen Bauern verfolgt und kann in keiner Weise als fortschrittlich charakterisiert werden.

Ich verstehe nicht, wie der FSA vorgeworfen werden kann, Verhandlungen mit Assad zu «verweigern». Assad verweigert Verhandlungen mit denen, die er als «Terroristen» bezeichnet. Seit wann stellen wir Machthaber und ihren Unterdrückungsapparat auf die gleiche Ebene mit Aufständischen, als seien es Kriegsparteien zweier Unterdrückerstaaten? Eine Übergangsregierung, die allgemeine freie Wahlen organisiert, könnte nur eine provisorische Revolutionsregierung sein. Wahlen unter Kontrolle des Assad-Regimes und seiner Armee wären aber keine freien Wahlen.

Franka Holland, Aachen

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