Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2013
Der Arbeiterwiderstand gegen die NS-Diktatur am Beispiel Bremen
von Jörg Wollenberg

Die politische Spaltung der Arbeiterbewegung in der Endphase der Weimarer Republik war maßgeblich dafür verantwortlich gewesen, dass die Nazis siegen konnten. Die Einheitsfront, die vor ’33 boykottiert worden war, kam nach ’33 allmählich in Gang. Ihre Vorreiter waren vor allem junge Arbeiter der KPD und aus den «Dissidentenorganisationen» von SPD und KPD: SAP/SJV, KPO, ISK.*

Nach Angaben der Gestapo befanden sich 1305 Bremer im ersten Jahr der Machtübertragung an Hitler in «Schutzhaft» und wurden in der Regel ab März 1933 in das Bremer KZ Mißler, ab dem 1.Oktober 1933 nach Ochtumsand eingeliefert. Folgt man der «Leistungsbilanz» der Bremer Polizeidirektion vom 6.März 1934, so verzeichnete die Bremer Gestapo innerhalb eines Jahres 31.000 «Eingänge, davon sind von der Exekutive 200 Sachen bearbeitet worden. Rund 950 Haussuchungen wurden vorgenommen, festgenommen im Hochverratsverfahren rund 450 Personen, dem Gericht zugeführt rund 260 Personen».

In den Bremer Ermittlungsverfahren und Prozessen, die zwischen 1933 und 1945 stattfanden, wurden weit über 500 Bremer Vertreter der Arbeiterbewegung zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt – u.a. wegen «Verbreitung von Greuelmeldungen aus den Konzentrationslagern», «Verbreitung illegaler Zeitungen», «Errichtung einer Einheitsfront zwischen KPD und SPD, hier KJVD und SAJ», oder wegen «Vorbereitung zum Hochverrat». Zu den Gefangenen zählten prominente Bürger, die nach 1945 die Politik Bremens prägen sollten: der Reichsbannervorsitzende Willy Dehnkamp, Senator und Bürgermeister ab 1951; der Maschinenschlosser Gustav Böhrnsen, später Vorsitzender der SPD-Fraktion der Bremer Bürgerschaft und Arbeitsdirektor bei VFW-Focker/Messerschmidt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB/VFW); sowie der Redakteur der Arbeiter-Zeitung und Gewerkschaftssekretär des KPD-Bezirks Nordwest, Johann Koschnick, der nach seiner Haftentlassung 1944 in Finnland als Mitglied des Strafbataillons 999 starb. Zu Dehnkamp und zu beiden KPD-Vätern der späteren Bremer SPD-Bürgermeister Hans Koschnick und Jens Böhrnsen gesellten sich zahlreiche Kommunisten und Sozialdemokraten, die zwischen 1933 und 1945 in öffentlichen Schauprozessen wegen der Verteilung illegaler Schriften und des Aufbaus verbotener Organisationen zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren.

Arbeiterjugendliche bilden antinazistische Volksfront

Eine der größten Verhaftungswellen betraf im Sommer 1936 die Arbeiterjugendlichen der KPD, die in Bremen früh Kontakt zu anderen Gruppen des Widerstands pflegten: zu Sozialdemokraten, zu bündischen Jugendlichen und zu den bürgerlichen Mitgliedern des «Vereins für Sport und Körperpflege» (VSK). Auch zur Hamburger KP-Gruppe um Heinz Strelow und zu weiteren Mitgliedern der späteren «Roten Kapelle», wie Cato Bontjes van Beek aus Fischerhude, bestand enger Kontakt. 108 dieser verhafteten Bremer Widerstandskämpfer wurden wegen «Bildung einer Volksfront von Sozialisten und Kommunisten» nach monatelanger Einzelhaft zwischen 1936 und 1938 vor dem Sondergericht des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen in einem öffentlichen Schauprozess zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.

«Böhme, Böhrnsen und andere Jungkommunisten versuchen derzeit, die Mitglieder des ‹Vereins für Sport und Körperpflege› zum Kommunismus herüberzuziehen und jedenfalls in dem VSK eine kommunistische Jugendgruppe zu bilden. Dieses geschah im Auftrage Buckendahls. Er selbst befahl diese Jugendgruppe für den fraglichen Silvester in die Wiekau, um dort eine Schulung zum Zwecke einer Aktivierung der Arbeit zu veranstalten», heißt es im Ermittlungsverfahren. Sie kamen ins Zuchthaus nach Bremen-Oslebshausen. Dort nahmen sie Kontakt zu den im November 1935 verurteilten 47 Sozialdemokraten um Hermann Osterloh auf.

Besonders erfolgreich gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) und den «Roten Kämpfern» um Axel Dehms, Frieda Arnold (Paul), Hermann Lücke, Jan Onasch und Albert Flachmann. Diese hatten als bekennende Vegetarier mit der Einrichtung der von Hitler geförderten vegetarischen Gaststätten Kontakte zwischen den Gruppen erleichtert. Die von ihnen herausgegebene Monatszeitung Blick in die Welt kollagierte geschickt offizielle Nachrichten des Systems zu Formen des Protestes und der Resistenz. Erst im Mai 1937 wurden die Mitglieder des ISK verhaftet. Nach 1945 gehörten sie in der Britischen Besatzungszone mit dem Bremer Werner Hansen (Wilhelm Heidorn) und seinem Bruder Adolf Heidorn zu den Gründungsvätern der westdeutschen Gewerkschaften und von «Arbeit und Leben» – der Kooperation von Volkshochschule und DGB in der Volksbildung.

Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus

Die antinazistischen Volksfront in Bremen wurde, bis zu seiner Verhaftung im August 1934, vom Hamburger Harry Naujoks dem illegalen politischen Leiter des Bezirks Nordwest der KPD aufgebaut; sein Nachfolger Georg Buckendahl setzte die Arbeit mit Unterstützung von Conrad Blenkle aus Amsterdam fort. Das geglückte Beispiel einer solchen Volksfront war jedoch weniger das Resultat parteikommunistischer Strategie. Die Mehrheit der Gruppe lehnte z.B. die Beschlüsse der Brüsseler Konferenz der KPD von 1935 über die Unterwanderung der Naziorganisationen (Strategie des «Trojanischen Pferdes») ab. Das Zusammengehen von Aktivisten aus verschiedenen Strömungen war eher das Ergebnis von Nonkonformisten, die zum Widerstand bereit waren und schon vor 1933 – teilweise an ihren Parteivorständen vorbei – ein Miteinander unterschiedlicher Positionen ausprobierten hatten und unmittelbar nach 1933 unterschiedliche Formen der Illegalität praktizierten.

Zahlreiche Regionalstudien bestätigen: Organisiertes Widerstandshandeln war nach den ersten Erfolgen der NS-Verfolgungsinstanzen durchaus auch nach 1935 noch möglich. Bis zum Ende des Krieges entstanden immer wieder informelle Zellen, neue Bündniskonstellationen und erste Ansätze zu Einheitsfrontbildungen der Arbeiterparteien gegen den Faschismus. Die Gemeinsamkeit des politischen Kampfes beschränkte sich dabei nicht auf einen, inhaltlich durchaus unterschiedlich zu verstehenden, antifaschistischen Minimalkonsens. Hinter diesem Konsens wurden auch Lernprozesse sichtbar, die es den unterschiedlichen Strömungen der Arbeiterbewegung ermöglichten, nach der Befreiung gemeinsam eine demokratisch-sozialistische Neuordnung zu initiieren.

Nach der Abwehr frühzeitiger faschistischer Infiltrationsversuche wurden ab 1935 in den größeren Betrieben – u.a. von den aus den Arbeitslagern, Haftanstalten oder Konzentrationslagern entlassenen, qualifizierten kommunistischen oder sozialistischen Facharbeitern – Zellen aufgebaut, die den Ausgangspunkt der illegalen Arbeit bildeten und zu Keimzellen der «Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus» (KGF) wurden. So gelang es in den Arbeiterhochburgen, die in der Endphase Weimars durch die Fraktionskämpfe zerstörten, alten Formen solidarischen Handelns unter den erschwerten Bedingungen des Widerstandes wieder zu reaktivieren. Das begünstigte auch außerbetriebliche Gegenwehrstrategien und reduzierte die Anfälligkeit für die Nazi-Ideologie.

Der Arbeiterwiderstand wurde verdrängt

Niederlagen müssen nicht notwendig zur politischen Apathie führen. Die Erfahrung der Niederlage erweist sich nicht selten als Möglichkeit, der Resignation und Passivität zu entgehen. Dies gilt historisch gewiss für die Arbeiterbewegung 1933. Auch sie erlitt ja keine totale Niederlage. Schließlich war der antifaschistische Widerstand ein «Verteidigungswerk» (Antonio Gramsci), dessen Ergebnisse noch nicht vollständig eingeholt sind. Dies gilt aber auch für die Niederlagen nach 1945, die der jüngeren Arbeitergeneration nicht als politische Niederlagen bewusst sind, aber doch als biografische Einschränkungen zunehmend spürbar werden.

Zweifelsohne ist es kein Zufall, dass gerade die Oppositionellen aus den Kreisen der Arbeiterbewegung entscheidend am Aufbau der neuen Republiken nach 1945 beteiligt waren, auch wenn diese Leistung in der Restaurationsphase der BRD bald in Vergessenheit geriet. Am 6.November 1981 erinnerte der frühere Betriebsratsvorsitzende der AG Weser, Gustav Böhrnsen, in einem Gespräch an die Folgen der Verdrängung des antifaschistischen Arbeiterwiderstands in der herrschenden westdeutschen Geschichtsschreibung und in der westdeutschen Öffentlichkeit. Böhrnsen stellte fest:

«Heute wird man oft etwas schief angesehen, wenn man zugibt, dass man damals diesen Vereinigungen [SAJ, SAPD, dann KJVD] angehört hat. Aber ich bekenne mich da sehr offen zu. Ich bin immer ein Wanderer gewesen und ein Sucher nach politischen Wahrheiten, soweit es überhaupt politische Wahrheiten gibt … Ich bin der Meinung, dass … dieser Widerstand dazu beigetragen hat, einen neuen demokratischen Weg nach dem Krieg vorzubereiten. Insofern bin ich stolz darauf, der übrigen Welt ein Bild vermitteln zu können, dass es auch andere Menschen gegeben hat als die, die hinter Hitler herliefen … Dafür haben viele ihr Leben gelassen, viele haben für lange Zeit ihre Freiheit geopfert. Und insofern hat es sich gelohnt auch zu zeigen, dass es nicht nur ein paar Offiziere gegeben hat, die sehr spät in Opposition zu Hitler gingen. Lange davor gab es viele Menschen, die ihr Leben gelassen haben, einfache Leute, die ins Zuchthaus gegangen sind. Und ich zähle mich da auch dazu. Wir wollten eine bessere demokratische Gesellschaftsordnung, weitergehend als die Vorstellungen der Leute des 20. Juli. Die Zusammenarbeit in den kleinen Gruppen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten war keine Frage von Diskussionen. Sie war eine Frage der Tat. Wir haben uns nicht in fruchtlose Diskussionen über das eventuelle Wie nach dem Ende des Nazi-Reiches eingelassen. Es war eine wirklich gute Zusammenarbeit, soweit wie ich es beurteilen kann aus meiner Gruppe. Ich darf sie als überparteilich bezeichnen. Die Tatsache, dass man heute der Meinung ist, nur den 20.Juli feiern zu dürfen, und gleichzeitig vom Widerstand der Linken, vom linken Flügel der Arbeiterbewegung, nichts mehr hören will, das beunruhigt mich tief. Ich kann doch einem Mann, weil er heute noch in der DKP ist, seinen Widerstand gegen dieses Nazi-Regime nicht einfach wegnehmen und sagen, dieser Widerstand hat gar nicht bestanden.»

Einheitssehnsucht

In Bremen hatten die Widerstandskämpfer aus allen Fraktionen der Arbeiterbewegung Ende April 1945 die «Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus» (KGF) gegründet. Einer der Initiatoren, Adolf Ehlers (KPD/KPO/ SAP, nach 1945 KPD, ab 1946 SPD), der Lehrer von Gustav Böhrnsen und Heinz Kundel, hatte schon 1944 die Parole ausgegeben, die den politischen Konsens der Gruppe für kurze Zeit prägen sollte: «Einheitsfront von General von Seydlitz bis Wilhelm Pieck». Also ein Bündnis vom Bund deutscher Offiziere im «Nationalkomitee Freies Deutschland» bis zum führenden Repräsentanten der alten KPD.

Die KGF setzte sich vom 6.Mai bis zum 16.Dezember 1945 mit ihren über 6000 Mitgliedern in 14 Ortsgruppen immer wieder in ihrem Zentralorgan Aufbau für «die Bildung einer sozialistischen Einheitspartei» als Hauptziel ein. Zum Zentralvorstand gehörten Sozialdemokraten wie Emil Theil, zur KPD zurückgekehrte Oppositionelle wie Heini Busch oder Franz Cavier. Dazu kamen Georg Buckendahl von der KPD, Vertreter aus dem Exil wie August und Irmgard Enderle (KPO/SAP), Hermann Lücke von der SAP und Fritz und Frieda Paul vom ISK, ergänzt um den Repräsentanten des bürgerlichen Widerstands, Studienrat Alfred Nawrath, den sie zum Vorsitzenden wählten. Sie alle verabschiedeten einvernehmlich noch am 16.Dezember 1945 die «Entschließung zur Bildung einer Einheitspartei».

Und dennoch treffen wir sie nach dem Scheitern der Einheitssehnsucht erneut in den alten, gegen ihren Willen wiedergegründeten Arbeiterparteien SPD und KPD. Aus Bundesgenossen und politischen Freunden des Widerstands wurden wieder «feindliche Brüder».

Der erste Teil dieses Beitrags, «Von der Anpassung zur Zerschlagung – Gewerkschaften und SPD im Mai 1933», erschien in SoZ 5/2013.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.