von Paul Michel
In einer Nacht- und Nebelaktion verfügte Griechenlands Regierungschef Antonis Samaras ohne Rücksprache mit seinen Koalitionspartnern aus PASOK und Dimar am 11.Juni 2013 die Schließung des staatlichen Rundfunk- und Fernsehsenders ERT. Damit wurden von einem Moment auf den anderen rund 2700 Beschäftigte arbeitslos. Es darf davon ausgegangen werden, dass bei der Entscheidung zur Schließung des Senders die Troika ihre Finger im Spiel hatte.
Am 11.Juni stand auf Spiegel-Online zu lesen: «Der Grund für die Entscheidung dürfte der hohe Druck sein, den die internationalen Geldgeber auf die Regierung in Athen ausüben. Die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) ist derzeit vor Ort, um das griechische Sparprogramm zu kontrollieren. So sollen planmäßig noch in diesem Jahr 4000 Staatsbedienstete entlassen werden, die Regierung aber bittet um mehr Zeit. Eine Möglichkeit, das Ziel schneller zu erreichen, ist die Schließung des staatlichen Rundfunks.»
Das handstreichartige Vorgehen von Samaras provozierte nicht nur den Widerstand der Beschäftigten und der Gewerkschaften. Selbst der Erzbischof von Athen, Hieronymus II., bezeichnete die Schließung als «undenkbar», innerhalb des griechischen Parteienspektrums unterstützte einzig die neonazistische «Goldene Morgenröte» den Handstreich von Samaras. Laut Meinungsumfragen lehnten zwei Drittel der Bevölkerung das Vorgehen der Regierung ab. Gezielte Verunglimpfungen von Regierungssprecher Simos Kedikoglou, die ERT sei «ein Paradies öffentlicher Verschwendung», verfehlten die beabsichtigte Wirkung, weil hier offenkundig ein Bock sich als Gärtner aufspielte. Denn eben jener Regierungssprecher hatte erst vor kurzem 40 seiner Leute als hochdotierte «Berater» im Rundfunksender platziert, während die Beschäftigten dort in den letzten Jahren Personalabbau und Lohnkürzungen über sich ergehen lassen mussten.
Berauscht von seinen Erfolgen bei der Niederschlagung der Streiks der Athener Metro-Beschäftigten, der Seeleute und der Lehrer, hat Samaras die Widerstandskräfte der griechischen Arbeiterbewegung unterschätzt und den Bogen offenbar überspannt. Er erreichte das Gegenteil dessen, was er erhofft hatte: eine Wiederbelebung der zuletzt eher demoralisierten Widerstandsbewegung. Die Beschäftigten besetzten den Sender und sendeten von nun an ein Streikprogramm, das trotz gekappter Frequenzen dank der Mitarbeit anderer Kollegen per Internet im ganzen Land zu empfangen war. Vor der Sendezentrale im Norden Athens demonstrieren permanent tausende, um die Belegschaft vor einer Räumung durch die Polizei zu schützen. Am 13.Juni gab es einen landesweiten Generalstreik. Dabei stellte sich erstmals jene Einigkeit im Kampf ein, die ansonsten immer vermisst wurde: KKE-Mitglieder und SYRIZA-Mitglieder standen Seite an Seite. Der Fernsehsender der KKE und die Rundfunkstation von SYRIZA strahlten Programme aus, die ERT-Journalisten vorproduziert hatten. Hinzu kam die Solidarität aus dem Ausland. So kritisierte die Europäische Rundfunk-Union (EBU) den Beschluss der Athener Regierung und trug mit ihrer Technik dazu bei, dass die Streiksendungen ins Internet übertragen werden konnten.
Als das Oberste Verwaltungsgericht in Athen die Schließung des Senders außer Kraft setzte, schien sich die Situation zu entspannen. Doch das Gericht untersagte keineswegs den Umbau des Senders und ermöglichte Samaras die Entlassungen, die er für nötig erachtete. Samaras aber ging auf diesen Kompromiss nicht ein und provozierte damit auch noch das Ausscheiden der kleinsten Regierungspartners, der linksliberalen DIMAR, aus der Koalition. Er weigert sich, seine Entscheidung zur Schließung des Senders zurückzunehmen und besteht bis zu der von ihm angepeilten Neugründung des Senders auf einem Provisorium mit bis zu 2000 ERT-Beschäftigten, die er sich nach Gutsherrenart selbst aussuchen und denen er lediglich befristete Verträge geben will.
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