Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2013
«Das allerletzte Gefecht»: Wolfgang Pohrt zieht den  Stöpsel aus dem Kommunismus

von Ale Schmitz

Wo bleibt eigentlich die Weltrevolution? Der Essayist und Soziologe Wolfgang Pohrt hat keine Lust mehr, darauf zu warten. Für ihn ist der Kommunismus «wie Rauch durch den Kamin» abgezogen. Während die Banken bislang noch gerettet werden konnten, sei die Linke «jetzt schon bankrott».

In seinem neuen Buch Das allerletzte Gefecht macht sich Pohrt über linke Gewissheiten und Annahmen lustig. Und das ist auch sehr lustig zu lesen. Etwa, wenn ihm zu den berühmten Zeilen «Wacht auf, Verdammte dieser Erde / die stets man noch zum Hungern zwingt» einfällt: «Hier und heute doch nur noch in der Abmagerungsklinik.» Der Aufstand der Massen musste seiner Meinung nach ausfallen, weil der Kapitalismus den Sozialstaat ersonnen hat, der die Menschen zu isolierten Einzelfällen für die Statistik macht. Ja, der westliche Sozialstaat hat sogar die revolutionären Intellektuellen alimentiert, wenn sie sich der entfremdenden Lohnarbeit verweigerten, was allerdings eine gewisse Meinungsfreiheit voraussetzt. Wie auch allgemein die Ausstattung des Sozialstaats, euphemistisch gesprochen, davon abhängt, «wie sich das nationale Kapital im internationalen Konkurrenzkampf behauptet».

Nach Pohrt belegt der ökonomische Zusammenbruch Griechenlands nicht das Elend des Kapitalismus, sondern das Elend der Revolutionäre: «Einerseits ein Szenario, von dem Linksradikale und Marxisten immer träumten: Wirtschaftskrise, Staatskrise, Massenarmut, Massenarbeitslosigkeit. Also genau die richtigen Bedingungen dafür, dass die Menschen den wahren Charakter des Kapitalismus durchschauen und erkennen, dass die sozialistische Revolution alternativlos ist. Andererseits aber: Die Revolution bleibt aus.» Soll man hinzufügen «noch»? Pohrt hält die Stimmung in Griechenland für depressiv. Die Menschen «wollen keine neue, andere Gesellschaft, sondern sie sehnen sich nach den besseren alten Zeiten zurück, als der Kapitalismus ihnen Wohlstand garantierte.» Insofern sei die Finanzkrise der «Offenbarungseid» der Linksradikalen gewesen, weil sie gar nicht gewusst hätten, was sie den Leuten anbieten können, wie sie denn nun «den Sozialismus machen» sollen.

Beginnend bei Marx, schert Pohrt die gesamte revolutionäre Linke über einen Kamm. Alle Theoretiker, Militanten, Fraktionen und Traditionen, mit Ausnahme der Sozialdemokratie. Beeindruckt ist Pohrt vom Ostblock, besonders über «sein plötzliches Abtauchen» 1989, das ihn an das Sinken der als unsinkbar geltenden Titanic erinnert. Über Jahrzehnte war das Kritisieren und/oder Verteidigen des sogenannten sowjetischen Modells eine der vornehmsten Aufgaben der Linksradikalen und dann war es plötzlich verschwunden, abgelaufen «wie Badewasser, wenn man den Stöpsel zieht».

Schon vorher bestand nach Pohrt die Pointe darin, dass die «Ostblockkommunisten» erzählten, nur durch Arbeitsprodukte würden «Menschheitsträume» wahr, doch die Verbraucherparadiese gab es nur im Westen. Da gab es auch eine revolutionäre Linke, die mit dem Träumen nie aufhörte, weil sie nach 1968 «nämlich nicht wuchs, sondern schrumpfte». Durchgesetzt hätte sie bestenfalls «etwas zwanglosere Umgangsformen», weil sie nicht die Verhältnisse zum Tanzen gebracht hat, sondern höchstens selber tanzte. Merke: «Unerfüllbare Träume sind die schönsten, weil sie nie mit der Realität kollidieren können.» Und was waren das für Träume? «Eine Aufforderung zum Handeln: Wir müssen Sozialismus machen, und dann ist die Erde wieder rund.» Der mittlerweile im Rentenalter befindliche Pohrt nennt das «40 Jahre Revolution am Schreibtisch».

Belege, Fußnoten, irgendeine Art von Politikwissenschaft gibt es hierfür nicht. Wer aber jemals in der radikalen Linken aktiv war, ahnt schon, was er meint. Das allerletzte Gefecht wirkt so wie eine witzige, geistreiche Partyunterhaltung. Kann man sich darüber aufregen, seufzen, nicken oder grinsen. «Wer das nicht liest, wird doof», urteilte Wiglaf Droste in der jungen Welt. Pohrt, der Anfang der 80er Jahre mit seiner hellsichtigen Kritik der Alternativ- und Friedensbewegung als «nationale Erweckungsbewegung» berühmt wurde, die dann ja tatsächlich in der Militarisierung der deutschen Außenpolitik unter Schröder und Fischer mündete, läuft hier stellenweise zu imposanter polemischer Form auf. Das Buch ist viel besser geschrieben als Kapitalismus Forever, Pohrts ungelenker, angeblicher Abschied vom Marxismus aus dem letzten Jahr.

Das Dumme daran ist nur, dass dieses allerletzte Gefechtsbuch auf zwei politisch äußerst unympathischen Annahmen beruht. Pohrt hält den Kapitalismus mit Adam Smith für ein «selbstregulatives System» und den Menschen mit Joseph Conrad für «ein bösartiges Tier». Da ist er dann wieder bei der Ideologie der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre gelandet, vor der er vor 40 Jahren davon gelaufen ist. Wer hätte das geahnt? «Aus der Geschichte lässt sich alles ableiten, nur kein Verein freier Menschen», schreibt Pohrt.

Wolfgang Pohrt: Das allerletzte Gefecht. Über den universellen Kapitalismus, den Kommunismus als Episode und die Menschheit als Amöbe. Berlin: Edition Tiamat, 2013.

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