Am 13.5.2013 entschied das Landesverfassungsgericht auf Antrag des Senats, das Volksbegehren des S-Bahn-Tisches für unzulässig zu erklären. Dabei wirkt die Begründung des Urteils schlicht: Das Verfahren sei unzulässig, ein Alleingang sei in Berlin nicht möglich, da Brandenburg auch betroffen sei. Damit stößt das Instrument Volksbegehren an seine Grenzen, wo berechtigter, lokaler öffentlicher Einfluss auf überregional agierende Unternehmen geltend gemacht werden muss.
Über 30.000 Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren, die Offenlegung des Verkehrsvertrags, Politisierung des S-Bahn-Themas über die Stadtgrenzen hinaus, Vernetzung der Antiprivatisierungsbewegung in Berlin, Festschreibung der Tariftreue in der Ausschreibung des Betriebs der Berliner S-Bahn – das sind jedoch Erfolge, die bestehen bleiben.
Nach Abschluss der erfolgreichen Unterschriftensammlung zum Antrag auf ein Volksbegehren zur «Beendigung des Chaos bei der Berliner S-Bahn» im Dezember 2011 legte der Berliner Senat dem Verfassungsgerichtshof diesen am 22.2.2012 zur Prüfung der Zulässigkeit vor. Die Entscheidung fiel 15 Monate später. Währenddessen schuf der Senat Fakten und begann eifrig mit der von der Bürgerinitiative bekämpften Ausschreibung. Die Mitglieder des S-Bahn-Tischs können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Senat große Befürchtungen hatte, das Volksbegehren könnte ähnlich erfolgreich enden wie das des Wassertisches. Statt dem öffentlichen Interesse nach Rekommunalisierung zentraler Infrastrukturbereiche Ausdruck zu verleihen, stehen für die politischen EntscheidungsträgerInnen die Interessen von Unternehmen an Profitmaximierung durch Wettbewerb und Privatisierungserlösen im Vordergrund.
Eine Verbesserung der Situation von Fahrgästen und Beschäftigten der Berliner S-Bahn und eine zuverlässige öffentliche Mobilität spielten im Zusammenhang mit dem Gerichtsurteil keine Rolle. Der Konflikt ist nicht gelöst, die Berliner S-Bahn fährt weiter wie eine ausgequetschte Zitrone auf Verschleiß – im Namen der privatrechtlich geführten und auf Renditemaximierung ausgerichteten DB-Konzernführung. Die Folgen der vom Management verordneten Sparzwänge zwecks erhöhter Rendite im Bahnbereich bleiben präsent und werden weiterhin durch Stellenabbau, mangelnde Wagenverfügbarkeit, Arbeitsverdichtung, Fahren auf Verschleiß und Kapazitätsabbau verschleppt und sogar verschärft. Dies mit weiteren Ausschreibungsrunden und der potenziellen Vergabe an Private zu beantworten – wie es der Senat gerade tut – weist in die falsche Richtung. Ausschreibungsmodelle und (Teil-)Privatisierungen führen zur Profitorientierung in der Daseinsvorsorge sowie zu einer Zerstückelung des S-Bahn-Betriebs durch die Vergabe an verschiedene Betreiberinnen. Abstimmungsprobleme, Verzögerungen beim Aufbau des Fuhrparks, Konkurrenz und damit intensivierter Spardruck sind die negativen Folgen.
Das Modell einer S-Bahn aus einer Hand, und zwar einer öffentlichen, bietet dagegen Planungssicherheit, Gestaltungsmöglichkeiten für sozialverträgliche Fahrpreise und Tarifbedingungen für die Beschäftigten. Es kann Gewinnabführungsverträge an einen (rechtlich) privatisierten Mutterkonzern verhindern und sichert öffentlichen Einfluss für einen zuverlässigen S-Bahn-Verkehr in der Hauptstadt.
Die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts bedeutet nun aber, dass die Berliner Bevölkerung – und im Übrigen auch das Abgeordnetenhaus – keine alleinige Gesetzgebungskompetenz in Sachen S-Bahn hat. Was juristisch schlüssig scheint, ist politisch eine Entmündigung der Berlinerinnen und Berliner.
Doch der Kampf gegen Privatisierung und Teilausschreibung geht weiter. Die Antiprivatisierungsbewegung in Berlin ist stark und die Vernetzung der drei Tische (S-Bahn, Wasser, Energie) zeigt, welche Potenziale die Politisierung einer Stadt mit sich bringt, um Privatisierungsforderungen und Ausschreibungsmodellen entschieden entgegenzutreten. Derzeit wird die Forderung nach einer Privatisierungsbremse in der Berliner Landesverfassung laut. Privatisierungen stehen zum einen politischer Steuerung und demokratischem Gestaltungsanspruch und zum anderen dem Nutzen der Kundinnen und Kunden entgegen! Mit dieser Überzeugung kämpft das breite Bündnis des Berliner S-Bahn-Tischs gemeinsam mit anderen Akteurinnen und Akteuren weiter für eine pünktliche, zuverlässige und sichere S-Bahn in öffentlicher Hand.
Gekürzte und leicht veränderte Fassung der Erklärung des Berliner S-Bahn-Tischs.
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