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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2013
Mit 1,5 Mrd. Euro subventioniert der Staat die Einzelhandelsprofite
von Manfred Dietenberger

Anfang dieses Jahres haben die Einzelhandelsunternehmer in fast allen Bundesländern den Manteltarifvertrag einseitig aufgekündigt, der Kaufhauskonzern Karstadt stieg sogar total aus dem Flächentarifvertrag aus, um sich von tariflichen Lohnerhöhungen abzukoppeln.

Dabei wird im Einzelhandel, trotz schwerer Arbeit, überwiegend sowieso schlecht bezahlt.

Wer heute im Einzelhandel arbeitet, ist mehrheitlich weiblich, immer häufiger prekär beschäftigt und häufig abhängig von staatlichen Zuschüssen. Schon heute arbeitet jede Dritte der rund 3,2 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel zu einem Lohn unter 10 Euro die Stunde, jede Fünfte erhielt im Jahr 2010 (neuere Zahlen fehlen) sogar weniger als 8,50 Euro. Deshalb müssen diese Löhne zusätzlich aufgestockt werden.

Nach eigenen Angaben gibt die Bundesregierung jährlich im gesamten Handel rund 1,5 Mrd. Euro für Aufstockerleistungen aus Hartz IV aus, drei Viertel dieser Aufstocker arbeiten im Einzelhandel. Im Juni 2012 mussten zum Beispiel die Einkommen von rund 130.000 Beschäftigten des Einzelhandels auf ein einigermaßen existenzsicherndes Einkommen angehoben werden.

Die Zahl sozialversicherungspflichtiger Vollzeitstellen im Einzelhandel nimmt rasant ab, während immer mehr Beschäftigte in befristete Jobs, in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden oder Minijobs gezwungen werden. Von den rund 3,2 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel waren im Juni 2012 rund 2,3 Millionen Frauen, 2,2 Millionen waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 1,3 Millionen hatten Vollzeitstellen (minus 11% gegenüber 2000), 980.000 arbeiteten in einem Minijob (plus 51% seit 2003). Über die Zahl der im Einzelhandel beschäftigten Leiharbeiter und Werksverträgler sind keine Zahlen bekannt.

Karstadt und die Einzelhandelskette Globus sind weder die ersten noch die letzten Einzelhandelsunternehmen, die aus den Tarifverträgen aussteigen. Weil Tarifverträge der hemmungslosen Ausbeutung der Beschäftigten wenigstens gewisse Grenzen setzt, entledigen sich die Unternehmen dieser lästigen Profitfessel, und so geht die Zahl der tarifgebundenen Unternehmen kontinuierlich zurück. Im Zeitraum von 2000–2011 ging der Anteil der Beschäftigten, die im Handel nach einem Tarifvertrag bezahlt werden, im Westen von 70% auf 54%, im Osten von 43% auf 32% zurück.

Aber es gibt außer der Tarifflucht für Einzelhandelsunternehmen noch weitere lukrative Methoden, Extraprofite zu generieren. Auch hierfür setzt der Karstadt-Konzern auf seine Weise ein Beispiel: Das 2009 in die Insolvenz geratene Warenkaufhaus wurde samt seinen rund 24000 Beschäftigten und 107 Filialen 2010 von einer Finanz-Heuschrecke namens Nicolas Berggruen für einen einzigen Euro und das Versprechen gekauft, in Zukunft Kapitalinvestitionen bis zu 300 Millionen Euro zu tätigen. Doch außer dem einen Euro investierte Berggruen nicht einen weiteren Cent in den Konzern. Durch die Bezahlung des einen Euro sparte er sich eine sonst fällige Schenkungssteuer.

Der Staat schenkte ihm aber nicht nur die Schenkungsteuer, sondern laut Handelsblatt vom 6.Juni noch weitere hunderte Millionen: 94 deutsche Städte verzichteten im Mai 2010 auf 140 Millionen Euro angefallene Gewerbesteuer, um den Weg zur Konzernrettung überhaupt erst frei zu machen; eine Gesetzeslücke bei der Mehrwertsteuererhebung, die Insolvenzverwalter Görg zugunsten Karstadts nutzte, kostete die Steuerbürger der Republik weitere rund 150 Millionen Euro, und die Bundesagentur für Arbeit übernahm für drei Monate die Gehaltszahlungen, wodurch Karstadt rund 100 Millionen Euro geschenkt wurden.

Damit nicht genug. Das bei weitem größte Opfer erbrachte die Belegschaft. Verkäuferinnen und Warenverräumer, die im Monat schlappe 1500 Euro brutto verdienen, verzichteten auf das ihnen tariflich zustehende Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie auf Lohn- und Gehaltserhöhungen. Insgesamt verzichteten die Karstadt-Beschäftigten seit 2009 auf rund 650 Millionen Euro!! Das hat dem Fiskus ein weiteres Loch im Millionenhöhe bei den Lohnsteuereinnahmen beschert. Trotz dieser großen Opfer der Beschäftigten wurden seit Sommer rund 2000 Vollzeitstellen gestrichen. Jetzt soll ein neues Rationalisierungs- und Stellenstreichungsprogramm im Karstadt-Konzern durchgezogen werden, doch die Kolleginnen beginnen sich zu wehren.

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