Eine Delegation der «Internationalen Friedensinitiative für Syrien» aus zwölf hervorragenden Vertretern der Zivilgesellschaft aus neun Ländern*, ist vom 2. bis 8.Juni erst nach Beirut und dann nach Damaskus gereist und hat in Syrien Vertreter der Regierung und der Opposition getroffen, u.a. den Vizeaußenminister, den Informationsminister, den Mufti, führende Mitglieder der internen Opposition, und konnte zwei Stunden «off the records» mit Bashar al-Assad persönlich sprechen. Die SoZ sprach mit LEO GABRIEL, dem Koordinator der Delegation.
Du warst bei Assad. Welchen Eindruck hattest du von ihm?
Er ist wie ein Aristokrat, sehr zuvorkommend, wirkt aber trotzdem etwas unsicher – eher wie ein Prinz als wie ein König. Dabei hat er etwas Marionettenhaftes an sich. Trotzdem, oder gerade deshalb, ist er auf unsere Vorschläge, die wir zuvor anderen Regierungsmitgliedern unterbreitet hatten, sehr bereitwillig eingegangen.
Wenn du sagst, er bewegt sich etwas marionettenhaft, kann es sein, dass er nicht wirklich etwas zu sagen hat, sondern hauptsächlich seine Geheimdienste?
Ja, es hat den Anschein, dass alle Kräfte ihn irgendwie vor sich her schieben. Auch bei unserem Treffen war viel wichtiger, was seine engste Beraterin vorher und nachher gesagt hat, die den allgemeinen Aussagen nach mehr Gewicht hat als jeder Minister. Die Leute um ihn herum sind sehr vorsichtig, während er selbst ganz locker vom Hocker gesprochen hat. Es gibt auch gut informierte Leute, die sagen, er will sich von den Geheimdiensten etwas freispielen und sich mehr auf die Armee stützen. Zumal nachdem er die wichtige Schlacht bei Al Kuseir gewonnen hat. Er scheint davon überzeugt zu sein, dass er militärisch am Gewinnen ist.
Wahrscheinlich deshalb, weil ihm die Hisbollah jetzt den Rücken stärkt und teilweise seine nicht ganz so gut funktionierende Armee ersetzt?
Genau. Die Unterstützung der Hisbollah hat ihm sehr geholfen, auch wenn sie ihn den Preis der Ausweitung des Konflikts kostet.
Im übrigen sind wir, glaube ich, einen Schritt weitergekommen. Denn wir konnten nicht nur ihm, sondern auch allen anderen Regierungsmitgliedern und Oppositionsführern in Damaskus unsere Vorschläge für die Schaffung demilitarisierter Zonen und die Freilassung von politischen Gefangenen (vor allem Frauen, Minderjährige und alte Leute) unterbreiten. Erst die Zukunft wird allerdings zeigen, wie ernst sie es damit meinen. Besonders gut angekommen ist unser Vorschlag einer zivilgesellschaftlichen Friedenskonferenz in Wien, den ich nach Rücksprache mit dem österreichischen Außenministerium vorgebracht habe.
Wer soll an dieser zivilgesellschaftlichen Konferenz teilnehmen?
Grundsätzlich weder Militärs noch Politiker, also nicht diejenigen, die bei der geplanten Staatenkonferenz in Genf die Hauptrolle spielen sollen. Es sollen vielmehr die kommen, die man bei uns als Zivilgesellschaft bezeichnen würde: Leute von der Universität, von den verschiedenen Religionsgemeinschaften, den Krankenhäusern und Schulen usw., Leute eben, die auf der Seite der Regierung oder auf der Seite der Opposition oder des Widerstands Basisarbeit verrichten. Dafür war es wichtig, dass die Regierung ihr Einverständnis gibt, denn sonst wären wir an diesen Bereich der Zivilgesellschaft nicht herangekommen.
Ich würde es aber auch begrüßen, wenn etwa auch der von der Regierung für die Genfer Konferenz bestimmte Verhandlungsführer, Kadri Jameel, und der eine oder andere Oppositionsführer wie Michel Kilo daran teilnähmen, weil die schon seit längerer Zeit für eine politische Lösung eintreten und auch Kontakte zum Widerstand haben. Bei dieser zivilgesellschaftlichen Konferenz wollen wir über verschiedene Themen diskutieren, ähnlich wie bei den Sozialforen, um gangbare Vorschläge für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu erarbeiten.
Wann soll die Konferenz stattfinden und wer bezahlt dafür?
Realistisch scheint mir Anfang Oktober. Ich muss mich jetzt um Sponsoren kümmern, denn wir wollen nicht, dass die österreichische Regierung alles bezahlt.
Was soll dabei herauskommen?
Wir streben Übereinkünfte an, die sich teilweise mit denen in Genf überschneiden, aber zugleich präziser sind: Freilassung von Gefangenen, aber nicht pauschal, sondern Frauen und Kinder zuerst, sowie einige namentlich aufgeführte Zivilpersonen. Genauso werden wir über einen Waffenstillstand sprechen, aber nicht pauschal, wie das die UNO tut, sondern wir wollen lokale Verhandlungen um kriegsfreie Zonen vorantreiben. Wir streben friedensbildende Maßnahmen an.
Wer ist Kadri Jameel?
Er ist Vizepremier und genießt das ein Vertrauen von Moskau. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat er größere Geschäfte gemacht und in dem Maße, in dem sich die russische Position geändert hat, Waffenstillstandsverhandlungen auf lokaler Ebene geführt – z.B. in Der el Zor, dem Erdölgebiet Syriens. Er hat aber auch erzählt, dass in dem Augenblick, wo sie abgeschlossen waren, die Geheimdienste gekommen sind und die Leute, mit denen er verhandelt hatte, verhaftet hat. Daran merkt man, dass es innerhalb des Regimes ziemliche Spannungen gibt. Wir betrachten gerade das als eine Chance dafür, dass ein bisschen was in Bewegung kommen kann.
Ich kann mir vorstellen, dass die Geschäftswelt eher gesprächsbereit ist als die Geheimdienste.
Ja, freilich. Die Bourgeoisie von Damaskus, zu der wir auch Kontakte hatten, hat sich anfänglich vorgestellt, dass Assad mit seiner Armee und den Geheimdiensten die Dinge schon bald ins Lot bringen würde. Jetzt ist die Situation aber auch für sie derart katastrophal geworden, dass sie all ihre Hoffnungen in die Genfer Konferenz setzt. Wann und ob die jetzt zustande kommt, das steht noch in den Sternen.
Habt ihr bei euren Gesprächen mit Vertretern der beiden Konfliktparteien den Eindruck gewonnen, dass es tatsächlich einen ernsthaften Willen zu einer politischen Lösung des Konflikts gibt?
Das stellt sich bei beiden Seiten ganz unterschiedlich dar. Die Regierung sagt, dass sie eigentlich dialogbereit ist, aber nur für einen Dialog ohne Vorbedingungen. Und sie sagt auch immer gleich dazu: Wir können nicht mit diesen Vertretern aus dem Ausland, etwa dem Syrischen Nationalrat oder der Syrian National Coalition (SNC), sprechen, weil diese ja nicht die Bevölkerung im Lande repräsentieren. Es gibt angeblich 1800 verschiedene militärische Gruppierungen der Aufständischen im Land. Und von der Oppositionsseite stellt sich das so dar, dass sich mit Ausnahme der sozialdemokratisch-säkularistischen Linie von Michel Kilo und dem etwas mehr konfessionell orientierten Haytham Manaa vom National Koordination Body for Democratic Change keine Gesprächspartner finden und dass Assad unbedingt abtreten muss, bevor es zu Verhandlungen kommen kann. An diesem Punkt sperrt sich bisher jeglicher Versuch einer Konfliktlösung.
Sagte die Opposition nicht, dass sie nicht teilnehmen will, solange die Hisbollah auf dem syrischen Gebiet tätig ist?
Naja, da gibt es auch wieder Unterschiede. Michel Kilo z.B. sagt, er geht auf alle Fälle nach Genf, egal ob als Beobachter oder als Teilnehmer. Wahrscheinlich ist das Taktieren einiger Oppositioneller um die Teilnahme an der Genfer Konferenz ein Spiel, um möglichst viele Bedingungen schon im Vorfeld herauszuschlagen.
Der Delegation gehörten an: José Raul Vera López, katholischer Bischof der Diözese Saltillo und Vertreter der Befreiungstheologie, Mexiko; Jaqueline Campbell Davila, Menschenrechtsaktivistin, Mexiko; Alejandro Bendaña, Historiker und Spezialist für Fragen des Wiederaufbaus nach dem Krieg, hat mit den UN in Somalia zusammen gearbeitet, Nikaragua; Engel Christiane Reymann, Journalistin und Mitglied der Arbeitsgruppe Feminismus bei der Europäischen Linkspartei; Odysses Nikos Boudouris, Mitglied des griechischen Parlaments und ehemals Vorsitzender von Ärzte ohne Grenzen, Griechenland; François Houtart, katholischer Priester und Soziologe, Gründer des Alternativen Forums, Belgien; Mireille Cécile Agnés Fanon, Expertin für Völkerrecht, Frankreich; Evangelos Pissias, Professor für Wassermanagement und Koordinator der Gaza-Flotille, Griechenland; Maria Dimitropoulou, Politikwissenschaftlerin und Expertin in Konfliktlösung, Griechenland; Moreno Pasquinello, Publizistin und internationale Koordinatoren des Globalen Marschs nach Jerusalem, Italien; Wilhelm Langthaler, Experte für den Mittleren Osten und Friedensaktivist, Österreich; Leo Gabriel, Sozialanthropologe und Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums, Österreich.
Die Initiative hat nach der Reise ihrer Delegation eine Erklärung abgegeben, deren Text steht auf englisch auf der Seite www.antiimperialista.org/peace_ mission_syria
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.