von Alan Thornett
Die Auswirkungen der Sparpolitik haben die Politik in Großbritannien ins Chaos gestürzt. Beide Parteien der Regierungskoalition (die Tories und die Liberaldemokraten) haben bei den Kommunalwahlen Anfang Mai an die Unabhängigskeitspartei UKIP verloren, eine rechtspopulistische und migrantenfeindliche Partei, die alle großen Parteien nach rechts zieht. Die Labour Party hat besser, aber dennoch sehr bescheiden abgeschnitten. Sie vertritt eine eigene Version der Sparpolitik und hat selber der migrantenfeindlichen Stimmung Vorschub geleistet.
Die Linke war bei diesen Wahlen nirgendwo präsent. Dies wirft erneut die dringende Notwendigkeit einer breiten Partei der Linken auf, die, wie SYRIZA in Griechenland, eine klare Plattform gegen die Krise bietet, auf die sich die Arbeiterklasse beziehen kann.
SYRIZA hat gezeigt, dass eine Koalition von Kräften, die demokratisch in einer Partei organisiert sind, Massenunterstützung gewinnen und den Einfluss der etablierten Parteien, einschließlich der Sozialdemokratie, brechen kann. Ähnliche Parteien sind in einer Reihe von europäischen Ländern entstanden. Noch vor einigen Monaten waren die Aussichten dafür in England äußerst düster. Socialist Resistance (SR) hatte sich fortgesetzt für eine solche Partei ausgesprochen. Wir veröffentlichten eine Broschüre und organisierten Foren und Seminare, wo wir mit anderen linken Organisationen darüber diskutierten.
Eine Geschichte von Spaltungen
Die Linken hat ihre Notlage vollständig selbst verschuldet. Gute Gelegenheiten für den Aufbau einer solchen Partei wurden in den letzten 15 Jahren durch Sektierertum verpasst. Dies führte zu einer Reihe von Spaltungen, die ernsthaft die Glaubwürdigkeit eines solchen Projekts untergruben. Entscheidender Auslöser war in jedem einzelnen Fall das Fehlen bzw. die Verletzung organisationsinterner Demokratie. Es ging darum, ob diese Organisationen ein eigenes politisches Leben und eigenständige Entscheidungsfindungsprozesse unabhängig von den beteiligten Gruppen oder von einem wichtigen Individuum an ihrer Spitze haben können.
Die Socialist Labour Party (SLP), gegründet von Arthur Scargill, nachdem Tony Blair 1994 die Kontrolle über die Labour Party übernommen hatte, wurde zerrissen, weil Scargills auf persönlicher Kontrolle über die Organisation bestand und sich weigerte, Pluralismus zuzulassen.
Die Socialist Alliance, die in den 90er Jahren entstand, umfasste zeitweise praktisch alle relevanten Gruppen der radikalen Linken, einschließlich der Socialist Workers Party und der Socialist Party1, sowie bedeutende Kräfte der Labour-Linken. Dieses Bündnis wurde gespalten, als die SP das Bündnis verließ, weil sie dagegen war, den Grundsatz «Ein Mitglied, eine Stimme» einzuführen.
Das Bündnis Respect wurde 2004 gegründet, nachdem George Galloway wegen seiner Opposition gegen den Irakkrieg aus der Labour Party ausgeschlossen worden war, die Socialist Alliance löste sich darin auf. Respect hatte einen breitere Anziehungskraft, insbesondere auf die durch den Krieg radikalisierten Muslime, und schaffte es, dass mit Galloway der erste Abgeordnete links von der Labour Party seit den 40er Jahren ins Parlament gewählt wurde. Respect hatte auch bedeutende Gruppen von Stadträten, vor allem in Ost-London und in Birmingham. Doch Respect spaltete sich (zwischen der SWP einerseits und nahezu allen anderen), als sich die SWP weigerte, ihre bestimmende Rolle in der Organisation aufzugeben.
Respect Renewal, die aus der Spaltung mit der SWP hervorging, wurde zerstört, als Galloway die Organisation unter seine Kontrolle bringen wollte und in eine Unterstützergruppe für sich selbst verwandelte.
Als 2010 der Kampf gegen die Kürzungen begann, wiederholten sich die Spaltungen, diesmal im Rahmen einer breiteren Bewegung. An Stelle einer einzigen landesweiten Kampagne gegen die Kürzungspolitik gab es drei: das National Shop Steward Network (NSSN), eine gewerkschaftliche Koordination, die ursprünglich von der Eisenbahnergewerkschaft RMT gegründet worden war, unterstützt von der SP, Unite the Resistance, betrieben von der SWP, und die Coalition of Resistance (CoR), die auf einer offenen, breiten Basis errichtet wurde.
Die CoR entstand auf Initiative von John Rees, Lindsey German und Chris Banbury, die sich zusammen mit 40 anderen 2010 von der SWP getrennt hatten und in England Counterfire und in Schottland die ISG (International Socialist Group) gründeten. Counterfire wurde zu einer tragenden Säule der CoR. Die SP spaltete 2011 das NSSN durch eine Resolution, die es in Konkurrenz zur CoR bringen sollte.
Breite linke Einheit
Die jüngsten Entwicklungen haben diese Situation auf der Linken aufgebrochen, nun ergeben sich neue Möglichkeiten sowohl für den Aufbaus einer breiten Partei links von Labour als auch für eine Einheit der radikalen Linken.
Am spektakulärsten war der Aufruf des Filmregisseurs Ken Loach für eine neue Partei der Linken, den er anlässlich des Starts seines neuen Films, The Spirit of ’45, lanciert hatte (http://leftunity.org). Der Film verteidigt entschieden sozialistische und kollektivistische Ideen und wurde ab Mitte März in 50 Kinos gezeigt. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten den Aufruf 6000 Menschen, SR ist von Anfang an dabei. Seitdem hat das Projekt Left Unity bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Es gibt jetzt über 90 Ortsgruppen in verschiedenen Entwicklungsstadien, ein erstes landesweites Treffen fand am 11.Mai statt. Erste Vorstellungen über den Zeitpunkt eines Gründungskongresses gehen von Februar/März 2014 aus.
Es scheint allgemeiner Konsens zu sein, dass die neue Organisation eine breite, pluralistische Partei gegen die Krisenpolitik links von Labour sein soll, eine Partei, die nicht auf undemokratische Weise von einer Organisation der radikalen Linken dominiert werden kann. Sie soll auf individueller Mitgliedschaft basieren und kein Kartell von Organisationen sein. Eine Wahlstrategie wurde noch nicht diskutiert, aber es ist klar, dass die Partei nicht, wie die Trade Union and Socialist Coalition (TUSC)2 es macht, Wahlkreiskandidaten aufstellen will, ohne vor Ort Basisarbeit zu machen, und sich nicht auf Wahlaktivitäten beschränken will.
Weder die SWP noch die SP sind an Left Unity beteiligt, abgesehen von einzelnen Mitgliedern auf lokaler Ebene. Auch hat das Projekt keinen charismatischen Führer. Ken Loach wird es zweifellos weiter unterstützen, aber die Rolle als «großer Anführer» kommt für ihn nicht in Frage. Es gibt keine herausragenden Persönlichkeiten. Das kann bei Wahlen ein Nachteil sein, aber angesichts des Schadens, den solche Personen in der Vergangenheit angerichtet haben, hat das auch eine positive Seite. Es bedeutet, dass die Partei sich ihr Ansehen durch ihre Tätigkeit vor Ort erarbeiten muss.
Zusammenarbeit der radikalen Linken
Erste positive Schritte in Richtung auf mehr Einheit unter der radikalen Linken wurden im April 2012 mit der Antikapitalistischen Initiative (ACI) gemacht, die ursprünglich aus einer Abspaltung junger Leute von der Gruppe Workers Power entstanden war. Ende 2012 veröffentlichten sie einen Appell für eine offenere und demokratischere Form radikaler linker Organisation. Luke Cooper und Simon Hardy veröffentlichten dazu ein Buch mit dem Titel Beyond capitalism? The future of radical politics. Es war ein klarer Bruch mit der sektiererischen Vergangenheit.
Einen zweiten Schub bekam dieser Ansatz durch die Krise in der SWP im letzten Januar. Über einen großen Streit über die Art und Weise wie ein Vorwurf sexueller Belästigung in der Organisation behandelt oder eher nicht behandelt wurde, traten etwa 200 Mitglieder aus der SWP aus und gründeten das International Socialist Network (ISN), das am 13.April seine erste landesweite Versammlung abhielt, zu der auch SR und die ACI eingeladen waren. Der Niedergang der SWP, was immer man davon hält, hat die Landschaft auf der radikalen Linken verändert und eröffnet neue Möglichkeiten für ihre Neuformierung. Auch die ISN-Konferenz sprach sich für ein offeneres und demokratischeres Organisationsmodell aus, sie unterstützte auch die Initiative von Ken Loach. Die Krise der SWP geht unterdessen weiter, und es wird erwartet, dass noch weitere Teile die Organisation verlassen.
Socialist Resistance hat auf der ISN-Konferenz eine Grußbotschaft gehalten, in der ihr Vertreter erklärte, er sehe keinen Grund dafür, warum SR, ISN und ACI weiterhin getrennte Organisationen bleiben sollen, kurz- oder mittelfristig sollten sie sich zusammenschließen. Auf der radikalen Linken in England findet ein tiefgreifender Wandel statt, und man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein.
1.Jeweils Schwesterorganisationen von Marx21 bzw. der SAV.
2.Die TUSC wurde 2011 von der SP und der Gewerkschaft RMT lanciert, wozu später auch die SWP stieß.
Quelle: www.internationalviewpoint.org/spip.php?article2959.
Alan Thornett ist Mitglied von Socialist Resistance.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.