Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Absolute oder relative Zahlen?

In dieser Rubrik nehmen GERD BOSBACH und DANIEL KREUTZ monatlich Falschbehauptungen aufs Korn, die nur deshalb für wahr gehalten werden, weil sie ständig kolportiert, aber kaum hinterfragt werden.

Behauptungen

«Löhrmann will 1100 zusätzliche Lehrer einstellen.»

«Die Sozialausgaben explodieren.»

«2012 nur noch 2,5 Milliarden Euro Gewinn für Bayer.»

Der Trick

Die Aussagen stützen sich auf «richtige» Zahlen, erwecken aber dennoch einen falschen Eindruck. Und das ganz bewusst. Dahinter steckt ein und derselbe, leider sehr wirkungsvolle Trick. Man verwendet absolute Zahlen, ohne die notwendige Bezugsgröße zu nennen.

Das erkennt man am einfachsten an den 1100 zusätzlichen Lehrern, die die NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann Mitte 2010 ankündigte. Klingt wie eine mutige Bildungsoffensive: «Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt!» Aber was sagt die Zahl eigentlich? Wer weiß schon, dass es im Schuljahr 2009/2010 in NRW 6035 öffentliche Schulen gab? Dazu ins Verhältnis gesetzt, wird aus der mutigen Bildungsoffensive eine traurige Resignation vor der Schuldenbremse: Fünf bis sechs Schulen teilen sich einen zusätzlichen Lehrer.

Ähnlich plump, aber erfolgreich, gehen Politiker vor, wenn sie Sozial- und Gesundheitsausgaben attackieren wollen. Sie beschreiben meist die Entwicklung der absoluten Ausgaben, z.B. seit 1991. Dabei kommen dann Steigerungen von weit über 80% heraus.

Würden Politiker ihre Diäten oder die Ausgaben der Deutschen für Autos und für Urlaub in gleicher Weise betrachten, bekämen sie ganz ähnlich steigende Kurven. Dahinter stecken nämlich gemeinsame Einflüsse: die Steigung der Preise und der realen Wirtschaftskraft in Deutschland um zusammen 68,9% zwischen 1991 und 2011. Würden die absoluten Sozialausgaben stagnieren, würde deren Kaufkraft für Güter und Dienstleistungen alljährlich sinken. Statt der Entwicklung der absoluten Ausgaben bietet sich also die Betrachtung des Anteils der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) an.

Von einer Explosion der Sozialausgaben ist hier nichts zu sehen. Der einzige größere Anstieg im Jahr 2009 wurde durch den Rückgang des BIP wegen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und der erstmaligen Berücksichtigung der Ausgaben in der Privaten Krankenversicherung (PKV) verursacht. Ansonsten geben wir jährlich relativ konstant um die 30% unserer Wirtschaftsleistung für Soziales aus, trotz gestiegener sozialer Probleme. Hier ist also kein «Wildwuchs» zu sehen, sondern eher ein Rückschnitt.

Gleiches gilt für die Gesundheitsausgaben, die in der BRD seit 1975, einschließlich privater Ausgaben, ungefähr 10% des BIP ausmachen.

Wir haben uns an die Milliardengewinne großer Firmen gewöhnt. Trotz manch moralischer Empörung weiß aber eigentlich niemand, was beispielsweise 2,5 Mrd. Euro Gewinn für die Bayer AG in 2012 bedeuten. Ja, richtig erkannt: Die absolute Größe sagt mal wieder so gut wie nichts aus, ist unvorstellbar und deshalb auch schwer angreifbar. Setzt man sie in Bezug zu den gut 110.000 Beschäftigten weltweit, wird einiges schon deutlicher: Je Beschäftigten erwirtschaftete der Konzern in 2012 den sagenhaften Gewinn von über 22.000 Euro, fast 1900 Euro monatlich, nach Steuern natürlich! Bei dieser Rechnung konnten Leiharbeiter nicht berücksichtigt werden, da sie offiziell nicht ausgewiesen sind. Aber selbst wenn man annimmt, dass Bayer zusätzlich 10% Leiharbeiter beschäftigte, wären das je Arbeitskraft immer noch satte 20.660 Euro Gewinn.

Eine Rechnung für alle 30 Dax-Konzerne für das Jahr 2011 ergab ebenfalls einen gigantischen Gewinn nach Steuern: 17.400 Euro für jeden der knapp 4 Millionen weltweiten Beschäftigten. Mit Leiharbeitern blieben immer noch weit mehr als 15.000 Euro individuelle «Gewinnschöpfung» übrig – kaum Anlass für Zurückhaltung von Seiten der Gewerkschaften und Betriebsräte.

Aber der Teufel kann auch in Steigerungsraten stecken: Wenn DAX-Konzerne eine «Verdopplung» der Anzahl oder des Anteils von Frauen im Vorstand vermelden, kann das auch bedeuten, dass aus einer Frau zwei wurden. «Wirtschaft soll 2013 gut doppelt so schnell wachsen wie 2012», betitelte eine überregionale Zeitung die Erwartungen der Wirtschaftsweisen im Frühjahr 2012. Die Meldung verbreitet positive Dynamik, aber eigentlich ohne Aussagekraft. Bei 0,1% BIP-Wachstum 2012 wäre das gerade mal eine Steigerung auf 0,2% gewesen, also so gut wie nichts. 1% wären verdoppelt 2%, was als solide Entwicklung gedeutet werden könnte, und eine Verdoppelung des 4,2%-Wachstums aus dem Nachkrisenjahr 2010 hätte fast eine Explosion bedeutet. Der Zeitungstitel sollte mit der dynamischen Überschrift wohl verdecken, dass aus schlappen 0,7% Wachstum ein eher «normales» Wachstum von 1,5% werden würde. Hier wäre die Nennung der beiden einzelnen Steigerungsraten ehrlicher gewesen, als deren Wachstum zu berechnen.

Der Kommentar

... erübrigt sich eigentlich. Es empfiehlt sich, die Dinge von beiden Seiten, absolut und relativ, zu betrachten und selbst zu überlegen, welche der beiden Seiten aussagekräftig ist.

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