von Angela Klein
In den letzten 16 Jahren hat Deutschland drei «Jahrhunderthochwasser» erlebt: 1997 das Oderhochwasser, 2002 und jetzt wieder Hochwasser an Elbe und Donau. Jedesmal sind die Pegelstände höher und die Schäden größer, trotz Hochwasserschutzprogrammen. Was läuft da schief?
Drei Jahre nach dem Hochwasser von 2002 verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen von SPD und Grünen ein Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes. Unter der Überschrift «Grundsätze des Hochwasserschutzes» steht da in §31a (1):
«Oberirdische Gewässer sind so zu bewirtschaften, dass so weit wie möglich Hochwasser zurückgehalten, der schadlose Wasserabfluss gewährleistet und der Entstehung von Hochwasserschäden vorgebeugt wird. Gebiete, die bei Hochwasser überschwemmt werden können oder deren Überschwemmung dazu dient, Hochwasserschäden zu mindern, sind nach Maßgabe der Vorschriften dieses Abschnitts zu schützen.»
Die Erkenntnis, dass der «technische» Hochwasserschutz nicht reicht, und vorbeugend Überschwemmungsgebiete bereit gehalten werden müssen, gab es also damals schon und sie fand auch Eingang in das Bundesgesetz. Doch Hochwasserschutz ist Ländersache. Zwar schreibt das Bundesgesetz den Ländern vor, dass sie spätestens bis zum 10.Mai 2010 «mindestens die Gebiete, in denen statistisch ein Hochwasserereignis einmal in hundert Jahren zu erwarten ist» als Überschwemmungsgebiete ausweisen müssen. Doch in diesem Bereich ist kaum etwas passiert.
Große Summen wurden vor allem in den technischen Hochwasserschutz investiert, es wurden Deiche gebaut, saniert und erhöht und die Vorwarnung verbessert. Dies hat dazu geführt, dass 2013 an den Oberläufen von Elbe und Donau im Vergleich zu 2002 viel weniger Schäden entstanden sind, die Katastrophe am Mittellauf, bei Passau, Magdeburg und Fischbeck dafür umso größer geworden ist. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden bei der Flut 2002 belief sich auf 12 Milliarden Euro plus 2 Milliarden private Versicherungen. Die Bundesregierung hat damals 7 Milliarden Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Jetzt ist sie schon bei 8 Milliarden und der Gesamtschaden ist noch gar nicht zu überblicken.
Am Beispiel Sachsen und Sachsen-Anhalt
Vor einem Jahr hat das Land Sachsen-Anhalt in einer Broschüre die Maßnahmen vorgestellt, die es in den letzten zehn Jahren für den Hochwasserschutz ergriffen hat. Das Land rühmt sich darin, 450 Mio. Euro dafür in die Hand genommen zu haben – 250 Mio. davon gingen in die Verbesserung von Deichen, Wehren und Schöpfwerken, der Rest in die Beseitigung der Schäden. Vorsorgemaßnahmen (Flutungspolder und Rückhaltebecken) werden keine aufgelistet, dazu heißt es nur, «sie gewinnen an Bedeutung». Von knapp zwei Dutzend Deichrückverlegungen an der Elbe, die 2002 diskutiert wurden, sind nur drei abgeschlossen, 35.000 Hektar Rückhalteflächen sollten geschaffen werden, 1200 Hektar wurden geschafft (SZ, 19.6).
Sachsen legte, den Bundesvorgaben folgend, im Oktober 2004 eine Neufassung des Wassergesetzes vor; eingefügt wurde ein §99a, der einen landesweiten Hochwasserschutz-Aktionsplan in Aussicht stellt. Die seit dem 1.8.2008 geltende Fassung enthält diesen Paragrafen weiterhin, ohne dass Vollzug hätte gemeldet werden können. Im Juni 2010 stellte die Abgeordnete der Linksfraktion, Jana Pinka, deswegen eine Kleine Anfrage im Landtag: «Dem Vernehmen nach gibt es diesen Plan bis heute nicht.»
Darauf antwortete die Sächsische Staatsregierung: «Die gestellten Fragen überschreiten in Teilen die Grenzen des parlamentarischen Fragerechts … Insbesondere berühren sie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Staatsregierung … Eine umfassende Antwort kann deshalb nicht gegeben werden.» Die sparsame Antwort, die gegeben wird, erlaubt folgendes Bild: Im Januar 2003 wurde damit begonnen, ein Arbeitspapier dazu aufzustellen; Mitte 2003 lag ein Eckpunktepapier vor. Auf dieser Basis hat die Staatsregierung «verschiedenen Aktionen entwickelt», über die es dann eine Übersicht gegeben hat. «Damit war ein wesentliches Ziel der Aufstellung eines Hochwasserschutz-Aktionsplans bereits erreicht.» Im Folgenden wurde an diesem Plan aber gar nicht mehr weiter gearbeitet, denn jetzt wurde ein «Hochwasserschutz-Investitionsprogramm» entwickelt, das «weitgehend die zur Verfügung stehende Arbeitskapazität band».
Nur die Symptome werden bekämpft
Was sich hinter diesem Bürokratendeutsch versteckt, ist schlicht eine politische Verschiebung des Schwerpunktes im Hochwasserschutz: vom vorbeugenden zum eindämmenden. Alle Umweltschutzverbände sagen seit Jahren unisono: Mehr Deichbau bekämpft nur die Symptome, nicht die Ursachen. Er sorgt dafür, dass die Wassermassen schneller abfließen, aber auf einer Länge fast 1100 Kilometer, wie sie die Elbe misst, und mit jedem Nebenfluss, den sie aufnimmt, bedeutet das nur, dass sich die Wassermassen alle im Elbbett stauen und der Flusspegel dadurch höher steigt als notwendig.
Ronald Gramling vom World Wildlife Fund (WWF) sagt dazu im Deutschlandfunk (4.6.): «Deutsche Flüsse sind in ein Korsett gezwungen und haben nicht mehr den Raum, den sie eigentlich bräuchten. Solange dies so ist, wird ein Hochwasser, das ein ganz natürliches Phänomen ist, immer wieder zu neuen Rekorden ansteigen.» Deshalb fordern alle Umweltschutzverbände, dass vor allem Überflutungsflächen bereitgestellt werden; eine kontrollierte Überflutung ist jedenfalls besser als eine, die sich der Fluss am Ende selber schafft, wie bei Fischbeck. Nachdem der Deich dort gebrochen war, hat die Elbe Hunderte Quadratkilometer Weiden und Ackerland überflutet, der Wasserpegel ist dadurch schlagartig gesunken und hat einen großen Teil der Wassermassen von den nachfolgenden Städte Hitzacker und Lauenburg, und schließlich auch Hamburg, ferngehalten.
Noch ist genügend Platz da
Die Elbe hat über 80% ihrer natürlichen Überflutungsflächen und Auwälder verloren. Die Auen mussten Wohnsiedlungen und Industrieanlagen weichen oder werden intensiv durch die Landwirtschaft genutzt. Damit werden Flächen versiegelt, die verhindern, dass das Wasser versickert. Dafür sind die Kommunen verantwortlich. Es gibt handfeste private und wirtschaftliche Interessen, die verhindern, dass Überschwemmungsgebiete als solche ausgewiesen und für diesen Zweck reserviert werden. Sebastian Schönauer vom BUND sagt dazu im Deutschlandfunk (4.6.): «Noch ist genügend Platz da. Wie haben so viele ausgewiesene und festgestellte Hochwasserrückhalteräume, die müssten nur rechtlich durchgesetzt werden.»
Landschaftlich gesehen gibt es diese Flächen, vorzugsweise Weiden und Ackerland, die Landesregierungen müsste nur durchsetzen, dass sie für diesen Zweck auch vorgehalten werden. Damit kommen sie in Konflikt mit Landwirten, Grundstücksbesitzern und Gewerbetreibenden. Das wird der Grund sein, weshalb die Sächsische Landesregierung bis heute ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachgekommen ist, «so weit wie möglich Hochwasser zurückzuhalten und der Entstehung von Hochwasserschäden vorzubeugen». «Da muss die Regierung eben Geld in die Hand nehmen, muss Flächen aufkaufen oder pachten, oder den Landwirten und Grundstücksbesitzern Ausgleichszahlungen zusagen, wenn hier Hochwasser hereingelassen werden muss», sagt Schönauer dazu. «Mit dem Geld, das jährlich aufgewendet wird, um die Katastrophe zu mildern und wieder aufzuräumen, könnte man riesige Flächen erwerben und müsste nur einmal zahlen. Man geht in die falsche Richtung, obwohl man weiß, dass man damit den Menschen nicht hilft.»
Roland Gramling drückt es so aus: «Wir haben unsere Natur darauf gedrillt, möglichst schnell möglichst viel Wasser abzugeben, das dann sehr schnell in die Flusssysteme gelangt. Deutschland verliert täglich 100 Hektar durch Flächenversiegelung, also durch Bebauung, und umso mehr Flächen versiegelt werden, umso schneller wird das Wasser abgeleitet, umso schneller kommt es in die Flüsse. Und wenn es dann ein Hochwasser gibt, dann steigen die Pegel natürlich auch umso schneller und umso höher an. Gerade in Passau sieht man das ja momentan.»
Auch die Landwirtschaft hat einen Anteil am raschen Anstieg der Pegel. «Der Verdacht liegt nahe», sagt Gramling, «dass gerade in Ostdeutschland oder auch in Tschechien, wo es in den letzten Jahren eine Intensivierung und vor allem Mechanisierung der Landwirtschaft gegeben hat, die Bodenverdichtung dazu beiträgt, dass die Böden das Wasser oberflächlich schneller ableiten und das Wasser nicht mehr versickern kann.» Völlig kontraproduktiv sind natürlich auch die Bestrebungen, die Elbe auszubauen, um sie für größere Schiffe befahrbar zu machen.
Ein ökologisches Hochwasserschutzprogramm erfordert, dass die Deiche zurückverlegt werden. Das ist ein Großprojekt und erfordert viel mehr Zeit und Überzeugungsarbeit als eine Erhöhung der Deiche. Vor allem die Kommunen sind in der Pflicht, den Flüssen wieder mehr Platz einzuräumen, d.h. zum Beispiel keine Gewerbegebiete in Hochwasserrisikogebieten mehr zu genehmigen.
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