von Angela Huemer
Es ist nur scheinbar leichter, einen Film zu machen, bei dem die Musik im Mittelpunkt steht. Denn der Film muss einen eigenen Rhythmus finden. Noch schwerer wird es, wenn es gar nicht nur um die Musik geht, sondern vor allem um die Musiker. Da diese in "Can’t be sielend" aus aller Herren Länder stammen und keiner von ihnen bis dato in Deutschland einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat, ist der Film auch eminent politisch,
Julia Oelkers, das sei gleich am Anfang ganz laut gesagt, hat all das wunderbar gemeistert. Die Musik zieht uns hinein in den Film. Richtig gute Musik. Langsam lernen wir die einzelnen Musiker kennen, Hosain aus Afghanistan (aufgewachsen im Iran), Nuri aus Dagestan, schon zwölf Jahre in Deutschland, Sam aus Gambia, Jacques und Revelino von der Elfenbeinküste. Und Heinz Ratz, deutscher Musiker und wesentlicher Teil einer Band namens «Strom und Wasser». Mit dem Fahrrad fuhr er 2011 durch Deutschland, besuchte 80 Flüchtlingsunterkünfte und gab dort Konzerte. Dabei traf er auf tolle Musiker und ermunterte sie, mit ihm und seiner Band zu musizieren. Im Frühling 2012 veröffentlichten sie eine CD und gingen dann auf Tour.
Eigentlich wollten Julia Oelkers und ihr Team nur eine kurze Reportage über das alles drehen, aber bald war klar, dass sie mehr machen mussten. Sie und das Produktionsteam legten los, gingen Risiken ein, denn innerhalb der drei bis vier Monate, die zur Vorbereitung zur Verfügung standen, ist es nahezu unmöglich, traditionelle Geldgeber wie Fernsehsender oder Filmförderstellen zu finden.
Gemeinsam mit dem Berliner autofocus videoverleih gelang es, zumindest die Unkosten einzuspielen.
Julia Oelkers ist im Film zu sehen, wie sie die Begründung des Flüchtlingslagers Braamsche in Niedersachsen vorliest, ihr die Drehgenehmigung zu verweigern. Den Alltag wollte sie dort dokumentieren. Dies, so antwortete man ihr, sei nahezu unmöglich, denn so was wie Alltag gibt es bei so vielen Insassen aus so vielen verschiedenen Ländern gar nicht wirklich. Dem Film tut das keinen Abbruch, später sehen wir Handybilder, die gut vermitteln, wie traurig das Leben drin ist. Und wir sehen den hohen Zaun drumherum. Und die Überwachungskameras.
Schon bei den Probeszenen erahnt man, wie begabt diese Musiker sind. Und bei den Auftritten wird klar, wie sie als Band harmonieren. Man spürt auch ihre Vertrautheit mit den Filmemachern und ihre wachsende Vertrautheit miteinander. Eine der schönsten Szenen ist, als Sam aus Gambia Hosain aus Afghanistan erklärt, wer Bob Marley ist. Hosain hat ein T-Shirt mit einem Foto Bob Marleys. Sam war schon in seiner Heimat Musiker.
Sam und Hosain sind auch in Berlin zugegen, als Heinz Ratz im Bundeskanzleramt die Integrationsmedaille verliehen wird. Sam begleiten wir auf seiner Fahrt im Zug dorthin. «Bahnhöfe», sagt er, «sind immer schwierig.» Denn da ist die Angst größer, kontrolliert zu werden, nach Papieren oder Pass gefragt zu werden. Eine der haarsträubenden Absurditäten deutschen Flüchtlingsrechts zieht sich wie ein roter Faden durch den Film: die sog. Residenzpflicht, d.h. dass die Musiker den Landkreis, in dem sie untergebracht sind, nur mit Erlaubnis verlassen dürfen. Manche Musiker, so wie Nuri, dürfen nicht einmal das Dorf verlassen, in dem sie wohnen. Wenn sie das doch tun wollen, brauchen sie eine Ausnahmegenehmigung. Nicht so leicht. Von Braamsche fährt nur einmal täglich ein Bus, wenn man den verpasst, geht es zu Fuß zur Behörde.
Nach der Premiere in Köln erzählt Julia Oelkers, dass Nuri prompt am Berliner Bahnhof kontrolliert wurde, als er zur dortigen Filmpremiere anreiste (er lebt in Gifhorn bei Wolfsburg). Gut, dass Nuri für diese Erfahrungen ein Ventil hat: Er setzt sich hin und macht einen Song daraus, er will zeigen, wie es ihm geht. «Wenn du nicht auf der Bühne stehst, sehen sie (das Publikum) in dir nur den Flüchtling», so wird Sam in der Infobroschüre zum Film zitiert. Die Regisseurin schafft mit scheinbarer Leichtigkeit sie als Musiker zu zeigen, die gemeinsam spielen, sie individuell zu porträtieren.
Natürlich erfahren wir so etwas über ihre Herkunft, ihren Alltag und vor allem darüber, was sie gemeinsam haben, die vielen Einschränkungen, die mit ihrem (Nicht-)Status einhergehen.
Zurück ins Bundeskanzleramt. Die Szene ist unfreiwillig höchst absurd. Trotz alledem spürt man die Freude der beiden Musiker, die zur Verleihung kamen, Sam und Hosain – auch und sogar beim Foto mit der Verleihenden, Frau Böhmer. Und danach, am Buffettisch, üben sie sich sogar in Smalltalk, Sam erzählt, dass die Leute in Gambia fast nur Fisch essen, Fleisch wäre da schlicht zu teuer.
Respekt verdient die Entscheidung der Macher, den Festivalzirkus sozusagen zu überspringen und den Film sofort in die Kinos zu bringen (was in diesem Fall unglaublich rasch gelang), um damit gewissermaßen die Abschiedstournee der Band «Strom und Wasser featuring The Refugees» zu begleiten. Auf der Internetseite findet sich die Liste aller Kinos und Spielstätten. Auf die Frage, ob der Film auch in Flüchtlingslagern gezeigt wird, meinte Julia Oelkers bei der Premiere in Köln, den Machern sei eher daran gelegen dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge in die Kinos kommen können. Dafür kann man Patenschaften übernehmen, sprich den Eintritt für einen Flüchtling zahlen.
In Köln taten dies sogleich einige. Auch die CD ist erhältlich. In seinem Statement zur Abschiedstournee schreibt Heinz Ratz:
«Wir haben Menschen, die in der Gesellschaft keine Stimme haben, eine Bühne gegeben. Eine Pflanze, die im trostlosen Abseits wurzelte, die kaum Wachstumschancen hatte – hat es zu einer schönen, farbenprächtigen Blüte geschafft. Mehr ist nicht möglich. Jede Steigerung ist nur in kommerziellen Bahnen denkbar. Und da ja durchaus schon Booking-Agenturen und große Plattenfirmen ihr Interesse bekunden, sei noch gesagt: Wenn ihr wirklich wollt, ihr in den Chefetagen des Musikbusiness: Die Refugees sind tolle Musiker und Sänger, haben alle auch Soloprojekte, haben alle eine große Karriere verdient. Warum also nicht ihnen eine Chance geben, statt immer nur auf selbstgezüchtete Marionetten bauen? Aber "Strom & Wasser" ist nicht auf den Karrierestraßen unterwegs, sondern dort zu Hause, wo man die Menschen und Missstände vergisst. Und das ist nicht nur in Flüchtlingslagern der Fall.»
Bleibt zu hoffen, dass die Musiker weiter ihren Weg finden, angesichts ihres Talents scheint das zwingend. Doch, so erzählte die Regisseurin bei der Kölner Premiere, nach wie vor haben alle einen unsicheren Aufenthaltsstatus.
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