von Thies Gleiss
Für die LINKE könnte der Wahlkampf 2013 ein wunderbares Forum sein, ihre politischen Anliegen zu verbreiten und ihre gesellschaftliche Unterstützung auszubauen. Alles spricht im Grunde für sie.
Da ist zunächst das allseits erwartete Ergebnis: Die amtierende Kanzlerin wird auch im Oktober noch im Amt sein und sie kann sich je nach tagespolitischer Laune und konkreten Ergebniszahlen zwischen einer Koalition mit der FDP, der SPD oder den Grünen entscheiden. Der Aufwand für eine Koalition mit der FDP wird der größte sein: Zunächst braucht es eine Ad-hoc-Kampagne mit dem Arbeitstitel «Rettet die FDP für den Bundestag». Die kostet Geld, Zweitstimmen und vielleicht auch das eine oder andere Mandat in Berlin. Die Leihstimmenkampagne, wie Parteienforscher das nennen, übernehmen Presse. Funk und Fernsehen. Nach der Wahl wird die FDP sich wenig dankbar zeigen. Sie muss mit überproportionalen Zugeständnissen bei Posten und Projekten ein zweitesmal eingekauft werden. Dennoch ist das deutlich die Lieblingsoption der herrschenden Klasse in Deutschland, dass CDU und FDP weiterregieren.
Die Koalition mit der SPD käme die CDU am billigsten. Die Sozialdemokraten werden devoter denn je und würden mit Anlauf ins Koalitionsbett springen. Das personell wichtigste Opfer für die CDU wäre dann Ursula von der Leyen, aber Berliner Parlamentskröten unken ja schon seit längerer Zeit, dass dies Frau Merkel ganz gelegen käme. Die SPD hat mit der Kür von Steinbrück zum Kanzlerkandidaten im Grunde auf einen Wahlsieg verzichtet. Sie baute ihre Hoffnungen allein auf ein Erstarken der modernen konservativen Partei in Form der Grünen. Steinbrücks Kampagne, «Ich der bessere Merkel», war zu keinem Zeitpunkt wirklich auf Sieg gepolt. Die vielen und zum Teil unglaublichen Pannen seiner Kampagne sind dafür nicht der Grund, sondern Ausdruck einer tief sitzenden Niederlagenmentalität in seinem Stab.
Die SPD-Führung bereitet jetzt schon die Partei auf eine große Koalition vor. Inhaltlich ist das eh ihre Linie: In allen großen Fragen – EU-Krise, Geheimdienstaffären, Kriegspolitik – beteuert sie unermüdlich ihre nationale Verantwortung. Formal stößt der Kurs in der Partei aber auf Widerstand. Deshalb hat sich der Vorstand einen Trick einfallen lassen: Einen oder zwei Tage nach der Wahl soll ein sog. Parteikonvent einberufen werden, der über die Koalitionsfrage zu beraten hat – entschieden ist sie schon vorher. Denn dieser «Konvent» versammelt alle möglichen Funktionäre und Mandatsträger und stellt somit geradezu das Konzentrat der konservativen Grundhaltung der SPD dar. Die Mitgliederanliegen werden mit diesem pseudodemokratischen Trick einmal mehr ausgehebelt.
Für eine zahlenmäßig verlockende Koalition mit den Grünen müsste die CDU weniger Geld und Posten abtreten, als noch ein bisschen mehr konservativen ideologischen Ballast abwerfen. Angela Merkel hat damit die wenigsten Probleme, und ihre Männerriege in der Provinz ist kaum noch zu einer Rebellion dagegen in der Lage. Viel mehr als der Verzicht auf das Betreuungsgeld wird im übrigen nicht nötig sein, um auch bei den Grünen die Option einer Regierung mit der CDU auf die Agenda zu setzen.
Die großen Themen – EU-Krise, NSU- und NSA-Skandal, soziale Ungerechtigkeiten – die in Deutschland die Diskussionen bestimmen, sind für die LINKE allesamt gefundene Fressen. Deshalb bemühen sich alle ihre Konkurrenten – SPD, Grüne, FDP, Union – diese Themen aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Leider ergreift die LINKE diese Chance nicht. Die fast historische Krise der EU und die heftige Kritik in ganz Europa am Merkelismus – die eine breite und uneingeschränkte Solidarität durch die LINKE erfahren müsste – wird von der Partei verschlafen. Sie müsste dazu einen scharfen Anti-EU-Wahlkampf führen, der deutlich macht, dass die LINKE das Projekt von Amsterdam und Lissabon nicht mitgestalten will, sondern rundheraus ablehnt. Eine solche Positionierung lehnt der rechte Flügel der Partei jedoch ab und der linke ist zu feige, sie in den Mittelpunkt zu stellen.
Ähnlich heikel für die Parteirechte ist das Thema Geheimdienste. Nach NSU und NSA ist die Forderung nach ihrer Auflösung eine populäre Sofortforderung, aber die Kritik an den Massenüberwachungen erfordert eine Abwendung von der «Westbindung» und der Rolle des US-Imperialismus in Deutschland, zu der die Riesenstaatsmänner um Gregor Gysi nicht bereit sind.
Die Gesamtkonstellation im Wahlkampf schreit danach, dass sich die LINKE als Opposition und sonst nichts darstellt. Sie könnte damit aus dem großen, fast mehrheitlichen Pool der Nichtwähler leicht viele Leute für sich zurückgewinnen. Aber die Regierungssozialisten in der LINKEN wollen dies alles partout nicht wahrhaben. Unermüdlich fabulieren sie von einem Bündnis mit SPD und Grünen, von einer Mehrheit links von der Mitte, von einem «gemeinsamen linken Programm» usw. Der neutrale Beobachter steht fassungslos vor so viel Realitätsblindheit. Der komplett parlamentarisierte und unpolitische Blick auf die nackten Zahlen vom Abend des 22.September hat den klaren Kopf von Gysi, Kipping, aber auch von Riexinger und anderen völlig vernebelt. Auf diese Weise verkaufen sie die LINKE als überflüssig und stellen sie selbst im wahlarithmetischen Tingeltangel als nicht wählbar hin.
Wenn die LINKE also wieder mit einem achtbaren Ergebnis in den Bundestag einzieht, dann nicht wegen, sondern trotz ihres Wahlkampfs und ihres verschwommenen Profils. Eine enthusiastische Bindung an die Partei drückt das nicht aus. Trotzdem ist es nicht egal, ob es sie gibt und ob sie im Bundestag sitzt oder nicht. Deswegen gehört ihr am 22.September meine Stimme.
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