Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2013
Geheime Dienste – für wen?
von Arno Klönne

Aufregung über Big Brother – die politikoffiziellen Auftritte hierzulande in dieser Sache waren und sind Musterbeispiele für das Bemühen um systematische Verwirrung des Publikums. Zunächst der Versuch, das Problem kleinzureden, Kritiker zu vertrösten, man brauche erst genauere Informationen. Dann stückweise das Zugeständnis, das ein oder andere aus der Überwachungspraxis sei bekannt gewesen, aber nicht weiter dramatisch. Und das Versprechen, alles in rechtliche Ordnung zu bringen, «unverhältnismäßige» Datenzugriffe seien selbstverständlich zu vermeiden. Und schließlich die wechselseitige Instrumentalisierung des Themas für den Wahlkampf:

Sozialdemokraten und Grüne werfen den derzeitigen Regierungsparteien Inkompetenz und Nachlässigkeit vor, die CDU/CSU erinnert an die Verantwortung einer SPD-geführten Regierung für die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der USA. Auf diese Weise lässt sich Empörung dämpfen. Inzwischen werden Kritiker müde, der Ärger über das Ausspionieren der Privatsphäre mündet bei vielen Bürgerinnen und Bürgern in das Gefühl, da sei leider nicht viel zu machen, so gehe es nun einmal zu in der postmodernen Welt. Die Kryptoparty bietet immerhin eine individuelle Möglichkeit, Nein zu sagen, freilich mit sehr begrenztem Effekt. Kollektiver Protest fand bisher nur relativ wenig Beteiligung; das kann nicht nur an der Urlaubssaison liegen.

Regierende und «regierungsfähige» deutsche Politiker weisen zur Rechtfertigung von Praktiken der NSA darauf hin, dass nach dem 11.9.2001 ein heftiges US-amerikanisches «Sicherheitsbedürfnis» doch sehr verständlich sei, und davon sei eben auch hiesige Kommunikation betroffen. Diese Legende ist reichlich dreist. Schon seit sechs Jahrzehnten nehmen die Machteliten in den USA das Recht für sich in Anspruch, Kommunikation jedweder technischen Art international unter Kontrolle zu bringen und zu halten, mit oder ohne Zustimmung der jeweiligen Nationen. Das betrifft selbstverständlich und mit Nachdruck auch die Bundesrepublik. Und den westdeutschen oder dann gesamtdeutschen Regierungen und ihren Geheimdiensten war dies bekannt, sie waren darin eingebunden, quer durch die Parteien.

«Datenherrschaft» mit der Machtzentrale in den USA war und ist Bestandteil des nordatlantischen Politiksystems, und CDU/CSU/FDP/ SPD/Grüne denken nicht daran, dieses in Frage zu stellen. Übrigens: Es ist nicht «antiamerikanisch», dem entgegenzutreten und die US-NSA als Metropole der globalen Schnüffelei kenntlich zu machen. In den Vereinigten Staaten selbst gibt es massive Kritik an deren Praktiken, an der Verletzung von Bürgerrechten.

Dass sich mit den neuen elektronischen Netzen die Informationsmengen und die Möglichkeiten des Zugriffs und der Auswertung enorm ausgeweitet haben, liegt auf der Hand; die Megaschnüffelei hat damit an machtstrategischem Stellenwert gewonnen. In der Aufgabenbeschreibung des britischen Überwachungsprogramms ist das ganz offen formuliert: «Mastering the Internet, Global Telecoms Exploitation» heißt es dort.

Welchen Zielen dienen diese geheimdienstlichen Tätigkeiten, die «Steuerung» und die «Ausbeutung» von Internet und Telekommunikation? Es handelt sich, um einen offiziellen Begriff heranzuziehen, um «Elektronische Kampfführung» zum Zweck geopolitischer, militärischer und wirtschaftlicher Machterhaltung und -expansion. Dabei mischen sich staatliche und großunternehmerische Interessen, zugleich kommt die Eigendynamik von Geheimdiensten und diesen zuarbeitenden Sicherheitsfirmen ins Spiel, der Drang nach Ausbau des Personals, nach Karrieren im Apparat, nach Profit durch Serviceleistungen.

Dieses Tätigkeitsfeld hat seine besondere Attraktion, eben weil es sich auf «Dienstgeheimnisse» berufen kann. «Big Brother» bedeutet: Die Außenwelt bis in den letzten Winkel hinein transparent zu machen für Kontrolleure, die sich selbst Intransparenz sichern.

Es hat seine Logik, dass dabei auf Grundrechte, auf das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung keine Rücksicht genommen wird. Diesen Sachverhalt hat der Bundesinnenminister etwas naiv auf die Formel vom «Supergrundrecht Sicherheit» gebracht; das «Sichern» gilt aber nicht den Menschenrechten aller, sondern den Machtsphären weniger.

Die übliche Politikerrede, die Megaschnüffelei diene allein der Abwehr von Terrorismus, hat nichts zu tun mit der Empirie des Geheimdienstbetriebs. Es war Zynismus, als NSA-Direktor Keith Alexander verkündete, der Riesenaufwand dieses Dienstes, der Zugriff auf Millionen von Daten, habe sich doch ausgezahlt; 54 terroristische «Vorkommnisse» seien verhindert worden.

Gegenüber dem Justizausschuss des Senats erklärte der Vize-Chef der NSA, John C. Inglis, am 31.Juli allerdings, in einem Dutzend Fällen seien die erfassten Telefondaten hilfreich gewesen. Er konnte konkret aber nur einen Fall nennen, der ohne die Datenbank nicht aufgedeckt worden wäre.

Selbstzweifel angesichts dieser mageren Ergebnisse hat die NSA nicht. Sie weiß ja, dass sie gewichtige und von den Interessenten hochgeschätzte Verdienste in anderen Feldern der Politik hat.  «Big Brother» lässt sich nicht mit kleinen Neuerungen im Datenschutzrecht der Bundesrepublik oder der EU zähmen; wer das glaubt, unterschätzt die IT-Kompetenz der Geheimdienste und die operativen Fähigkeiten derjenigen in Politik und Ökonomie, die aus der Megaschnüffelei ihren Gewinn ziehen.

Den Protest gegen «Big Brother» aufzugeben, weil durchschlagende Erfolge auf kurze Sicht sich nicht einstellen werden, wäre töricht. Notwendig ist es, öffentlich darüber aufzuklären, in welchem Machtkomplex «Big Brother» seine Funktion hat. Daten«wahn» ist es nicht, der die Überwachungsstaatlichkeit erzeugt. Sondern hochentwickeltes Kalkül.

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