von Birger Scholz
Kaum ein Thema beschäftigt die britische Politik so sehr wie die Entwicklung der Immobilienpreise. In einem Land ohne regulierten Mietwohnungsmarkt ist das auch kein Wunder. Wer halbwegs anständig wohnen will, der muss kaufen.
Von 2001 bis 2011 – also unter Berücksichtigung des Platzens der Immobilienblase – stiegen die Immobilienpreise auf der Insel um 94%, die Löhne jedoch nur um 29%. In London haben die Hauspreise, gespeist von internationalen Investoren, bereits wieder das Vorkrisenniveau erreicht und sich vollkommen vom Einkommensniveau selbst der Mittelschichten abgekoppelt. Geht die Rally weiter, so wird auch im ganzen Land bis 2015 das Vorkrisenniveau erreicht. Wann diese Blase platzt ist offen. Gut möglich, dass der Boom noch einige Jahre anhält.
Im Großraum London drücken internationale Investoren (und Fluchtgeld) immer stärker auf die Preise. Zum anderen ist der Eigenkapitalanteil der Käufer deutlich höher als vor der Krise; die zaghafte Bankenregulierung fordert ihren Tribut. Dies bedeutet aber auch, dass immer weniger Geringverdiener in der Lage sind, Wohneigentum zu erwerben. Erstmals seit vielen Jahren steigt die Mieterquote an. Nicht etwa weil Wohnungssuchende genug vom Risiko des Immobilienerwerbs hätten, sondern weil sie schlicht aus dem Markt gedrängt werden.
In einem Land ohne jeglichen Mieterschutz ist ein Dasein als Mieter aber eine mittlere bis große Katastrophe. Üblich sind auf der Insel einjährige Verträge. Danach kann die Miete willkürlich erhöht oder die Wohnung gekündigt werden. Und die Prognosen verheißen für Geringverdiener nichts Gutes. Bis 2020 werden die Löhne voraussichtlich langsamer steigen als die Immobilien- und Mietpreise. In den letzten drei Jahren sanken die Reallöhne sogar um über 5%. Deregulierte Beschäftigungsverhältnisse, sogenannte Nullstundenverträge, nehmen wie in Deutschland massiv zu. Zwar muss der Mindestlohn gezahlt werden, doch stehen Zero-Hours-Beschäftige nur auf Abruf bereit. Sie wissen nie, wie viele Stunden sie im Laufe eines Monats arbeiten werden. Große Dienstleistungsketten wie McDonalds nutzen dieses legale Instrument, um vollkommen flexibel auf Nachfragespitzen reagieren zu können.
Schon im Boom der letzten Dekade waren die Geringverdiener vom allgemeinen Lohnwachstum abgekoppelt. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad geht in diesen Bereichen gegen Null. Und die Labour-Regierung hat die Grenzen für Arbeitskräfte aus Osteuropa geöffnet. Zweifellos hat die Einwanderung das Wirtschaftswachstum gestützt, zugleich aber das Lohnwachstum im Niedriglohnbereich stark gedämpft. Die oberen Mittelschichten profitierten von den günstigen Dienstleistungen. Das Erstarken der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party hängt auch mit dieser massiven Einwanderung zusammen.
Geringe Lohnsteigerungen und deutlich steigende Mieten fordern ihren Tribut. Wie in Südeuropa werden immer mehr junge Menschen künftig gezwungen sein, zu Hause wohnen zu bleiben. Denn statt der jährlich benötigten 250.000 neuen Wohnungen werden nur halb so viele gebaut. Ein klassischer Fall von Marktversagen, den die konservativ-liberale Regierung nicht wahrhaben will. Doch anstatt mit öffentlichem Wohnungsbau gegenzusteuern und den Kommunen hierfür eine höhere Neuverschuldung zu erlauben, wird lieber den alten Rezepten vertraut. So erhalten Erstkäufer verbilligte Kredite in Höhe von 20% des Kaufpreises. Die Nachfrage wird erhöht, die Preise werden weiter steigen und so noch mehr Geld in einen nichtfunktionierenden Markt gepumpt.
Nicht nur der IWF, auch die englische Notenbank kritisiert diese untaugliche Maßnahme. Doch kommunaler Wohnungsbau und ein wirksames Mietrecht sind Kampfansagen an die Lobby der Grundeigentümer. Aber auch hochverschuldete Erstkäufer fürchten nichts so sehr wie sinkende Markpreise. Muss im Falle einer Scheidung oder eines Umzugs die Immobilie verkauft werden, bleiben dann nur Schulden.
Von 1970 bis 2010 stieg das Immobilienvermögen in Großbritannien, ausgedrückt als Anteil am Nationaleinkommen, von 98% auf 300%. Dieser enorme Anstieg, der im Übrigen in Frankreich und Italien noch steiler war, ist ein Hauptgrund für die zunehmende Vermögensungleichheit in Europa. Denn je höher das Verhältnis von Vermögen zu Einkommen ist, umso geringer fällt tendenziell der Anteil der Lohneinkommen am Nationaleinkommen aus. Denn Vermögen verlangen nach leistungslosen Einkommen, und die müssen erarbeitet werden.
Das lange 19.Jahrhundert der Rentiers und Couponschneider meldet sich zurück. Und auch wenn in Deutschland das Verhältnis von Immobilien zu Einkommen mit etwa 241% unter dem von England und Frankreich liegt, weist der langfristige Trend in die gleiche Richtung. Der starke Anstieg der deutschen Immobilienpreise in den letzten fünf Jahren zeigt, dass Deutschland den Anschluss an die europäische Normalität sucht und findet.
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