Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2013
Das Geheimhaltungsgebot ist der Deckmantel der Lüge
von Angela Klein

Ronald Pofalla hat ein Basta-Wort gesprochen: Die Affäre ist beendet. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung. Das kann man getrost als eine Lüge bezeichnen.

Allein die Tatsache, dass amerikanische und britische Geheimdienste auch nach 1990, also nach der Wiederherstellung der sog. vollen Souveränität Deutschlands, nur gestützt auf geheime Abkommen, freie Hand haben abzuhören, wie sie wollen, räumt ihnen einen rechtsfreien Raum außerhalb des Grundgesetzes ein – und das ist verfassungswidrig.

Dieser rechtsfreie Raum schiebt sich manchmal sogar dreist ans Licht der Öffentlichkeit. Etwa in Wiesbaden. Da baut die NSA mit Billigung des BND in Wiesbaden-Erbenheim auf dem ehemaligen US-Truppengelände ein gigantisches Lauschzentrum. Das Gebiet ist, ausweislich einer Auskunft des Griesheimer Ordnungsamts, US-amerikanisches Hoheitsgebiet, deutsches Recht greift hier nicht.

Wenn es also heißt, ausländische Geheimdienste «halten sich in Deutschland an deutsches Recht», dann bedeutet das eben: Nur wo in Deutschland deutsches Hoheitsgebiet ist, darf die NSA nicht walten, wie sie will. Eigenes Hoheitsgebiet ist ausgenommen. Welch anderer Staat würde sich das gefallen lassen, dass sich auf seinem Gebiet noch ein paar weitere Staaten tummeln? Höchstens einer, der im NATO-Sprech als «failed state», als gescheiterter Staat, bezeichnet wird.

Offiziell heißt es, die Anlage sei ausschließlich zu «Zwecken des Schutzes für US-Soldaten auf deutschem Boden» gedacht. BND-Chef Gerhard Schindler hat vor dem Innenausschuss des Bundestags aber bestätigt, dass auch die NSA dort einziehen wird. Ob die Daten, die sie da sammelt, nur «für die Streitkräfte in Europa» ausgewertet werden, sei dahingestellt; erst einmal werden sie gesammelt – unabhängig vom späteren Verwendungszweck.

Neuland?

In den vergangenen 30 Jahren gab es im Bundestag Dutzende von Fragestunden, Anfragen und sogar Untersuchungsausschüsse zum Thema Lauschangriffe der US-Dienste. 1982 führte der Bundestag eine erste Aussprache über das Abhören privater Telefongespräche durch die NSA. 1989 brachte der Spiegel eine große Titelstory über «Amerikas großes Ohr». Die NSA hatte sich in Frankfurt, Am Hauptbahnhof 6, im selben Gebäude wie der BND eingemietet, nur wenige Kilometer vom großen Internetknotenpunkt De-Cix entfernt; er wird wohl von beiden abgefischt. 350 geheimdienstliche Zentren und Kommandos der USA sollen damals in der BRD tätig gewesen sein. 1998 schrieb das Amt zur Bewertung von Technikfolgen, das dem Europaparlament zugeordnet ist: «Innerhalb Europas werden alle Mails, Telefonate und Faxe routinemäßig von der NSA abgefangen.»

Im Juni 2001 bestätigte der stellvertretende EU-Parlamentspräsident, Gerhard Schmid (SPD), «die Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation». Schmid hatte sich mit den neu aufkommenden unterseeischen Glasfaserkabeln befasst. Die werden an den Endpunkten vom britischen Geheimdienst abgehört. 2007 wurde erneut im Bundestag die Kontrolle der NSA über «den gesamten deutschen Fernsprechverkehr einschließlich elektronischer Post» problematisiert. Antwort der Bundesregierung: Keine Erkenntnisse. «Neuland», Frau Kanzlerin?

Nur auf die Amerikaner einzudreschen, wie es einige jetzt tun, wäre falsch. Die können hier nichts tun, was deutsche Behörden ihnen nicht genehmigt haben. Und das tun sie heimlich, aber großzügig. Der BND arbeitet «seit 50 Jahren», wie er sich rühmt, traut mit der NSA zusammen. Seit 2002 gibt es zwischen beiden ein Abkommen über gemeinsame Fernmeldeaufklärung in Bad Aibling (die Einrichtung wurde 2005 vom BND übernommen). Der BND arbeitet mit dem Programm X-keyscore der NSA, das Programm kann Internetnutzer in Echtheit überwachen. Vom Programm Prism will er nichts gehört haben, hat aber spätestens seit 2011 Kenntnis davon und in zwei Entführungsfällen auch aktiv darauf zugegriffen. Prism speichert fast alle Inhalte der Kommunikation außerhalb der USA ohne Anlass ab. Offiziell seit 2007 gibt der BND Internet- und Telefondaten an die NSA weiter, das geschieht automatisch.

Zu seinem Schutz behauptet der BND, überwiegend würden Metadaten weitergegeben, und auch nur solche über E-Mails und Telefonate aus der Auslandsaufklärung in Krisengebieten, Daten deutscher Staatsbürger würden herausgefiltert. Nur zwei Ausnahmen habe es gegeben, zwei Entführungsfälle im Jahr 2012. Das Bild vom treusorgenden BND-Beamten, der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan vor Angriffen schützt oder deutschen Staatsbürgern im Entführungsfall hilft, wird man jedoch eher als Schutzbehauptung zur Einschläferung der Öffentlichkeit verstehen dürfen.

Der dritte Akteur

Tatsache ist, dass durch die neuen technischen Möglichkeiten die Grenzen zwischen Inlands- und Auslandsspionage immer mehr verwischen. Denn private Firmen sind nun als dritter Akteur hinzugetreten. Internetkonzerne wie Google, Microsoft, Facebook oder Skype liefern der NSA auf Anordnung gewaltige Datenmengen. Dem britischen Geheimdienst GCHQ gehen sieben Firmen zur Hand: Verizon Business, British Telekommunikation, Vodafone Cable, Global Crossing, Level 3, Viatel und Interoute. Jede ist für das Abhören eines eigenen Teils des weltweiten Glasfasernetzes verantwortlich. Die Firmen sind auch in Deutschland tätig, Level 3 etwa betreibt fünf Datencenter in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt am Main und München.

Diese Firmen besitzen große Teile der weltweiten Internetinfrastruktur, einige entwickeln gar eigene Spähsoftware und lassen sich das von Geheimdiensten bezahlen. In jedem Land gibt es Gesetze, die der Regierung erlauben, diese Unternehmen unter bestimmten Umständen zur Herausgabe von Informationen zu verpflichten.

Die Betreiber des Frankfurter Internetkontenpunkts De-Cix bestreiten, ausländischen Nachrichtendiensten Zugriff zum Knotenpunkt verschafft zu haben. Für GCHQ oder NSA läuft es aber auf das gleiche hinaus, ob ihnen eine Firma, die an dem Knoten angeschlossen ist, Daten ableitet und an sie weitergibt. De-Cix wird von der De-Cix-Management GmbH betrieben, einer 100%igen Tochter der «eco – Verband deutscher Internet-Unternehmen». Dieser Verband zählt über 400 Mitgliedsunternehmen, darunter Telefongesellschaften, Hardware- und Softwarehersteller, Inhaltelieferanten u.v.a. Wer kann ausschließen, dass BND und Verfassungsschutz sich bei diesen Firmen bedienen? Laut «Otto-Katalog» darf zumindest der Verfassungsschutz das.

Das No-Spy-Abkommen, das die USA jetzt großzügig angeboten haben, kann man getrost vergessen, solange das geheime Zusatzabkommen aus dem Jahr 1959, das immer noch in Kraft ist, nicht gekündigt wird. Weil die deutschen Regierungen die Gesetzesbrüche der Geheimdienste jedoch immer gedeckt haben, und weil sie sich zudem weigern, die Vorgänge für die Öffentlichkeit transparent zu machen, gibt es nur ein Mittel, wie wir erfahren können, was hinter unserem Rücken geschieht: Wie brauchen einen, zwei… viele Edward Snowdens.

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