von Jochen Gester/Labournet
Nach mehr als acht Monaten ist der längste Arbeitskampf in der Geschichte der IG BCE zu Ende gegangen. Statt des geforderten Tarifvertrages gibt es ein Paket aus Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden mit dem Betriebsrat und einzelvertraglichen Zusagen. Alles schien in trockenen Tüchern, als der IG-BCE-Bezirksvorsitzende Ralf Becker am 28.Juni auf der gewerkschaftlichen Mitgliederversammlung erklärte, es gebe nun eine Verhandlungslösung. Nur untergeordnete Punkte müssten noch ausgehandelt werden. So ging es auch an die Medien.
In dem Betrieb mit den zwei Standorten Hamburg und Rotenburg a.d.W., der Kunststoffbecher und -Deckel herstellt, waren am 1.November 2012 110 der knapp 200 Beschäftigten in einen Arbeitskampf zur erstmaligen Durchsetzung eines Haustarifvertrags getreten. Am 24.Januar ging der Vollstreik in einen sog. Flexi-Streik über, was der Arbeitgeber nutze, um seine Lager aufzufüllen und die Produktion trotz Arbeitskampf wieder ans Laufen zu bringen – begleitet von Schikanen, Abmahnungen, Kündigungen und jeder Menge Mobbing.
Seit Monaten war klar, dass mit dieser Variante von Arbeitskampf kein Tarifvertrag erkämpft werden kann. Infrage kam nur eine Betriebsvereinbarung, die die typischen Tätigkeiten und die daraus zu erwartende Entlohnung definiert und den Umfang anderer Leistungen, wie Urlaubsgeld, festlegt.
Das 62.Streikinfo der IG BCE vom 27.Juni sah in der Einigung «wesentliche Verbesserungen», die, obwohl Kompromiss, in der Wirkung einem Tarifvertrag entsprächen: «Damit bricht für die Arbeitnehmer eine neue Zeit bei Neupack an.» Das Streikinfo vom 1.Juli berichtete dann, das Verhandlungsergebnis sei am 28.Juni auf einer Mitgliederversammlung vorgestellt worden. Die Eckpunkte der «Verhandlungslösung» seien eine Arbeitszeitreduzierung auf 38 Stunden und die Anhebung des Einstiegslohns von mindestens 7,80 Euro auf 9 Euro. Dies habe die breite Zustimmung der Anwesenden gefunden. Auch der Betriebsratsvorsitzende Murat Günes ließ sich mit vorsichtig positiven Worten zitieren: «Besonders freut mich, dass es nun Transparenz und mehr Rechtssicherheit gibt.»
Unternehmenschef Krüger provoziert
Recherchen aus dem Solikreis zeigten allerdings, dass bei der Eingruppierung das alte Spiel weiter getrieben wurde. Zwei Kolleginnen, die als Packer II eingestuft sind, sollen nach sieben Monaten Streik gerade einmal 30 Cent mehr erhalten. Die eine hatte gestreikt und bekommt jetzt 9,50 Euro. Die andere hatte den Streikbruch vorgezogen und darf jetzt mit 10,10 Euro rechnen.
Der Betriebsrat wollte die Vereinbarung nicht an der Weigerung Krügers scheitern lassen, den Betriebsratsvorsitzenden in die Maßregelungsklausel aufzunehmen – nun muss er selbst vor dem Arbeitsgericht um sein Recht kämpfen. Doch dann schob Neupack nach und forderte die Zustimmung der Belegschaftsvertretung zur Festeinstellung von 57 Streikbrechern. Dies war für den Betriebsrat die offene Provokation. Er verweigerte seine Unterschrift unter die Vereinbarung.
Am 9.August vermeldete das 64. Streikinfo der IG BCE: «Der Betriebsrat von Neupack hat heute dem gemeinsam mit der IG BCE erzielten Verhandlungsergebnis zugestimmt. Damit ist der Streik beendet … Der Streitpunkt über den Umgang mit den 57 befristet eingestellten früheren Streikbrechern ist beigelegt. Ihre befristeten Verträge laufen nur zum Teil bis ins erste Quartal 2014, der Rest endet schon vorher.»
Das Ergebnis
Mit 9 Euro liegt der Basislohn nun gut einen Euro über den niedrigsten Löhnen vor dem Streik. Es gibt ein höheres Urlaubsgeld, höhere Schichtzulagen und eine Arbeitszeitverkürzung auf 38 Stunden. Ein Teil der Kündigungen und Abmahnungen werden von der Geschäftsführung zurückgenommen. Das gilt allerdings z.B. nicht für den Betriebsratsvorsitzenden, der aber hoffentlich vor dem Arbeitsgericht Erfolg haben wird.
Gemessen am Ziel eines Entgelttarifvertrags, wegen der demütigenden Maßregelungsklausel und wegen des Rachefeldzugs, dem die Beschäftigten derzeit ausgesetzt sind, wird das Ergebnis von vielen als Niederlage wahrgenommen. Angesichts der erreichten Verbesserungen, die ohne den Streik niemals durchgesetzt worden wären, angesichts der monatelang bewiesenen Standhaftigkeit, angesichts der sichtbaren Angst, die sie der Eigentümerfamilie bereitet haben und angesichts der erfahrenen breiten Solidarität haben die kämpfenden Kolleginnen und Kollegen aber allen Grund, erhobenen Hauptes und gestärkt für einen sicher notwendigen, zweiten Anlauf in den Betrieb zurückkehren.
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