von Stathis Kouvelakis
Vom 10. bis 14.Juli fand im Athener Taekwondo-Stadion der Gründungsparteitag von SYRIZA-EKM statt. Der knapp 91-jährige Manolis Glezos wehrte sich dagegen, seine Bewegung der aktiven Bürger aufzulösen. Aus Protest trat er seinen Sitz im Parteitagspräsidium nicht an.
Der Gründungskongress der Partei SYRIZA fand in einer Situation wachsender politischer Instabilität statt: Die Schließung des öffentlichen Rundfunks (ERT) durch die Regierung von Antonis Samaras hatte ein politische Krise ausgelöst und die Partei der Demokratischen Linken (DIMAR) die Regierungskoalition verlassen [in entscheidenden Fragen stimmt sie allerdings weiterhin mit der Regierung]. Auch hatten die Massenproteste gegen die Schließung des Senders die Bevölkerung aus ihrer relativen Apathie geholt, in die sie nach Verabschiedung der letzten Memorandumsgesetze im vergangenen November gefallen war.
Der Sturz der Regierung unter dem Druck der Mobilisierungen von unten scheint heute realistischer als noch vor einigen Monaten. Gleichwohl mangelt es schmerzlich an einer brauchbaren Strategie und Taktik.
Die Position von SYRIZA bleibt beschwörend im Ton und geprägt vom Widerspruch zwischen einer Konfliktbereitschaft andeutenden, aber vagen Rhetorik und ihrer konkreten Haltung bei zentralen gesellschaftlichen Konflikten. Da legt die SYRIZA-Führung eine extreme Vorsicht an den Tag und vermeidet jedes Streben nach einem machtvollen Anwachsen der Protestbewegung; dies gipfelte schließlich darin, dass sie ihre Unterstützung des Lehrerstreiks, der in Vollversammlungen mit 90% der Stimmen beschlossen worden war, zurückzog.
Nur Organisationsfragen
Als die Parteiführung im Mai ihren Parteikongress für Mitte Juli ankündigte, hatte sie nur ein Ziel: dadurch «das Heft wieder in die Hand zu bekommen», um die parteiinterne Opposition an den Rand zu drängen und eine Parteiform durchzusetzen, die in wesentlichen Punkten mit der politischen und organisatorischen Kultur der radikalen Linken bricht. Zu diesem Zweck setzte sie eine Tagesordnung durch, die ausschließlich um interne Probleme kreiste und Fragen der Strategie und der programmatischen Weiterentwicklung, die in einer so schnell sich ändernden Lage doch gefordert sind, beiseite ließ.
Bei dieser «introvertierten» Tagesordnung ging es vorrangig um:
– die Auflösung der Organisationen des bisherigen SYRIZA-Bündnisses mit einer Übergangsfrist von zwei, maximal drei Monaten;
– die weitgehende Aushöhlung des Tendenzrechts mit Abschaffung der «getrennten» Listen für die parteiinternen Wahlen;
– die Wahl des Parteivorsitzenden durch den Kongress und nicht durch das Zentralkomitee.
Für die Medien und die systemnahen Kräfte sind die «Komponenten» und «Strömungen» in SYRIZA, ihre berühmte Kakofonie, die Verkörperung ihres Radikalismus, während die Parteiführung (Tsipras) für «Realismus» und für eine entsprechende Kurskorrektur stehe. Insbesondere Tsipras war anhaltenden Sperrfeuer ausgesetzt, «im eigenen Haus Ordnung zu schaffen».
Die spektakulären Wahlerfolge im Frühjahr 2012 hatten in SYRIZA eine widersprüchliche Dynamik ausgelöst. Einerseits gab es eine bedeutende Eintrittswelle: die Mitgliederzahl hat sich in wenigen Monaten etwa verdoppelt, auf heute ungefähr 35.000; und die Partei hatte Erfolge in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen, vor allem in der Gewerkschaftsbewegung, traditionell ein Schwachpunkt von SYRIZA.
Geburtsfehler
Doch die Eintrittswelle hatte auch eine Kehrseite. In einer Gesellschaft, die von Jahrzehnten der «Parteienherrschaft» geprägt ist, kann dies auch bedeuten, dass sich klientelistische Strukturen wieder aufbauen, die sich als Gefolgschaft eines charismatischen Führer versteht. Dieses Phänomen trifft sicher noch lange nicht auf die Mehrzahl der Mitglieder zu, doch verändert es bereits die Zusammensetzung der Parteimitgliedschaft und verstärkt das Gewicht der «passiven Mitglieder», die nur für die Abstimmung auf den Kongress kommen, und deren Beziehung zur Organisation im wesentlichen auf ihrer Bindung zu ihnen persönlich bekannten, führenden Parteimitgliedern vor Ort beruht.
Diese Entwicklung wurde seit Herbst 2012 von der Parteiführung im Namen einer notwendigen «Verbreiterung» stark gefördert. SYRIZA ist jetzt auf dem Weg zu einer Wahlpartei mit schwindendem internen Leben, die sich wesentlich um ihren Führer und um einen Diskurs schart, der von oben kommt, die sich – vermittelt über die Medien – an ein «nationales Publikum» wendet und immer darauf bedacht ist, seinen verschiedenen Teilen zu gefallen.
Im Juli fand mithin der Gründungskongress einer «neuen SYRIZA» statt, er führt zu ihrer Transformation in eine «regierungsfähige Partei», die zur Verwaltung der Regierungsgeschäfte im Rahmen des Systems in der Lage ist. Die problematischsten Aspekte des Kongresses waren: Es gibt unverhältnismäßig viele Mitglieder mit Stimmrecht im Vergleich zu denen, die an den internen Debatten teilnehmen; die 3500 Delegierten bildeten einen amorphen Haufen; in den ersten beiden Tagen fehlte jede organisierte Debatte; die Führung legte keinen Rechenschaftsbericht vor; die einleitende Rede von Tsipras hatte den Stil einer Wahlkampfrede und diente nicht als Input für die Beratungen der Delegierten.
Was war das Ergebnis? Den verabschiedeten Texten fehlt der programmatische Gehalt und die strategische Orientierung. Sie sind voller zweideutiger und verschieden interpretierbarer Kompromissformeln, sie wurden vorher auch nie öffentlich von der Mehrheitsfraktion verbreitet oder vertreten, immer nur «interpretiert».
Erfolge und Misserfolge für die Parteilinke
Die Linke Plattform hat versucht, Inhalte einzubringen und vier Änderungsanträge eingebracht, die auf die empfindlichsten strategischen Punkte abzielten: die Schuldenfrage; das mögliche Ausscheiden aus der Eurozone; Verstaatlichung des gesamten Bankensektors und die klare Zusage, die laufenden Privatisierungen zurückzunehmen und Schlüsselbereiche der Wirtschaft wie Telekommunikation, Energie, Infrastruktur der Straßen und Flughäfen unter demokratischer Kontrolle wieder zu vergesellschaften; eine Bündnisstrategie, die den Willen zu einer Linksregierung «gegen die Sparpolitik» bekräftigt und eine Öffnung zu den Parteien der Mitte oder zur nationalistischen Rechten ausschließt. Alle diese Änderungsanträge wurden zurückgewiesen, konnten aber zwischen einem Drittel und 40% der Delegiertenstimmen auf sich ziehen.
Dennoch stellte der Kongress, gemessen an den Zielen, die sich die Parteiführung gesetzt hatte, auch einen Rückschlag für sie dar. Von den organisatorischen Zielen, die sie sich gesteckt hatte und mit denen sie in der Partei «Ordnung schaffen» wollte (siehe die drei oben erwähnten Punkte), konnte sie nur zwei durchsetzen.
In der Frage der Auflösung der Organisationen, aus denen sich das bisherige Bündnis SYRIZA zusammengesetzt hatte, musste sich die Führung nach einem engagierten Auftritt von Manos Glezos, Symbolfigur des griechischen Widerstands gegen die Nazibesatzung, auf einen Kompromiss einlassen: Die verabschiedete Formulierung spricht von einer «Auflösung in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen und nach Beratungen».
In der Frage der Vertretung von Minderheiten in den Führungsorganen der Partei hat sie in einem handstreichartigen Verfahren die Möglichkeiten oppositioneller Minderheiten jedoch erheblich eingeschränkt. Und doch hat sich diese Operation gegen ihre Urheber gedreht. Anstatt schwächer zu werden, ist die Linke Plattform deutlich stärker geworden und konnte mit Hilfe von kleinen, «unabhängigen» Listen die Mehrheitsliste auf 67,5% zurechtstutzen – 7 Prozentpunkte weniger als auf der nationalen Konferenz im November letzten Jahres. Nicht überraschend hat sich der Kongress danach für die Direktwahl des Vorsitzenden ausgesprochen. Bei geheimer Wahl erreichte Tsipras dann ein wenig überzeugendes Ergebnis von nur 72%.
Der wichtigste Rückschlag für die Parteiführung ist die Stärkung der Linken Plattform, sie hat die symbolische Schwelle von 30% überschritten, was im Vergleich zur nationalen Konferenz im November letzten Jahres einem Zuwachs um fast 5 Prozentpunkte entspricht (31,2% gegenüber 25,6%) – und das trotz starker Polarisierung und einer Regie, die vollständig darauf abgestellt war, die Opposition zu marginalisieren.
Schlussfolgernd kann man sagen, dass der Gründungskongress mehr Probleme geschaffen, als gelöst hat. Obwohl SYRIZA nunmehr eine vereinheitlichte Partei mit Statuten und programmatischen Dokumenten und einer gewählten Führung ist, erscheint sie als eine Partei, die in wesentlichen strategischen Fragen, die im Mittelpunkt der landesweiten und europaweiten Debatte stehen, tief gespalten ist. Immerhin hat der Kongress den Streitern für ein emanzipatorischen Projekt erlaubt, zumindest die Konturen des Problems klarer zu sehen und verständlicher zu formulieren.
Stathis Kouvelakis ist Professor am King’s College in London und Mitglied des ZK von SYRIZA.
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