Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2013

Zum fünften Todestag von Christian Geissler
von Michael Banos

Den «Hieronymus Bosch des Deutschen Herbstes» nannte der Schriftsteller Jürgen Lodemann Christian Geissler in einem Nachruf vor fünf Jahren (siehe SoZ 10/2008).

Christian Geissler wurde am 25.Dezember 1928 in Hamburg geboren. Nach einem nie abgeschlossenen Studium der Theologie, Philosophie und Psychologie in Hamburg, Tübingen und München arbeitete er ab 1956 als freier Schriftsteller.

Unter anderem war er beim NDR und Mitherausgeber der linken Literaturzeitschrift Kürbiskern. Neben seinem Debüt Anfrage (1960) ist "kamalatta" (1988) sein bekanntester Roman. 1967 trat er in die illegale KPD ein, die er ein Jahr später wieder verließ, da er den legalistischen Kurs der geplanten und 1968 vollzogenen Neugründung der DKP nicht billigte.

Ab 1969 arbeitete Geissler als Dokumentarfilmer; von 1972 bis 1974 war er Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Ab 1973 engagierte er sich im Hamburger Komitee gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD. Er lebte zumeist in Hamburg und Ostfriesland und starb am 26.August 2008. Außer seinen Romanen veröffentlichte Geissler zahlreiche Hörspiele, Dokumentarfilme und Lyrik-Bände.

Nachdem lange Zeit kaum noch Bücher von Christian Geissler im Buchhandel  erhältlich waren, erscheint nun im Berliner Verbrecher Verlag eine Werkschau von ihm. Der erste Band ist "Wird Zeit, dass wir leben". Der Verlag beschreibt die Geschichte kurz so:

«Schlosser ist Funktionär der KPD. Bis zu seiner Verhaftung bremst er den Eifer der Genossen im Kampf gegen die Nazis, verweigert die Waffen und pocht auf Disziplin. Die Genossen von der Basis aber wollen kämpfen. Kämpfen bedeutet für sie Lust und Leben. Vor allem für Karo, aber auch für Leo, der noch 1930 zur Polizei geht, aber später begreift, dass er auf der falschen Seite steht. Als ob er mitten im Geschehen steckt, begleitet Geissler seine Figuren durch die Kämpfe vor und nach 1933 und zieht den Leser in die immer noch aktuellen Debatten mit hinein. Mit ‹balladenhaft-lyrischer Präzision› (Heinrich Böll) erzählt er von Gewalt von oben und Gegenwehr von unten, vom Spannungsverhältnis zwischen Kollektiv und Individuum, zwischen Disziplin und Eigensinn.»

Und Christian Geissler 1976 selbst:

«Die Geschichte geht aus von einem Hamburger Polizisten, der 1933/34 eine bewaffnete Gruppe gebildet hat, um politische Gefangene zu befreien. Mitten aus der Geschichte einer Straße, einer Stadt, eines Landes, aus der Wirklichkeit von Arbeitsplätzen und Arbeitslosigkeit, Mietskasernen und Kasernen, revolutionären und reaktionären Organisationen entwickelt sich die Geschichte eines jungen Mädchens und zweier junger Männer. Es ist die abenteuerliche Geschichte von Erfahrungen unter einer Herrschaft, die aus der Niederhaltung und Zerstörung des Menschen ihre Kraft holt. Es ist die leidenschaftliche Geschichte vom Entstehen einer Entscheidung zum organisierten Handeln gegen diese Herrschaft.»

Im Buch geht die Geschichte gut aus: Die Genossen holen ausgerechnet den oftmals beschwichtigenden Genossen Schlosser aus dem Knast. In Wirklichkeit war es anders.

Denn diese Geschichte hat einen realen Hintergrund: den Versuch Hamburger Kommunisten, die Genossen Etkar André und Fiete Schulz aus der Gestapo-Haft zu befreien. Dieser reale Hintergrund, den Christian Geissler nur ganz vage in einer Vorbemerkung andeutet, wird im Nachwort der Neuauflage des Romans von Detlef Grumbach ausführlich und spannend dokumentiert. Er ist einem kleinen Hinweis der Erstausgabe nachgegangen und berichtet von der Bekanntschaft Christian Geisslers mit Bruno Meyer und anderen Angehörigen der Zelle, die damals die Befreiungsaktion planten und mit der Durchführung begannen, bis die Sache durch einen Spitzelverrat aufflog. Vom Schicksal Bruno Meyers, der die Aktion überlebte und nach dem Krieg als Hamburger KPD-Funktionär tätig war, berichtet Detlef Grumbach, auch über die Probleme, die die KPD mit eigensinnigen und nicht immer auf Parteilinie agierenden Genossinnen hatte.

Grund genug also, nicht nur die alte Ausgabe mal wieder zur Hand zu nehmen, sondern Christian Geissler neu zu lesen.

Christian Geissler: Wird Zeit, dass wir leben. Berlin: Verbrecher-Verlag, 2013. 358 S., 22 Euro.

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