von Udo Bonn
Der Krimidelikatessenzubereiter Thomas Wörtche hat es – jetzt als Herausgeber der Penser-Pulp-Reihe – wieder einmal geschafft, Feines auf den Büchertisch zu zaubern. Kurz nach seinem Erscheinen in den USA liegt die Übersetzung von Jerome Charyns Roman "Unter dem Auge Gottes" auf deutsch vor.
Ältere SoZ-LeserInnen werden sich vielleicht noch erinnern: Isaac Sidel, der Polizist aus der Bronx, der zum Polizeichef von New York wurde und dann zum Bürgermeister der Metropole, mit der Glock im Hosenbund, gewalttätig und nicht korrupt und deshalb beliebt bei den Habenichtsen. Wieder ist Charyn der große Jongleur und Verschmelzer von Realitäten und Fiction, unbeschreiblicher Romantik und Gnadenlosigkeit. Es gibt keine Guten, nur noch Bösere.
Isaac Sidel ist Mitte der 80er Jahre zum Vizepräsidenten der USA gewählt worden, die Wahlmänner müssen ihn und den Präsidenten in Kürze bestätigen. Es sind nur noch wenige Wochen, solange ist Sidel noch Bürgermeister New Yorks. Da stößt er auf Landvermesser des Militärs, in der Bronx, seinem Viertel, das seine Amtsvorgänger dem gezielten Verfall und der systematischen Vertreibung freigegeben haben.
Eingeklemmt zwischen den Tricksereien der Demokratischen Partei, einem habgierigen und dauergeilen Präsidenten in Wartestellung und einem Präsidenten im Amt, der für seine Zukunft sorgen will, will Sidel den Ausverkauf seines Viertels verhindern. Und gerät in das Intrigennetz des David Pearl, der im ehemals glamourösen Hotel Ansonia residiert. Ein alter Mann, Zögling des Gangsterfürsten Arnold Rothstein, gekleidet in uralte, fadenscheinige Pullover und Pantoffeln, steinreich und der große Strippenzieher. Einiges deutet auf Verbindungen nach Texas hin, die Präsidentenentourage reist dort hin und begegnet paranoiden Killern, Armut, die man selbst in New York nicht kennt, und botmäßigen Senatoren.
Immer überlebt Sidel, aber was ihn an den Rand des Wahnsinns bringt, ist seine unerfüllbare Liebe zu Inez, der silberhaarigen Frau, von Pearl auf Sidel angesetzt, um ihn unter Kontrolle zu bringen. Am Ende bleibt nicht viel mehr als eine Präsidentschaft, ein Glas Milch und Walnusskekse und die Gewissheit, wenigstens die Kinder gerettet zu haben.
Von einem Schriftsteller, dessen Lieblingsautor Isaac Babel ist und der über die Filme von Quentin Tarantino geschrieben hat, kann man viel erwarten. Der alte Ping-Pong-Enthusiast Charyn liefert.
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