Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2013
Kategorie: Parteien/Demokratie

Umbrüche in der Parteienlandschaft?
von Arno Klönne

Aus dem «Kopf-an-Kopf-Rennen» von Peer Steinbrück und Angela Merkel ist nichts geworden, die Kanzlerin hat an Akklamation kräftig gewonnen, die SPD ist aus dem weiten Abstand zur CDU/CSU nicht herausgekommen, die Grünen sind unsanft aus ihrem Traum von der Volkspartei geweckt worden. Haben wir eine neue Phase langwährender und stabiler Dominanz der «Konservativen» im deutschen Parteiensystem vor uns?

Zweifellos kommt im Wahlergebnis alles andere als ein Trend nach links hin zum Ausdruck. Aber der Triumph der Kanzlerin kann nicht hinwegtäuschen über den schwankenden Boden, auf dem die zukünftige Regierungspolitik agieren wird. Dazu einige Hinweise:

Die CDU/CSU braucht nach dem Wegfall der FDP eine andere Partei als Hilfskraft zum Regieren. In Betracht kommt die sozialdemokratische oder die grüne Partei. Bei beiden sind die Führungsgruppen prinzipiell koalitionswillig, jedoch nicht ohne Vorbehalte, was die längerfristigen Effekte eines solchen Bündnisses für ihre Position im Parteienmarkt angeht. Ob SPD oder Grüne – wenn sie unter der Regie von Angela Merkel mitregieren, müssen sie mit weiteren Erosionserscheiungen auf ihrem jeweiligen Terrain rechnen. Das macht sie zu nervösen Partnern im Regierungsgeschäft.

Die Grünen sind sozialstrukturell eine Partei der gehobenen Mittelschicht, vor allem des Sektors, der aus öffentlichen Kassen bezahlt wird. In dem Maße, wie die wirtschaftlichen Probleme auch in der Bundesrepublik zunehmen, werden in diesem Milieu materielle Interessen sich offener zeigen, wird der «Postmaterialismus» noch mehr verblassen. Dann kann die Neigung aufkommen, bei der Parteipolitik ungeniert die eigenen wirtschaftlichen Zwecke kenntlich zu machen und idealistisch klingendes Gedöns beiseitezulassen – was vermutlich auf Akteure in anderen Parteien ansteckend wirken würde.

Damit könnten, über die Grünen hinaus, neue parteipolitische Optionen ins Spiel kommen, die sich nicht einfügen in die jetzige Aufgliederung der Parteienlandschaft. Solcherart Unruhe wirkt dann möglicherweise auch in die christ/demokratisch/soziale «Volkspartei» hinein.

Das Desaster der FDP bei der Bundestagswahl bedeutet nicht unbedingt den Anfang vom Ende dieser Partei. Es ist denkbar, dass sie sich unter neuer Führung wieder profiliert, als Interessenvertretung vor allem des gewerblichen Mittelstands. In diesem Fall würde sie attraktiv für nicht wenige bisherige Anhänger der Union.

Die CSU ist eine weiß-blaue Spezialität, in der CDU aber zeichnen sich schon jetzt Abwanderungstendenzen ab, nur verdeckt durch den fulminanten Wahlsieg. Ein Zeichen dafür ist der Stimmenanteil der AfD. Ganz gleich, was aus dieser Partei wird, ihr Achtungserfolg ermuntert dazu, es neben der Union parteipolitisch zu versuchen.

Die derzeit so eindeutig erscheinende Übermacht der CDU hat ihren Grund im «System Merkel», in der Methodik der Kanzlerin, die passgenau brauchbar ist für eine historische Phase unsicherer Übergänge im Feld der internationalen und europäischen politischen Ökonomie. Machttaktisch erfolgreich ist eine solche Politikform hierzulande, solange der wirtschaftliche und soziale Problemdruck die Bundesrepublik noch einigermaßen verschont. Das wird nicht so bleiben. Und Angela Merkel ist vermutlich klug genug, sich rechtzeitig aus der Politik in die Geschichtsbücher zurückzuziehen.

 

Was wird dann aus einer «Partei der Kanzlerin»?

Am Fall AfD ist erkennbar, dass auch in der Bundesrepublik ein «Rechtspopulismus» nicht ohne parteipolitische Chancen ist, der spezifische nationale Wirtschaftsinteressen mit sozialer Demagogie zu verklammern sucht, also auch «Prekäre» anspricht. Er wird das auf Sicht insbesondere dann mit Effekt tun können, wenn auf der linken Seite des Parteienspektrums der Anpassungswunsch an die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse dominiert.

Die SPD befindet sich, anders als die Eigeninszenierung im Wahlkampf es vorgaukelte, nicht «auf gleicher Augenhöhe» mit der Union. Sie kann den Terrainverlust, der auf ihre Agenda-2010-Politik folgte, nicht rückgängig machen. Und die Fiktion von einem «rot-grünen Lager» hat ihr keine «Machtoption» erbracht. Für die Kalkulateure in der Parteiadministration liegt es angesichts dessen nahe, wenigstens einen Geländegewinn durch Einverleibung des «vernünftigen» Teils der Linkspartei anzuzielen. Ob dies erreichbar ist, wenn die SPD in eine Große Koalition geht und diese noch in der Legislaturperiode wieder verlässt, um als Opposition aufzutreten? Das ist zweifelhaft. Als Partei des Widerspruchs zu einer großkoalitionären Regierung würde die Linkspartei an Selbstbewusstsein und auch an Beachtung gewinnen.

Insgesamt: Wahrscheinlich beginnt in der neuen Legislaturperiode des Bundestags ein Umbruch in der Parteienlandschaft, operativ gerichtet auf eine «merkellose» Zukunft. Sehr wahrscheinlich ist, dass unterschiedliche und gegensätzliche Interessen sozialer Klassen stärker als in der jüngsten Vergangenheit auf das parteipolitische Feld einwirken, wie auch immer ideologisch verdeckt oder verdreht.

Nun ist der Parteien- und Parlamentsbetrieb ganz gewiss nicht der zentrale Platz gesellschaftspolitischer Entscheidungen, sein Fassadencharakter hat sich gerade in den Darbietungen zur Bundestagswahl 2013 besonders deutlich herausgestellt. Dennoch – Entwicklungen und Wandlungen in der Szene der Parteien haben ihren Stellenwert für das Bild, das sich eine Gesellschaft von ihrem Zustand macht, von Problemen, Konflikten und möglichen Lösungen. Auch täuschende Bilder haben reale Wirkungen.

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