Der Aufstieg der USA zur Weltmacht war von Warnungen vor ihrem Niedergang begleitet. Erst ging die Bedrohung vom Sowjetkommunismus und von den antikolonialen Befreiungsbewegungen aus, danach von den aufstrebenden Exportmächten Deutschland, Japan und schließlich vom vormals revolutionären China. Kurzzeitig wurde sogar der Euro als Herausforderung des Weltgelds US-Dollar angesehen. Aber: Statt die Weltmacht niederzuringen, sind die Herausforderer, allen voran die Sowjets, von der Bühne abgetreten oder haben sich im Weltkapitalismus amerikanischer Prägung eingerichtet. Jetzt sind sie die Bedrohten.Nichts fürchten Industrielle und Finanziers mehr, als den Zugang zum US-Markt zu verlieren. Mögen Ökonomen noch so eindringlich vor den untragbaren Schulden privater und öffentlicher Haushalte warnen, mögen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit der USA herabstufen – ausländische Lieferanten stehen weiterhin Schlange, um ihre Waren in Amerika loszuschlagen. Geldvermögensbesitzer und Zentralbanken der ganzen Welt geben gern den Kredit, mit denen US-Importe und Staatsausgaben finanziert werden. Mehr noch: Mangels anderer Anlagemöglichkeiten bestehen sie sogar darauf, US-Staatsanleihen zu kaufen. Trotz niedriger Renditen und trotz immer mal wieder drohender Zahlungsunfähigkeit des amerikanischen Staates.
Von außen ist die Weltmacht nicht bedroht, sondern wird nach Kräften von der Internationale des Kapitals unterstützt. Aber da ist natürlich noch die innere Bedrohung. Die unamerikanischen Umtriebe von Kommunisten, Neulinken, Hippies und schließlich islamistischen Terrorzellen haben die herrschende Klasse in den USA von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart in Alarmbereitschaft versetzt. Die Warnung vor den fünften Kolonnen der Antiamerikaner haben ein Gefühl amerikanischer Zusammengehörigkeit geschaffen, das die USA, zusammen mit den ökonomischen Vorteilen ihrer Weltmachtrolle, nach innen stabilisiert hat. Nur den Feind in ihren eigenen Reihen, den haben die Herrschenden übersehen.
Mit der Tea Party ist innerhalb der Republikanischen Partei eine Fraktion entstanden, die das politische System an den Rand des Zusammenbruchs getrieben hat. Ohne eine handlungsfähige Regierung in Washington funktionieren aber weder die Weltmacht USA noch der Weltkapitalismus. Ziel der Tea Party ist die Verteidigung des «echten» Amerika hart arbeitender Weißer gegen die Machtübernahme durch Schwarze, Einwanderer, Wall-Street-Banker und Washingtoner Bürokraten. In Verfolgung dieser Ziele haben sie im vergangenen Monat die Verabschiedung eines Haushalts und die Anhebung der Schuldengrenze im Repräsentantenhaus blockiert und damit einen Government Shutdown provoziert. Dieser hat Amerika in den Augen der Welt ziemlich alt aussehen lassen.
Der IWF ermahnte die politische Klasse der USA, ihrer internationalen Verantwortung nachzukommen. Präsident Obama musste seine Teilnahme am APEC-Gipfel in Bali absagen und seinen Amtskollegen aus Russland und China die Bühne überlassen. Die gerade erst begonnenen Gespräche über eine transatlantische Freihandelszone wurden ausgesetzt, und Syriens Diktator Assad wird zur Kenntnis genommen haben, dass die Finanzierung angedrohter Militärinterventionen durch die US Army nicht gesichert ist. Die USA sind immer noch Weltmacht, aber ihr Ansehen ist geschädigt, und ausländische Regierungen mögen sich in Zukunft unabhängiger von amerikanischen Leitlinien bewegen. Dies umso mehr, als der Haushaltsstreit in Washington nicht gelöst, sondern auf Februar vertagt ist.
Amerikanische Patrioten riskieren, dass die USA ihre Weltmachtrolle nicht mehr oder zumindest nicht reibungslos spielen können? Die müssen verrückt sein, die Tea-Party-Leute. Und so werden sie von den Medien und dem politischem Establishment zumeist auch dargestellt. Verrückte, Fanatiker oder Glaubenskrieger, die man zur Ordnung rufen muss. Wer den Einfluss dieser nicht allzu großen Gruppierung verstehen will, muss sich jedoch klar machen, dass sie die Probleme einer verrückten Welt zum Ausdruck bringt.
Die Vorstellung eines auf Arbeit, Gleichheit und individuellen Entfaltungsmöglichkeiten beruhenden Amerika war stets ein Mythos, der die Bedeutung der Ausplünderung des Südens, der Überausbeutung von Schwarzen und Einwanderern, der Unterdrückung der amerikanischen Indianer und der Machtposition des Monopolkapitals verdrängt hat. Solange die Monopolherren die durch imperialistische Ausbeutung ermöglichten Extraprofite mit der weißen Arbeiterklasse und Mittelklasse teilten, ließ sich um diesen Mythos ein nationaler Konsens organisieren. Als das «eine Prozent» jedoch anfing, diesen Profit vollständig in die eigene Tasche zu stecken und die vormals privilegierte Arbeiterklasse unter den Konkurrenzdruck der Einwanderer und der Arbeiter im Süden zu setzen, machten sich in der Mittelklasse Abstiegsängste breit. Die Tea Party bringt diese Ängste effektiv zum Ausdruck.
Der Versuch von Occupy Wall Street, der ungeschminkten Herrschaft des Monopolkapitals mit dem Slogan «We are the 99%» von links zu begegnen, ist dagegen gescheitert. Zu breit und widerspruchsvoll war die angestrebte Volksfront von Arbeitslosen und Working Poor über gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft bis zur verängstigten Mittelklasse. Die Schaffung einer klassenpolitischen Front gegen Tea Party und Monopolkapital steht noch aus.
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