von Angela Huemer
Die Mehrzahl der Flüchtlinge, die Anfang Oktober 2013 vor Lampedusa starben, waren Eritreer. Das erst seit 1993 unabhängige Eritrea entgeht systematisch der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Die ehemaligen Kolonialmächte Italien und England schweigen geflissentlich über ihre Verbrechen dort, und Präsident Isaias Afwerki sorgt für eine rigorose Abschottung des Landes und die massive Unterdrückung der eigenen Bevölkerung.Eritrea ist ein kleines Land. Mit 120.000 Quadratkilometern ist es ungefähr so groß wie Österreich und die Schweiz zusammen. Es zählt 5 Millionen Einwohner, eine Million Eritreer leben in der Diaspora. Laut UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR waren davon Anfang 2013 285.142 anerkannte Flüchtlinge, 20.511 hatten ein Asylverfahren – zusammen sind das 5% der Gesamtbevölkerung.
Ein bisschen Geschichte
Jahrhundertelang war Eritrea teilweise eine Art autonome Provinz des Königreichs Äthiopien, teilweise von den Osmanen und Ägyptern beherrscht. 1890 wurde es italienische Kolonie, Mussolini führte eine rigorose Apartheidpolitik ein. Viele der heute so gepriesenen Art-Deco-Gebäude in der Hauptstadt Asmara bezeugen die strenge Rassentrennung – die italienischen Städteplaner sahen getrennte Wohnviertel für Einheimische und Italiener vor, getrennte Restaurants, Kinos, Kirchen, Bordelle und mitunter auch getrennte Zufahrtswege. Die Eritreer dienten vor allem als billige Arbeitskräfte und Hausbedienstete.
1941 übernahmen die Briten die Verwaltung des Landes. Sie verschoben und verkauften die nicht niet- und nagelfeste Infrastruktur des Landes zum eigenen Vorteil. 1951 wurde Eritrea laut UNO-Beschluss Teil einer Föderation mit Äthiopien, das Eritrea 1962 annektierte. Seitdem kämpften die im Exil gegründete Eritreische Befreiungsfront und die später formierte Eritreische Volksbefreiungsfront (die sich später verfeindeten) um die Unabhängkeit.
1993 wurde Eritrea offiziell unabhängig, die Volksbefreiungsfront EPLF wandelte sich zur Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PDJF) und regierte von nun an. 1997 wurde eine Verfassung verabschiedet, sie trat jedoch nie in Kraft. 1998–2001 gab es wieder Krieg mit Äthiopien, Anlass war ein Disput um die Grenzziehung, der nie wirklich beigelegt wurde.
Repressionswelle
Nach Ende des Krieges gab es so etwas wie eine Aufbruchstimmung. Viele hofften, nun könnte es endlich Schritte zur Normalisierung geben, sprich, die Verfassung umgesetzt und Wahlen durchgeführt werden. Prominente Exileritreer verfassten in Berlin das sog. «Berlin Manifesto», einen Brief, der sich direkt an Präsident Afwerki richtete. Das «Berlin Manifesto» wurde weithin bekannt und provozierte massive Reaktionen. Die dreizehn Unterzeichner wurden von den Kräften, die loyal zum Präsidenten standen, rasch verunglimpft. Dabei hatten sie sich eine breite Debatte gewünscht, die simultan über die ganze Welt verstreut geführt werden sollte, wo immer Eritreer lebten.
Ein weiterer Brief folgte, diesmal von fünfzehn Unterzeichnern, allesamt in Eritrea lebende Mitglieder des Zentralkomitees der regierenden Partei PDJF. Sie forderten Menschenrechte und demokratische Rechte sowie eine Verfassung und die Versöhnung von Regierung und Gesellschaft.
Dann, im Windschatten des 11.Septembers, genauer gesagt am 18.9.2001, begann die massive Repression. Isayas Afwerki, der sich selbst als «Übergangspräsident» bezeichnet hatte, ließ elf der Unterzeichneten verhaften, die Wahlen absagen, den Verfassungsentwurf aufheben; freie Medien wurden mundtot gemacht. Die Repression wurde bald spürbar. «Es wurde schwieriger, Interviews zu führen und Vertrauen aufzubauen zu Bürgern und Behördenvertretern. Die Angst und Unsicherheit war greifbar und allumfassend», berichteten Augenzeugen, die sich damals in Eritrea aufhielten.
Dieses Gefühl von Angst ist auch in der Exilgemeinde stets spürbar. Auch im Ausland werden Eritreer überwacht und bespitzelt, viele geben der Angst nach, weil sie um noch in Eritrea verbliebene Angehörige bangen. Präsident Afwerki begründete die Unterdrückungsmaßnahmen 2004 so: «Es hatte nichts mit Ideen oder Meinungen zu tun, unsere nationale Sicherheit war in Gefahr, wir mussten geeignete Massnahmen treffen, um die Nation und ihre Souveränität zu verteidigen.»
Zwangsarbeit
In den Jahren danach verschlimmerte sich die Lage zunehmend, Besucher des Landes können die Hauptstadt jetzt nur noch mit Sondererlaubnis verlassen, Republikflucht wird schwer bestraft – die Angehörigen müssen eine Geldstrafe von rund 2600 Euro bezahlen und werden oft mit Gefängnis bestraft. Seit 2007 ist Eritrea Schlusslicht auf der Liste zur Pressefreiheit, die «Reporter ohne Grenzen» regelmäßig erstellen. Auf dem Human Development Index der UNO nimmt das Land die Position 181 von 186 ein. Das Institut für Strategische Studien in London zählt 39770 Soldaten auf eine Million Einwohner, die Wehrpflichtigen nicht eingerechnet. Ab dem 18.Lebensjahr muss zunächst der Militärdienst angetreten werden, anschließend sind die Soldaten zu allen möglichen Tätigkeiten verpflichtet, u.a. zu «zeitlich unbegrenzter Zwangsarbeit» in staatlichen Unternehmen, wie Human Rights Watch es nennt. Ursprünglich war dieser «Nationaldienst» auf 18 Monate beschränkt, nunmehr ist er meist endlos.
Die wirtschaftliche Lage
Sehr viele Ressourcen hat Eritrea nicht anzubieten, es gibt jedoch Vorkommen von Gold, Silber, Kupfer, Zink und Kali. Die meisten Großkonzerne lassen die Finger davon, wegen der massiven Einflussnahme von Seiten des Staates. Der wichtigste Wirtschaftspartner scheint bislang Italien zu sein, der ehemalige Kolonialherr. Es gibt etliche Verflechtungen: So lässt eine Firma aus Parma in Eritrea Tomatensauce und Bananenpüree herstellen, eine Textilfirma aus Bergamo produziert dort Hemden.
2013 hat Human Rights Watch in einem Bericht den Abbau von Gold durch die kanadische Firma Nevsun Resources unter die Lupe genommen, sie baut in Bisha Gold im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar ab. Die Regierung darauf bestand, dass die dazu notwendigen Baumassnahmen von der Firma Segen Construction Company durchgeführt werden, die der Regierungspartei gehört.
Diese Arbeiten fanden unter den schlechtmöglichsten Bedingungen statt, schreibt Human Rights Watsch: übervolle Quartiere, nicht genügend zu essen und ein permanentes Klima der Angst. Der kanadischen Firma war es so gut wie unmöglich, einen Einblick in die Arbeitsverhältnisse zu bekommen, laut Human Rights Watch hatte auch sie ein großes Interesse an diesbezüglicher Aufklärung.
Politische Kernschmelze
Die Professorin für Anthropologie an der Universität Tennessee, Tricia Redeker Hepner, schrieb im Jahr 2011: «Wenn Flüchtlingsströme das Zeichen einer politischen Kernschmelze sind, dann erleidet Eritrea eine Nuklearkatastrophe der höchsten Stufe.» Dazu zitierte sie UNO-Statistiken über die Länder, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen: 2006 stand Eritrea an zweiter Stelle, 2007 an dritter Stelle hinter Somalia und dem Irak. Daran hat sich nichts geändert.
2009 überstellten die Italiener viele eritreische Bootsflüchtlinge nach ihrer Rettung libyschen Kräften – das war noch zu Gaddafis Zeiten, er war einer der engsten Verbündeten von Isayas Afwerki und auch Freund von Berlusconi. Im Jahr 2009 brachte der eritreische Außenminister Osman Saleh bei einem Treffen mit seinem italienischen Amtskollegen Franco Frattini seine Anerkennung für die Rückführung eritreischer Flüchtlinge nach Libyen zum Ausdruck. Auf dem direkten Weg mit Libyen löste die Regierung Eritreas den Umgang mit fünf Ärzten, Pflegern und Wachleuten des Gefangenenlagers Eiraeiro, einem Hochsicherheitsgefängnis, in dem seit 2001 Oppositionelle gefangen gehalten werden – sie waren nach Misrata in Libyen geflohen. Auf Bitten Eritreas nahmen die Libyer sie fest, von ihnen ward nie wieder gehört.
Die Repression ist auch in der eritreischen Diaspora allgegenwärtig. Als jetzt Eritreer aus verschiedenen europäischen Ländern nach Lampedusa reisten, um dort die Toten zu identifizieren, waren darunter auch Spitzel der Regierung – Botschaftsangehörige, die sich mit Hilfe von Fotos der Schiffbrüchigen unter die trauernden Angehörigen mischten.
Als sich am 28.September Eritreer und Deutsche in Frankfurt zum Totengedenken für 77 Eritreer trafen, die 2009 auf einer dreiwöchigen Irrfahrt, links liegen gelassen von vorbeifahrenden Schiffen, ums Leben gekommen waren, erzählte ein ehemaliger Kämpfer für die Unabhängigkeit seines Landes seine Geschichte und warum er letzten Endes keinen anderen Ausweg als die Flucht sah. Die Veranstalter wollten damit ein Zeichen setzen und aktiv auf die Fluchtursachen hinweisen.
Die Angst vor der Unterdrückung bleibt, doch es steigt auch der Mut, die Fluchtursachen zu benennen und sich gegen das eigene Regime zu wenden.
Zwei Buchtipps:
Michela Wrong: «I didn’t do it for you. How the world used and abused a small African nation», 2005 (Geschichte und Kampf um die Unabhängigkeit);
und die weiter führende brillante Analyse von Tricia Redeker Hepner, «Soldiers, martyrs, traitors and exiles: political conflict in Eritrea and the diaspora», Pennsylvania 2011.
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