von Peter Nowak
Kürzlich hat der Gießener Psychosozial-Verlag einen Band mit der Lebensgeschichte der mittlerweile verstorbenen Hilde und Rose Berger veröffentlicht und damit das Schicksal der jüdischen Familie Berger in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Band enthält mehrere Interviews, die die Geschwister zwischen 1978 und 1997 in den USA gaben, sowie einen von Hilde Berger 1980 verfassten Bericht über ihr Leben und ihr politisches Engagement in Berlin.
Schon früh befanden sich die Geschwister in Opposition zum streng religiösen Vater und dem deutschnationalen Klima an ihrer Schule. Zunächst engagierten sie sich in einer zionistischen Jugendorganisation, wo sie die Schriften von Marx und Engels kennenlernten. Rose, Hilde und Hans Berger wurden Mitglieder der Kommunistischen Jugendorganisation, gerieten aber bald in Opposition zu den autoritären Organisationsstrukturen, die Kritik verunmöglichten.
Nach ihrem Ausschluss aus der KP-Jugend engagierten sich die drei Geschwister mit Freunden in der trotzkistischen Linken Opposition der KPD und bauten nach 1933 in der Illegalität die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) auf. Hans Berger arbeitete für die Organisation als Kurier und wurde 1936 im Zusammenhang mit der Zerschlagung der Berliner IKD-Gruppe verhaftet. Hier gibt es sicher Material zum Weiterforschen. Denn noch immer ist die trotzkistische Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus wenig bekannt. Leider fehlen in dem Buch jegliche Hintergrundinformationen, nicht einmal die Namen der Gruppen werden genannt.
Hilde Berger liefert auch Beispiele von unverantwortlichem Handeln der KPD, etwa dass sie noch im Frühjahr 1933 in ihren Publikationen die Namen oppositioneller Kommunisten veröffentlichte, die sie als Konterrevolutionäre bezeichnete. Natürlich kamen auf diese Weise auch die Nazis und die Polizei an die Daten. «Mein Bruder und ich hatten Angst, dass die Kommunisten unsere Namen veröffentlichten. Also beschlossen wir, woanders hinzuziehen», erinnerte sich Hilde Berger.
Dass Hans Berger 1936 verhaftet und nach der Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe in Auschwitz ermordet wurde, war allerdings nicht auf diese Denunziation der Stalinisten, sondern auf das Einschleusen eines Spitzels in die Organisation zurückzuführen. Regina Berger konnte nach Frankreich fliehen und überlebte die deutsche Besatzung in der Illegalität. Ihre Schwester entkam nach mehreren Gefängnisaufenthalten in Deutschland nach Polen, wo sie bald von den deutschen Häschern eingeholt wurde.
Im KZ Plaszow musste sie als Schreibkraft Oskar Schindlers berühmt gewordene Liste abtippen und konnte sich und einigen Freunden das Leben retten. Dort traf sie auch auf den späteren Krupp-Manager Berthold Beitz, der Teil der deutschen Verwaltung war. Als die Rote Armee näherrückte, bekam sie eine Unterhaltung von SS-Männern mit, nach der die Gefangenen auf der Liste in den tschechoslowakischen Ort Brünnlitz gebracht werden sollen. «Mir wurde klar, dass dieser Brünnlitz-Transport bessere Überlebenschancen hatte als die anderen Transporte. Deshalb trug ich mich, Kuba und einige andere enge Freunde ebenfalls auf diese Transportliste ein», erinnert sich Hilde Berger.
Ein Kritikpunkt soll bei dem ansonsten verdienstvollen Buch angebracht werden. Der Herausgeber Reinhard Hesse kritisiert Hilde Berger als rigoros, weil sie sich nach 1945 geweigert hat, Berthold Beitz einen Persilschein auszustellen. Sie erkannte an, dass er Leben von Juden gerettet hat, erinnerte sich aber auch seine antisemitische Gespräche und seine Bereitschaft, von den Geretteten Geschenke anzunehmen. Im Dokumententeil ist der Briefwechsel zwischen Berger und Beitz von 1948 abgedruckt. Nachdem Berger sich geweigert hat, ihn zu entlasten, drohte Beitz: «Mit Ihnen müsste jemand mal richtig ‹deutsch› reden.»
Diese Unverschämtheit gegenüber einer Frau, die knapp den deutschen Vernichtungswahn überlebt und einen großen Teil ihrer Angehörigen und Freunde verloren hat, wird von Hesse nicht etwa zurückgewiesen, sondern verteidigt. Dafür darf sich Beitz in der Einleitung gespreizt darüber auslassen, dass Hilde Berger sich nicht in seine «komplexe und dilemmatische Lage» hineinversetzen konnte. Sich in die Lage von Hilde Berger hineinzuversetzen, kam dem Elitemenschen Beitz, der schon 1948 von seinen neuen Karrierechancen in der Nachkriegsrepublik schwärmte, nicht in den Sinn. Dafür bekam Beitz kürzlich auf einem Staatsbegräbnis Lob von Politik und Wirtschaft. Die Bergers waren bis zum Erscheinen dieses Buches vergessen.
«Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste». Die Geschichte von Hilde und Rose Berger (Hrsg. Reinhard Hesse). Gießen: Psychosozial-Verlag, 2013. 223 S., 19,90 Euro
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