Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2013
Auszüge aus dem Brief der Flüchtlinge aus Libyen in Hamburg vom 16.Oktober 2013

Nicht wir, die Menschen der Gruppe «Lampedusa in Hamburg» verstecken unsere Identität, sondern die europäischen Regierungen verstecken sich vor der Verantwortung, sich der Realität zu stellen.

Am 1.Mai 2013 sind wir, die libyschen Kriegsflüchtlinge, in Hamburg an die Öffentlichkeit getreten und haben die Zusammenhänge, warum wir in Hamburg sind, sichtbar gemacht und verdeutlicht, warum für die Umsetzung unseres von Italien anerkannten Flüchtlingsstatus die gesamte Europäische Union und eben auch Hamburg verantwortlich ist.

Vergeblich baten wir Sie, die Hamburger Regierung, um eine politische Lösung für unsere traumatische und rechtlose Lage. Aber anstatt mit uns zu reden, stellten Sie die Rückführung nach Italien als einzige (gesetzliche) Möglichkeit dar, wobei Sie die gefährliche Situation ignorieren, in der sich Flüchtlinge dort wiederfinden.

Die Medien und die Öffentlichkeit nehmen uns wahr, viele Menschen haben uns kennengelernt. Jeden Tag stehen wir an unserem Protest- und Informationszelt am Steindamm, wir sprechen mit den Bürgern und Bürgerinnen der Stadt und den vielen Touristen. Wir stehen mit unseren Namen und Geschichten in den Medien.

Wir sind nicht grundsätzlich dagegen, unsere Papiere den Behörden auszuhändigen, sodass Recht geltend gemacht werden kann. Wir haben jedoch Angst davor, dass Sie lediglich unsere unmenschliche Abschiebung vorbereiten wollen, Angst, dass die europäische Politik unser Leben ein weiteres Mal zerstört.

Wir erinnern uns an das einzige Gespräch mit einer Vertreterin der Sozialbehörde und einem Vertreter des Flüchtlingszentrums, das in unserem Zelt stattgefunden hat, als aus der Bevölkerung, den Kirchen und den Moscheen bereits humanitäre Nothilfe geleistet wurde und wir zumindest im Trockenen schlafen konnten. In Hamburg gebe es keine freien Unterkünfte, die Situation sei sehr schwierig, man würde sich aber bemühen, hieß es. Wir sollten zunächst erst einmal eine Liste mit unseren Namen einreichen. Wenn etwas gefunden würde, könnten wir uns vom wochenlangen Leben auf den nassen und kalten Straßen etwas erholen, um uns auf die Rückreise nach Italien vorzubereiten. Hieran scheiterten die ersten Verhandlungen zwischen der Nordkirche und Ihnen.

Sie suchten kein weiteres Gespräch mit uns. In der Öffentlichkeit sagten Sie, es gebe für Hamburg keinen Handlungsspielraum.

Wir haben zusammen mit unseren Rechtsanwältinnen in einer Pressekonferenz dargelegt, dass Hamburg sehr wohl rechtliche Möglichkeiten hat. Geradezu beispielhaft für unsere gemeinsame Flucht- und Lebensgeschichte, beginnend mit der Eskalation des Krieges in Libyen im März 2011, steht der §23 des Aufenthaltsgesetzes. Dieser Paragraf wurde geschaffen, um aufwendige und langandauernde Einzelverfahren für eine größere Anzahl Personen, die alle gleichen Kriterien entsprechen, zu vermeiden. Die Anwendungsmöglichkeit liegt im Ermessen der jeweiligen Landesregierung, im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister.

Mit Verweis auf die sichere Ablehnung durch das Bundesinnenministerium lehnten Sie diese Möglichkeit ab, obwohl dieses mehrfach auf Hamburgs Souveränität in der Sache verwies...

In diesem Moment – und noch während des frischen Schmerzes über die jüngsten Toten vor Lampedusa – setzen Sie eine Polizeioperation gegen uns, die Überlebenden des Kriegs und der Flucht nach Lampedusa, in Gang, die die Welt schockiert.

Sie unsere Situation und unseren Status falsch dar. Daher die Klarstellung:

* Wir sind Inhaber gültiger Ausweisdokumente – was die gesamte Polizeioperation rechtlich in Frage stellt.

* Wir verdecken nicht unsere Identität, wir gehören zu den öffentlichsten Gruppen von Menschen in dieser Stadt.

* Wir stellen keine Asylanträge, weil wir das Procedere bereits in Italien durchlaufen haben, wodurch ein erneutes Verfahren unnötig ist und auch rechtlich keinen Sinn macht.

* Unser Erscheinen in der Stadt hat einen Grund, den wir nicht verursacht oder verschuldet haben. Warum viele Menschen in Hamburg sich an unsere Seite gestellt haben, hat auch einen Grund. Diesen haben wir mit verursacht. Wir haben immer erklärt, woher wir gekommen sind, dass wir bleiben und warum wir bleiben.

Konstruktive Gespräche zwischen uns, den Betroffenen und Ihnen, den verantwortlichen Repräsentanten dieser Stadt, wären ein Ausweg aus der Spirale der Eskalation, die derzeit die Stadt Hamburg ergriffen hat. Wir haben immer unsere Gesprächsbereitschaft signalisiert. Sie kennen unsere Telefonnummern und die unserer Anwälte.

Mit freundlichen Grüßen
Affo Tchassei
Asuquo Udo

Der volle Wortlaut findet sich auf http://lampedusa-in-hh.bplaced.net/ wordpress/offener-brief-der-gruppe-lampedusa-in-hamburg-an-den-senat-der-stadt-hamburg-und-erneuerung-unseres-gesprachsangebots

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.