Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2013
Auf der Suche nach der besseren Zukunft
von Ale Schmitz

Hat jemand die Zukunft gesehen? Zwei Berliner Gruppen wollen mit Sammelbänden die «Utopie», bzw. das «Ei des Kommunismus» entdecken. Träumen, wachen, kämpfen. Keine Angst mehr haben. Nicht nur dabei sein, sondern auch dagegen. Guevara, Adorno, Bloch – deren Slogans gibt es immer noch, auch wenn viele 68er schon in Rente sind.«Schwindet das utopische Bewusstsein, verkümmert das Potenzial der Kritik. Das Unmögliche nicht zu fordern heißt, sich mit dem Möglichen zu begnügen», formuliert die Jour-Fixe-Initiative Berlin nach ganz alter Schule im Vorwort des von ihr herausgegebenen Sammelbands «etwas fehlt».* Früher konnte man auf den Autoaufklebern lesen: «Wer keinen Mut zum träumen hat, der hat keine Kraft zum kämpfen.» Diese Parole wurde Che Guevara zugeschrieben. Von dem ist bei Jour Fixe keine Rede, zu retro. Denn die Vergangenheit ist dafür da, dass man mit ihr möglichst wenig zu tun haben will. Das neue Ding seit 1989. Von Erfahrungen bittet man abzusehen, es geht um das große weite Vorne – um die Utopie. Oder vornehm mit Ernst Bloch ausgedrückt: um das «Noch-Nicht».

Die Geschichte erscheint diesen Historischen Materialisten, nennen wir sie einfach mal so, gewohnheitshalber, auch wenn das noch mehr retro ist als böse. Ja, so idiosynkratisch muss man das heute formulieren. Am bösesten, klar, war der Ostblock. Und weil wir in Deutschland sind, die DDR. Auf diesen Staat bezogen, darf man sogar von Erfahrungen sprechen. Die waren selbstverständlich sehr, sehr schlecht. Das ist der Tenor von einem weiteren Sammelband, den eine andere Berliner Gruppe nahezu zeitgleich vorgelegt hat: «Was tun mit Kommunismus?!», herausgegeben von der SEK (Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus).**

Zwei Bücher zu einem Thema aus zwei Verlagen, die früher ein Verlag waren: Edition Assemblage und Unrast, beide mit Sitz in der strengen Bischofsstadt Münster. Als gelte es zu betonen, dass interne Streitigkeiten unter Linksradikalen meist wichtiger gefunden werden als der Klassenkampf – dieses Wort wird natürlich ebenfalls vermieden.

Eiersuche…

Jour Fixe ist in den späten 90er Jahren als besonnene Gruppe aus den Berliner Antideutschen hervorgegangen, sie organisiert linksradikale Ringvorlesungen zu Themen wie «Wie wird man fremd?», «Geschichte nach Auschwitz» oder «Gespenst Subjekt» und verarbeitet sie zu Sammelbänden. Die wesentlich neuere SEK begreift sich als «Diskussionskreis aus Libertären und Marxist_innen», der 2012 den «Versuch unternehmen wollte, mit Hilfe einer Veranstaltungsreihe herauszufinden, ob es neben dem ‹Ei des Kolumbus› auch ein ‹Ei des Kommunismus› gibt.»

Dicke Eier wünscht man sich nur zu Ostern, dem höchsten Fest der Christenheit. Leider kann aktuell vom Kommunismus keine Auferstehungsgeschichte erzählt werden. Entgegen dem selbstironischen Auftreten als «Selbsthilfegruppe» geht es bei dieser Eiersuche unterhaltungsfern zu. Der Sammelband «Was tun mit Kommunismus?!» ist sehr schematisch angelegt. Alle hier beteiligten Autoren bekamen denselben Fragenkatalog vorgelegt und beantworteten ihn überwiegend auf vorhersehbare Art und Weise. Die DDR war ein Polizeistaat, eine «nominalsozialistische Despotie» (Thomas Klein), geprägt von einer «diktatorischen Verstaatlichung statt Vergesellschaftung», wie es im Vorwort heißt. Und darauf prügeln dann alle ein, egal ob sie aus dem Osten oder dem Westen stammen. Dagegen wirkt die Konrad-Adenauer-Stiftung überraschender. Zur Begründung wird angeführt, dass in letzter Zeit der «Philo- oder Neostalinismus» (Christoph Jünke) sein düsteres Werk verrichte. Fragt sich nur wo, wenn von Luciano Canfora nicht gerade ein neues Buch herauskommt. Gibt es einen Arbeitskreis «Philo- oder Neostalinismus» in der Linkspartei?

Oder gibt es in diesem Buch ansonsten irgendwelche Widersprüche, Detail-Beobachtungen, Irritationen? Ham wa nich, ist gerade mal wieder aus. Galt die DDR nicht nur als höchst repressiv, sondern auch als überaus langweilig? In diesem Sammelband steht fast nichts drin, was man nicht schon wußte. Eine Ausnahme bildet der lesenswerte Beitrag von Sebastian Gerhardt. Darüber, wie sich die späteren Vordenker des rechten PDS-Flügels (Michael Brie, Dieter Klein, Rainer Land) als «moderne Sozialisten» aus der Akademie der Wissenschaften der DDR herauslösten. Sie glaubten, sie hätten die «positive Negation des Kapitalismus» entdeckt, irgendwo im Gerede über die Kraft der Kultur – und sie meinten noch nicht einmal den Popanz Popkultur.

Interessant ist auch, was Thomas Klein über in der SED verschollene bzw. unterdrückte Trotzkisten, Anarchisten und KPO-Leute schreibt. Sie hatten nach 1945 in der SBZ ebensowenig eine Chance wie später Rudolf Bahro.

… oder utopische Offensive?

Elfriede Müller, eine der wichtigen Köpfe der Jour-Fixe-Gruppe, bringt die Probleme von «Was tun mit Kommunismus?!» in ihrem Beitrag auf den Punkt: «Die Erinnerung an den Realsozialismus sollte etwas anderes hervorbringen als eine überholte Vergangenheit, es sollte sich eine konkrete Utopie – ja ein Erwartungshorizont damit verbinden.» Und das heißt eben nicht nur Nicht-DDR, sondern mehr Stimmung, Spaß und «Demokratie, die kein Volksbetrug ist» (Rosa Luxemburg). Her mit dem guten Leben – auch so eine Parole, die nicht mehr taufrisch ist. Doch in dem Sammelband «etwas fehlt» geht es nicht so grau und mau zu wie bei der kommunistisch gemeinten Eiersuche.

Die Künstlerin und Philosophin Bini Adamczak ist in beiden Bänden vertreten. In «etwas fehlt» entwirft sie gemeinsam mit Guido Kirsten unter dem Motto «If … then … else» das schöne Bild von «roten Links» als Platzhalter für unerfüllte Wünsche, im Alltag wie in der Politik. Man kennt sie beispielsweise als Markierung in Wikipedia-Einträgen: Links, die leer sind, weil ihr Inhalt erst noch geschrieben werden soll. Noch immer gilt Adamczak/Kirsten das Internet als große Wunschmaschine, auch wenn es bislang gesellschaftspolitisch messbar in erster Linie die Verwertungsindustrie umgekrempelt hat. Adamczak/Kirsten erhoffen sich sogar eine «Passage» durch’s ewige Eis des borniert Bestehenden.

Poetisch-politische Ideen haben die zwei, das muss man ihnen lassen: «Gegen die neoliberalen Versprechen individueller Partizipation und die islamischen oder faschistischen repressiven Sozialprojekte muss die Linke eine utopische Offensive setzen. Der Angriff ist dann ein positiver – ein Kampf nicht gegen den Kapitalismus, sondern für den Kommunismus, der gegen die Reaktion verteidigt wird.»

Positiv linksradikal denken, eine Präambel zukünftiger Sammelbände. Für deren Verfertigung entwirft auch der Soziologe Klaus Holz eine fast schon linksdiskursethische Etikette, in dem er Blochs «Prinzip Hoffnung» revidiert und lieber anthropologisch von der «erfahrenen Hoffnung» sprechen möchte, gewissermaßen in der ersten Person. Merke: «Niemand kann ganz und nur Subjekt sein». Die Menschen sind ja nicht frei, sondern schleppen allerhand Unbill mit sich herum, «bad vibes» hätte man dazu in den 70ern gesagt: schlimme Erfahrungen, Kränkungen, Abrichtungen aus dem ganz normalen Terror der Sozialisation. Man kann sich dessen bewusst werden – und den Ast, auf dem man sitzt, erst absägen, wenn man fliegen kann, um in einem weiteren Bild der 70er Jahre (nein, die waren gar nicht so schlecht, wie sie immer gemacht werden) zu bleiben.

Darüber hinaus gibt es eher deskriptive Aufsätze über das alte Jugoslawien (das als linkes Mode- und Verzweiflungsthema in den letzten fünf, sechs Jahren die noch ältere Sowjetunion verdrängt hat), über den Einfluss der Alltagstheorie von Henri Lefèbvre und – sehr erhellend – über patriarchale Begrenzungen des «neuen Bauens», damals zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Felicita Reuschling nennt dies den «vergeschlechtlichten Modus von Moderne», der wiederum die «bürgerliche Raumordnung» verfestigte statt, wie beabsichtigt, verflüssigte. Ähnlich kritisch springt Mike Laufenberg mit der «Heterosexualisierung der Homosexualität» um, beispielsweise mittels eheähnlich eingetragener Partnerschaften. Nein, das ist nicht die Queerness, die die Menschen einmal er- und aufregte. Witzig ist, dass Laufenberg die Redeweise «n Geschlechter» vorschlägt, damit auch niemand verloren geht, auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Gib mir deine Liebe, gib mir deine Hand!

*»etwas fehlt», Utopie, Kritik und Glücksversprechen. (Hrsg. Jour-Fixe-Initiative Berlin.) Münster: Edition Assemblage, 2013. 288 S., 19,80 Euro.

**Was tun mit Kommunismus?! (Hrsg. Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (SEK).) Münster: Unrast, 2013. 388 S., 18 Euro.

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