Nach ihrem Start im Jahr 2001 kollabierte die aktuelle WTO-Runde 2003 im mexikanischen Cancún. Seitdem stagniert der Prozess zu einem neuen multilateralen Freihandelsabkommen. Nun soll auf der kommenden Ministerkonferenz in Bali (3.–6.Dezember) ein neuer Anlauf dafür gestartet werden. Darüber sprach Alexis Passadakis (Mitglied im Rat von Attac) mit MARC MAES, dem Handelsexperten bei der entwicklungspolitischen Organisation «11.11.11» (www.11.be) aus Brüssel.
In den vergangenen Jahren war von der Welthandelsorganisation (WTO) nicht mehr viel zu hören. Der politische Druck der Delegationen aus dem Süden gegen die Agenda der EU und der USA haben den Prozess zu einem neuen globalen Freihandelsabkommen in eine Sackgasse manövriert. Was steht nun in Bali auf der Tagesordnung?
Es geht vor allem um zwei Themen: Handelserleichterungen im Bereich der Zollabwicklung und Ernährungssicherheit. Das erste wird massiv von der EU und den USA gepusht. Sie wollen in den Ländern des Südens schnellere Zollabwicklungen durchsetzen, um noch mehr dorthin exportieren zu können – und sich aus der Krise herauszuexportieren. Für die Entwicklungsländer der G33-Gruppe hat Indien zum Leidwesen des Nordens das Thema Ernährungssicherheit auf die Tagesordnung gesetzt. Indien möchte zu Erntezeiten Agrarprodukte kaufen und lagern, um sie in Zeiten von Hunger günstig verkaufen können. Der Norden sagt bisher Nein dazu. Das sei eine Subvention und nicht WTO-konform. Nur in den USA und der EU dürfen weiterhin solche Subventionen fließen, der Süden habe sich 1994 im Agrarabkommen verpflichtet, keine neuen Subventionen einzuführen. Mit Handel hat das gar nichts zu tun, sondern mit knallharter Interessenvertretung.
Was heißt das für Zukunft der WTO?
Die große Frage ist: Was passiert, wenn es in Bali zu einer Vereinbarung kommt und damit eine neue Dynamik ausgelöst wird? Einige Regierungen stellen bereits Überlegungen an, dass die WTO dann einen neuen Zyklus von Liberalisierung in Gang setzen könnte. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang der Bereich Umweltgüter und -dienstleistungen genannt. Ich sehe hier eine große Gefahr. Ein Beispiel: Die Exportbeschränkung von Rohstoffen, die viele Länder noch haben, könnten damit gekippt und deren Ausbeutung noch mehr angeheizt werden.
Welche Folgen hatte die Krise seit 2007/08 für die WTO? Eine massive, plötzliche Welle von protektionistischen Maßnahmen hat es nach 2008, anders als in den 30er Jahren, nicht gegeben.
Der WTO ist es gelungen, sich politisch aus der Schusslinie zu nehmen, was die Verantwortung für die Krise angeht. Aber natürlich hat sie mit ihrem Finanzmarktliberalisierungsabkommen vom Ende der 90er Jahre – das ist ein Anhang zum Dienstleistungsabkommen (GATS) – mit dafür gesorgt, dass alle möglichen Finanzprodukte frei gehandelt werden konnten. In diesem Abkommen ist festgeschrieben, dass es keine Volumenbegrenzungen für Finanzprodukte geben darf, und es wird auch untersagt, die institutionelle Form von Finanzdienstleistern vorzuschreiben. Eine gesetzliche Aufspaltung von Banken in Geschäftsbanken und Investmentbanken, wie sie seit 2008 wieder diskutiert wird, ist nach den WTO-Regeln verboten. Vermutlich sind zwei Drittel des laufenden amerikanischen Bankenregulierungsprozesses laut WTO-Vorschriften illegal, so gesehen sind sie höchst angreifbar.
Jenseits der WTO-Logik bewegt sich sicherlich auch das aktuelle Quantitative Easing (QE), das permanente «Gelddrucken» der US-Zentralbank und verwandte Programme der EZB. Schließlich stellt das eine enorme Subvention des transatlantischen Bankensektors dar. Im Süden ist das – außer ggf. in China – nicht möglich. Es führt aber zu enormen «Marktverzerrungen», also wachsenden Preisblasen bei Immobilien und Nahrungsmitteln usw., gerade auch im Süden.
Welche Rolle spielt die WTO für soziale Bewegungen im Süden zur Zeit? Es gibt schließlich eine Mobilisierung nach Bali und zahlreiche Gegenaktivitäten.
Die WTO spielt für soziale Bewegungen in den Ländern des Südens – für Kleinbauern und viele andere – eine enorme Rolle. An jedem einzelnen Tag des Jahres schränken die Regeln der WTO politische Handlungsspielräume ein. Sie sind ein Hebel, um emanzipatorische Akteure mit ihren sozialen und ökologischen Forderungen zu blockieren. Für den internationalen Verband der Kleinbauern, Via Campesina, und viele andere ist deshalb klar: Die WTO muss weg. Das gilt heute noch genauso wie vor 10 oder 15 Jahren.
Es ist außerdem ein Euphemismus, dass die WTO sich als Welthandelsorganisation bezeichnet. Sie setzt Freihandel durch, Deregulierung. Alle anderen Probleme, die mit Handel zu tun haben, spielen dort gar keine Rolle: etwa die Wirkung des Handels auf Klima, Ernährungssouveränität, auf die aggressive Ausbeutung von Rohstoffen und die damit einhergehenden katastrophale Folgen für die Bevölkerung in den betroffenen Fördergebieten. Das sind die Fragen, um die sich eine Welthandelsorganisation kümmern müsste, die den Namen verdient. Aber die WTO befasst sich mit nichts als dem Freihandel. Deshalb ist sie auch nicht reformierbar, wie früher oft gefordert wurde. Dass das nicht geht, hat die Geschichte der vergangenen zehn Jahre zur Genüge bewiesen. Wir, die Mehrheit auf diesem Planeten, wir brauchen eine ganz andere Art von Organisation.
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