von Daniel Tanuro
Am 7.11. pilgerten Hannelore Kraft und Peter Altmaier, Gesprächspartner in der Arbeitsgruppe Energie der großen Koalition, nach Brüssel, um die EEG-Rabatte für Großverbraucher gegen EU-Kommissar Joaquín Almunia zu verteidigen, der darin eine Wettbewerbsverzerrung sieht.Sie betraten ausgetretene Pfade: vor ihnen hatten Größere bei der EU-Kommission antichambriert.Anfang Oktober organisierten die großen Neun der europäischen Energiewirtschaft gemeinsam eine Pressekonferenz: GDF-Suez aus Frankreich, E.on und RWE aus Deutschland, Gas Natural und Iberdrola aus Spanien, ENI und Enel aus Italien, Gas Terra aus den Niederlanden und Vattenfall aus Schweden. Sie stellen zusammen knapp die Hälfte der installierten Energiekapazität in der EU bereit. Stellvertretend für sie erklärte der Vorstandsvorsitzende von GDF-Suez, Gérard Mestrallet: «Wir müssen den Rhythmus, in dem heute in Europa Windparks und Solaranlagen gebaut werden, senken. Derzeit ist er unhaltbar.»
Es gibt Überkapazitäten auf dem Markt, die Nachfrage ist seit 2008 gefallen, dadurch sind die Großhandelspreise (nicht die Preise für die Endverbraucher!) um die Hälfte gefallen, Sonne und Wind werden wettbewerbsfähig. Man braucht sie also nicht länger zu subventionieren und ihre Kapazitäten noch mehr auszuweiten, denn damit werden die Kohle- und Gaskraftwerke – und die Atomkraftwerke! – unrentabel.
Die Konzernvorstände unterschlagen, dass in Wirklichkeit die fossilen und nuklearen Energien immer noch großzügiger subventioniert werden als die erneuerbaren. Laut EU-Kommission haben die Erneuerbaren im Jahr 2011 30 Mrd. Euro Subventionen erhalten, die fossilen Kraftwerke 26 Mrd. und die AKWs 35 Mrd. Dabei sind die «externen Kosten» der fossilen Kraftwerke noch gar nicht eingerechnet: sie werden von der Allgemeinheit getragen und belaufen sich auf 40 Mrd. Euro im Jahr – vor allem für erhöhte Gesundheitsausgaben wegen der Umweltverschmutzung. Rechnet man sie ein, kommt man auf 66 Mrd. Euro Subventionen für Öl, Gas und Kohle!
Gérard Mestrallet hat auf der Pressekonferenz im Namen seiner Kollegen geklagt: Die Energieversorgung ist nicht mehr gesichert, die CO2-Emissionen steigen, die Stromrechnungen auch. Er forderte «einen radikalen Wechsel in der europäischen Energiepolitik». Die Argumentation ist widersinnig: Wie kann die Versorgung gefährdet sein, wenn es Überkapazitäten gibt? Wie kann eine Verknappung des Angebots zu Preissenkungen führen? Wie können die Treibhausgasemissionen gesenkt werden, wenn die Erneuerbaren nicht weiter gefördert werden?
Klagen der Konzerne
Worüber klagen die Konzerne? Anders als sie behaupten, hat die EU doch eine «klare und berechenbare Energiepolitik». Sie ist niedergelegt im «Paket Klima-Energie» und enthält die Zielformulierungen bis 2020: Senkung der Treibhausgasemissionen um 20%, Steigerung der Energieeffizienz um 20% und einen Anteil der Erneuerbaren am Energie-Mix von 20%: 20-20-20. Das oberste Ziel des «Pakets» ist dabei nicht die Vermeidung einer Klimakatastrophe, sondern die Unterstützung der europäischen Industrie im weltweiten Wettlauf um die Märkte für grüne Technologie. Denn wenn die fossilen Reserven sich erschöpfen, gehört die Zukunft den Erneuerbaren (und der Atomkraft). Wenn Europa sich eine überlegene Position auf diesem Gebiet verschafft, hat es eine Chance, in eine Position der Stärke gegenüber seinen Konkurrenten zu kommen.
Vom ökosozialistischen Standpunkt aus ist eine solche Politik zu bekämpfen. Denn sie ist sozial ungerecht: Den Unternehmen, Spekulanten und Reichen werden Geschenke gemacht, die Strom- und Nahrungsmittelpreise steigen, die Emissionszertifikate werden von der Allgemeinheit bezahlt. Und ökologisch ist sie unwirksam bis schädlich, weil die Zielvorgaben für die Reduzierung der Emissionen höchst unzureichend sind – bis 2020 müssten es mindestens 30%, wenn nicht 40% weniger sein als heute – und weil die Entwaldung des Südens zugunsten von Biosprit unvermindert anhält.
Bislang haben die Energiegiganten fett an der bisherigen Klimapolitik der EU profitiert. Vor allem haben sie weit mehr CO2-Emissionsrechte bekommen, als sie real an Emissionen ausgestoßen haben, wodurch sie diese Rechte verkaufen konnten, obwohl sie nichts dafür bezahlt haben. Sie haben sie sogar den Endverbrauchern in Rechnung gestellt!
Was stört sie dann? Solange sie gute Gewinne machten, konnten die Konzerne mit der energiepolitischen Linie der EU leben. Jetzt aber beuten ihre US-Konkurrenten das schmutzige und billigere Schiefergas, oder das Öl aus der Tiefsee oder die Ölsande in Kanada und das Ethanol aus dem Mais aus. An diesem Geschäft wollen sie auch teilhaben. Sie bekommen Schützenhilfe vom Runden Tisch der Industriellen, einer mächtigen Lobbyorganisation der Konzerne in Brüssel, die im Juni an den Vorsitzenden des Europäischen Rats den folgenden Brief schrieb:
«Hohe Preise und ein wachsender Preisabstand zu den USA gefährden zunehmend die internationale Konkurrenzfähigkeit der Industrie in der EU. ... Europa muss eine kohärente Klima- und Energiepolitik entwickeln, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf die gleiche Stufe stellt wie die Energiesicherheit und das Ziel der CO2-Reduktion [Hervorhebung hinzugefügt] ... [Es müssen] bessere Wege gefunden werden, die erneuerbaren Energien auszubeuten, die Energieeffizienz zu steigern und die Erkundung des Schiefergases in Europa zu fördern.»
Die Energiekonzerne sind in Konkurrenz zu den Kapitalisten auf dem Umweltsektor geraten. Nun wollen sie diesen gegenüber ihre Position stärken, indem sie die öffentliche Meinung manipulieren. Sie machen zwei falsche Versprechen: die Preise zu senken und Arbeitsplätze zu schaffen. Beide sind auf Sand gebaut. Die vermehrte Gas- und Ölgewinnung in den USA kommt ausschließlich den Unternehmen zugute, die Endverbraucher haben nichts davon außer schmutziges Wasser, schmutzige Luft und die Zerstörung der Landschaft.
Die Energiekonzerne versuchen auch, die Gewerkschaften mit ins Boot zu holen. Ein tatsächlicher Übergang zu erneuerbaren Energien würde jedoch unendlich viel mehr Arbeitsplätze schaffen als ein weiterer Ausbau der fossilen Kraftwerke.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.